
Lediglich durch den Trieb ist der Mensch ein vorstellendes Wesen. Könnten wir ihm auch, wie einige Philosophen wollen, den Stoff seiner Vorstellungen durch die Objekte geben, die Bilder durch die Dinge von allen Seiten her auf ihn zuströmen lassen, so bedürfte es doch immer der Selbsttätigkeit, um dieselben aufzufassen und sie auszubilden zu einer Vorstel-lung. ... Es bedarf dieser Selbsttätigkeit, um diese Vorstellungen nach willkürlichen Gesichts-punkten zu ordnen: ... um sie wiederzuerkennen und von allen ähnlichen zu unterscheiden. ...
Inwiefern der Trieb solchergestalt auf Erzeugung einer Erkenntnis ausgeht, in welcher Rücksicht wir ihn auch um der Deutlichkeit und der Kürze willen den Erkenntnistrieb nen-nen können, gleichsam, als ob er ein besonderer Grundtrieb wäre - welches er doch nicht ist; sondern er und alle besonderen Triebe und Kräfte, die wir noch so nennen dürfen, sind lediglich besondere Anwendungen der einzigen unteilbaren Grundkraft im Menschen...
_________________________________________________________________
J. G. Fichte, Über Geist und Buchstab in der Philosophie. in: SW VII, S. 278
Nota. - Der Text wurde zwar erst 1796 gedruckt, geht aber zurück auf die öffentlichen Vorträge, die Fichte noch vor Beginn seiner akademischen Vorlesungen im Frühjahr 1794 gehalten hatte. Unter Trieb versteht er die Gesamtheit der produktiven Vermögen des Menschen, den er als schlechthin tätig auffasst. Die Differenzierungen der menschlichen Tätigkeiten je nach ihrem Gegenstand machen glauben, es handle sich um ebensoviele verschiedene Vermögen, die erst durch ihre Vereinigung im Gesamtorganismus zusam-mengführt werden. Dem setzt Fichte die Vorstellung entgegen, das Vermögen des Men-schen sei all das, was er kann. Unterscheidungen sind lediglich nachträgliche Reflexions-produkte. Merke: Die kritische Philosophie ist überall auf Jagd nach den Überresten des Ansich, und wo sie die findet, merzt sie sie aus.
JE, 20. 8. 18
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen