Montag, 30. Mai 2022

Das Wollen ist Wirken auf sich selbst.

                                           zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Daher nun, von diesem Nötigen und Zwingen der Einbildungskraft, sich nur hierauf zu richten, kommt der Begriff von Kraft, der mit dem Willen vereinigt ist. Es ist nicht möglich, sich den Willen zu denken, ohne sich zugleich einen Anstoß, eine Anwendung von Gewalt zu denken. Das Wollen ist wahres inneres Wirken, Wirken auf sich selbst. Das herumschwei-fende Denken wird ergriffen und auf einen Punkt beschränkt.

Diese Vorstellung vom inneren Wirken kommt im Bewusst/sein vor als etwas zwischen Ge-fühl und Gedanken Schwebendes, man könnte es nennen ein intelligibles Gefühl. Wenn die Einbildungskraft sich selbst überlassen bleibt, so schweift sie herum, und es kostet innere Anstrengung, sie zu binden. 

Dieses Aktes, des Bindens, werde ich mir unmittelbar bewusst, indem ich ihn vollziehe, und hierdurch lässt sich die intelligible Welt an die Welt der Erscheinungen anknüpfen. Was in diesem Gefühle vorkommt, ist die erste innere Kraft, man könnte sie reine Kraft, Kraft auf sich selbst nennen. Sie ist Wirkung des Vernunftwesens auf sich selbst.

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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 126f. 
 



Nota. - Das ist eine der wichtigsten Stellen in der ganzen Wissenschaftslehre.
 

Wenn man von dem metaphysischen Dogma von den zwei Substanzen, einer res extensa und einer res cogitans ausginge, wäre das ein atemberaubendes Kunststück: Wie stellt es die res extensa an, in die res cogitans vorzudringen? Doch in der Wissenschaftslehre, die den Gang des Bewusstseins zuerst rein phänomenal verfolgt, wurde eine solche Voraussetzung nicht gemacht. (Ihr Gegenstand ist die Vorstellung, und dort kam sie bislang nicht vor.)
 

Das Faktum der Konzentration unserer Aufmerksamkeit - denn davon ist hier die Rede - lässt sich nicht leugnen, ob man es nun erklären kann oder nicht. Aufmerken ist reflektieren und abstrahieren in Einem. Der elementarste Bewusstseinsakt ist: auf mein Gefühl achtge-ben. Es ist die Stelle, wo ein empirisches Selbst zu einem vernünftigen Ich wird.  

Dass er im Moment akuter Gefahr alle Aufmerksamkeit darauf konzentriert und selbst Schmerzen unter Umständen gar nicht 'merkt', unterscheidet den Menschen nicht vom Tier: Dem geht's nicht anders; sondern dass er sein Aufmerken will kürlich richten kann. Das ist die Grundform von Wollen, und Wollen ist die Substanz von Geist. (Geist sieht nicht auf Dinge ab, sondern auf Probleme.)

28. 6. 17


'An sich' ist die Einbildungskraft als bloße dýnamis rein schwebend: Sie schweift umher und würde ziellos zerstreut. Wir wissen aber, dass es nicht so ist; jedenfalls nicht immer und nicht notwendig. Es gibt etwas, das die Einbildungskraft zusammenreißt und auf ein Etwas konzentriert. Von außen kann es nicht hinzutreten, denn von etwas andem als der Einbil-dungskraft war noch nicht die Rede, und so kann es nur ein Teil der Einbildungskraft selber sein, der sich gegen sie kehrt und ihr Aufmerken erwirkt.  
 
Dies ist alles noch Spekulation. Sie beruht ausschließlich auf der phänomenalen Gegeben-heit von Geist=Aufmerken und sucht sie zu erklären. 'Es gibt' die bloß schweifende Einbil-dungskraft in der Wirklichkeit nur als und im Gegensatz zur gesellschaftlich normgebenden Aufmerksamkeit. Aufmerken ist aufmerkenWollen, Vorstellen ist vorstellenWollen.




Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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