Das
Leben ist voll von schönen Dingen. Doch können sie die schlimmen
Erfahrungen aufwiegen? Schon Arthur Schopenhauer war seinerzeit der
Ansicht, das Leben sei ein »Minusgeschäft«. Eine Kolumne.
Kann
Leid aufgewogen werden? Das scheint eine einfache Frage zu sein.
Stellen wir uns etwa einen Radrennfahrer vor, dessen erhebliche
körperliche Qualen völlig durch das Glück überwogen werden, das sich an
der Ziellinie einstellt.
Doch
lässt sich jedes Leid so aufwiegen, insbesondere, wenn es existenziell
und ungewollt ist? Hierzu gibt es vielerlei Anekdoten von einzelnen
Menschen, die sich »durch nichts unterkriegen lassen«; man kennt aber
auch genügend Beispiele von Personen, die über eine fürchterliche
Leidenserfahrung nie hinweggekommen sind.Vielen bereitet es heute
Unbehagen, dieses Problem zu betrachten. Das lässt sich zum Beispiel an
der Tendenz ablesen, Menschen, die unter schweren Krankheiten leiden,
mitunter ein gewisses Mitverschulden in die Schuhe zu schieben. So
glaubt man gerne, bestimmte unheilbare Leiden träfen vor allem die, die
kein hinreichend »gesundes Leben« mit Achtsamkeit, frischem Gemüse und
Antioxidantien führen. Krebskranke müssen sich bis heute oft den
traditionsreichen Vorwurf anhören, ihre Krankheit sei ihrem falschen,
repressiven Umgang mit psychischen Belastungen geschuldet.
Nota. - Der spingende Punkt ist: Das Leben ist überhaupt kein Geschäft. Erstens, weil man es nicht freiwillig riskiert; es wird einem übergeholfen.
Darum kam ein Klugmensch darauf, die Frage auf die Zeugung neuen Lebens zu verschie-ben. Doch zweitens ist das Leben kein Geschäft, weil die Vorstellung von Gewinn und Ver-lust den Austausch von Äquivalenten als Standard voraussetzt. Der wiederum setzt einen apriorischen Wert voraus: einen, den man messen kann. Der frankfurtische Erzspießer Schopenhauer konnte sich keine andere Welt vorstellen als die kapitalistische, die um den Pfennig fuchst.
Doch nicht nur haben Freude und Leid kein gemeinsames Maß, das man verrechnen könnte. Außerdem ist dem einen sin Uhl dem andern sin Nachtigall, will sagen: Ein jeder wertet selber. Es ist das Reich des Ästhetischen, und das liegt der Vernunft in gewisser Hinsicht zu Grunde; aber daher fällt sie unter es und nicht es unter sie. JE
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