
aus welt.de, 22. 5. 2022 Kita der Bundeswehr, WELT-Autorin Eva Marie Kogel zu Levana, oder Erziehlehre
Die alten Griechen waren meist recht vorn mit dabei, wenn es um grundlegende Erkenntnisse geht. „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ befand zum Beispiel Heraklit, und im Kern hat sich in den inzwischen gut zweieinhalbtausend Jahren seitdem nichts geändert: Das Militär ist der wichtigste Innovationstreiber der Menschheitsgeschichte.
Viele Dinge, die ursprünglich für den Verteidigungsfall erdacht wurden, haben irgendwann ihre militärische Nische verlassen und für die zivile Gesellschaft epochalen Nutzen gebracht. Das Internet zum Beispiel. Flugdrohnen. Penicillin. Und: richtig gute Kinderbetreuung.
Letzteres gilt zumindest für die USA, einem Land also, das ansonsten nicht gerade durch progressive Familienpolitik auffällt. Die Betreuungseinrichtungen auf den Militärbasen gehören dort heute zu den besten des Landes.
Dahinter steckt natürlich kein Zufall oder plötzlich entdeckte Kinderliebe im Beamtenstab des Pentagons, sondern die knallharte Erkenntnis, dass ein Land, eine ganze Gesellschaft sogar, ohne vernünftige, belastbare Kinderbetreuung schlicht unter seinen Möglichkeiten bleibt. Und im Ernstfall nicht wehrfähig ist.
In den 1970er-Jahren hatten die Generäle der US Army mit massiven Rekrutierungsproblemen zu kämpfen. Die Dienstpflicht war gefallen, und sobald Soldaten in die Elternphase eintraten, schmissen sie das Handtuch. Soldatinnen mussten das gar nicht erst: Sie wurden im Falle einer Schwangerschaft einfach entlassen. Eine personalpolitische Katastrophe, gerade nach dem Vietnam-Desaster.
Die besser qualifizierten Anwärter wollte man halten, auf die Frauen darunter konnte und wollte man nicht verzichten. Das Pentagon setzte also pragmatisch ein flächendeckendes Kinderbetreuungssystem neu auf. Die Personalprobleme der US Army waren gelöst.
Die Generäle hatten schlicht erkannt, dass eine Gesellschaft im Krisenfall es sich nicht leisten kann, Frauen an die Betreuung ihrer eigenen Kinder zu binden. Das ist immer so: Wenn Mütter an anderer Stelle gebraucht werden als an der Seite ihrer Kinder, funktioniert es plötzlich mit der Kinderbetreuung.
In Deutschland hat man das natürlich erkannt. Als Familienministerin brachte Ursula von der Leyen das große politische Versprechen von Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf den Weg: den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für unter Dreijährige, den Ausbau der Krippen und Kindergärten und das Elterngeld für Mütter und Väter.
Das sollte Deutschlands Weg in eine familienfreundliche Republik ebnen. Ein bisschen hat das funktioniert, die Geburtenraten stiegen zuletzt wieder. Das Geburtendefizit allein ist damit nicht aufgefangen.
Die Realität hinkt dem politischen Versprechen jedoch kräftig hinterher. Die zwei Jahre Corona-Pandemie haben die Missstände nun noch klarer offengelegt.
Die Betreuung der Kinder ist unzureichend, der Fachkräftemangel sehr real. Bis zu 230.000 Erzieherinnen und Erzieher könnten in den nächsten Jahren in deutschen Kitas fehlen, der Städtetag hat das hochgerechnet. Eine recht frische Umfrage des Deutschen Kitaleitungskongresses zeigt, dass sich die Situation allein im vergangenen Jahr drastisch verschärft hat.
Rund 9000 Einrichtungen konnten etwa ihre Vorgaben zur Aufsichtspflicht fast nur die Hälfte aller Tage erfüllen. Das heißt: Diese Einrichtungen konnten den Betrieb im Durchschnitt an mehr als jedem zweiten Tag nur unter Gefährdung der Sicherheit der Kinder aufrechterhalten. Ein System also, das ständig kurz vor dem Kollaps steht.
Das ist eine hohe Belastung für Familien. Eine Entlastung findet aber nicht statt, im Gegenteil. Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Kinder ab einem Jahr legt nahe, dass Eltern früh wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden. Beinahe jeder, der ein Kind in eine Kita gibt, weiß, dass das Unsinn ist.
Und doch sind in immer mehr Partnerschaften beide Elternteile berufstätig. Im Übrigen nicht aus Gründen der Selbsterfüllung, sondern aus wirtschaftlicher Notwendigkeit. Hohe Wohnungskosten und die Inflation tragen hier zur Rechnung bei.
Wer dieses System kompensiert, ist durch Studien gut belegt: Es sind die Mütter. Sie bezahlen das (und wir reden hier von einem Großteil der Gesellschaft) mit mehr Teilzeitregelungen im Job, schlechterer Bezahlung, geringeren Karriereaussichten und oft mickrigen Rentenansprüchen.
Eine Gesellschaft kann sich schlechte Kinderbetreuung nur leisten, wenn sie meint, dass Frauen in anderen Bereichen verzichtbar sind. Eine wirkliche Krise übersteht sie so nicht.
Nota. - Stellen Sie sich vor, ein weißer alter Mann hätte geschrieben, wir bräuchten mehr Kindergartenplätze in Deutschland, um die Wehrfreude von Frauen auf den Ernstfall vor-zubereiten - na das hätte ein Hallo gegeben! Die Welt hat unlängst merken können, dass ein Blatt wie ihres doch auch noch gute Tage vor sich hat, aber das sind ausgefuxte Profis, die gehen umsichtig zu Werk, und so hieß es: Blitzmädels an die Front! Frau Kogel hat den Weckruf gehört. Bloß an die Ganztagsschule hat sie nicht gedacht. Da muss ihre Redaktion wohl mal einen Propagandaoffizier der Bundeswehr vorbeischaun lassen.
JE
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