Leonardo
aus spektrum.de, 13. 5. 2022 zu Jochen Ebmeiers Realien
Rezension
Ein Tier mit Kultur
Der Mediziner Martin Bleif begibt sich in seinem Buch auf die Suche nach den Wurzeln des Menschen.
von Martin Schneider

Dazu führt der Mediziner Martin Bleif in vier Kapiteln durch
die Grundlagen der Evo-lution, befasst sich mit der Wirkung, Veränderung
und Vererbung von Genen, beschreibt die Funktion von Zellen sowie ihr
komplexes Wechselspiel mit Genen und Umwelt. Das letzte Kapitel widmet
er dem Gehirn.
Bleif präsentiert den Menschen als Produkt der Evolution. Er argumentiert, dass die Selek-tion – basierend auf dem Überleben der an ihre Umwelt angepassten Organismen – aus dem Menschen nicht zwangsläufig einen Einzelkämpfer gemacht hat. Denn auch Koope-ration und Altruismus nahmen mit höherem Organisationsgrad dieses hoch entwickelten Tieres zu. Auf seinem Verhalten und seinen kognitiven Fähigkeiten beruhen Kultur und Religion.
Es gibt weder gute noch schlechte Gene
Anschließend widmet sich Bleif den komplexen Zusammenhängen zwischen Genen und den von ihnen hervorgerufenen Merkmalen. Er argumentiert gegen Optimierungs- und rassistische Reinheitsutopien, dass es weder per se gute noch schlechte Gene gibt, da diese Beurteilung immer kontextbezogen ist. Zudem hat die Natur mit der sexuellen Fortpflan-zung auf Genvermischung gesetzt: Für das Genom zählt Vielfalt und nicht Reinheit. Auch determinieren Gene nicht das menschliche Verhalten. Ein Beispiel: Zwar gehört es laut Bleif zum angeborenen Erbe, die eigene Gruppe zu bevorzugen. Doch menschliches Ver-halten sei auch immer ein Produkt der Erziehung.
Martin Bleif
Die
Wechselwirkung zwischen Gen und Zelle beschreibt der Autor als eng
miteinander verflochtenes System. Es wirkt auf seine Umwelt, kann aber
durch Umwelteinflüsse ver-ändert werden. Das Gehirn prägt als riesiger
Zellzusammenschluss die kognitiven Fähig-keiten des Menschen. Doch wo
liegen die Grenzen des Organs? Als Beispiele dienen Bleif etwa
mathematische und logische Paradoxien.
Mischung aus Egoismus, Kalkül und Mitgefühl
Bereits
der Titel verrät die wenig überraschende Konsequenz, den Menschen vor
evolutio-närem Hintergrund als Tier zu verstehen. Doch er entwickelte
Kultur, durch die er sich von anderen Tieren abgrenzt. Für Bleif ist der
Mensch alles in allem eine »oft widersprüchliche Mischung aus Egoismus,
Kalkül, Kooperativität und Mitgefühl«. Zwar ist die Charakterisie-rung
des Menschen als Natur- und Kulturwesen spätestens seit den
Auseinandersetzungen um Charles Darwins Evolutionstheorie im
19. Jahrhundert nicht neu. Doch Bleif fundiert sie anschaulich auf der
Basis der modernen biologischen Forschung. Das könnte Sie auch interessieren: Spektrum Kompakt: Moral – Gemeinsame Werte und Normen
Das Werk enthält ein ausführliches Inhaltsverzeichnis sowie ein Personen- und Sachregister. Das Literaturverzeichnis wurde leider ausgelagert und steht auf der Homepage des Verlags zum Download bereit. Das Buch eignet sich für naturwissenschaftlich und philosophisch interessierte Leser, die dem Wesen des Menschen auf die Spur kommen möchten. Vorkenntnisse sind allerdings hilfreich.
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