Donnerstag, 12. Mai 2022

Ist alles nur Muster?


aus spektrum.de, 12. 5. 2022

Rezension

»Was die Welt zusammenhält«                                             
zu Jochen Ebmeiers Realien
Einmal quer durch die Naturwissenschaften
Unter dem Stichwort »Muster« präsentiert Brian Clegg die wichtigsten Prinzipien der Naturwissenschaften. An manchen Stellen vermisst man aber die fachliche Tiefe. Eine Rezension.


von Hartmut Weber

Die Frage von Goethes Faust nach dem, »was die Welt im Innersten zusammenhält«, stand sicher Pate bei der Titelwahl. Die Gesetzmäßigkeiten der Natur sind es, so lautet die Antwort des britischen Schriftstellers Brian Clegg, und die beschreibt er in wesentlichen Teilen seines Buchs. Der englische Titel »Ten Patterns That Explain the Universe« stellt den Begriff »Pattern« ins Zentrum, in der deutschen Ausgabe tritt er im Untertitel als »Muster in der Natur« auf. Dieser Begriff ist für den Autor eine Leitlinie, die sich durch das ganze Buch zieht. In der Einleitung schreibt er: »Wir verstehen die Welt um uns herum anhand von Mustern. Dabei sind nicht unbedingt Muster im visuellen Sinn gemeint, sondern vielmehr Abläufe und Phänomene, die regelmäßig auftreten.« Das muss man berücksichtigen, wenn an manchen Stellen die Verwendung des Begriffs Muster etwas merkwürdig erscheint.

Von der Raumzeit über den Jetstream bis zur Knotentheorie


Die ersten Kapitel sind der Physik des Makro- und des Mikrokosmos gewidmet. Die kosmische Hintergrundstrahlung, die einige theoretische Physiker schon in den 1950er Jahren vorausgesagt hatten, konnte etwa 20 Jahre später tatsächlich nachgewiesen werden. Von immer präziseren Weltraumteleskopen fotografiert, stellt sie heute ein Muster dar, das »uns fortwährend mehr über die Anfänge des Universums erzählt«.


Was die Welt zusammenhält 

Brian Clegg
Was die Welt zusammenhält
Muster in der Natur - vom Schneckenhaus bis zur Doppelhelix
Verlag: Haupt, Berlin 2022
ISBN: 9783258082639 | Preis: 32,00 €

Anschließend bringt der Autor die mathematische Darstellungsform des Minkowski-Diagramms als »Muster der Raumzeit« nahe. Mit Hilfe dieser zweidimensionalen Diagramme (eine Dimension für den Raum, die andere für die Zeit) kann man die für Laien doch sehr überraschenden Phänomene der speziellen Relativitätstheorie Einsteins anschaulich darstellen – ohne mathematische Formeln. Das führt Clegg einleuchtend vor.

Als Beispiel für Muster im Mikrokosmos wählt er eine Tabelle, die das Standardmodell der Teilchenphysik wiedergibt. Dieses beschreibt, welche Bedeutung die Elementarteilchen haben und welche Beziehungen zwischen ihnen bestehen. Muster sind erkennbar, wenn subatomare Teilchen in Teilchenbeschleunigern wie dem Large Hadron Collider am CERN mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen und dadurch neue Teilchen entstehen. So konnte man vor einigen Jahren das Higgs-Teilchen nachweisen. Seiner Leitidee folgend stellt der Autor ein theoretisches Muster vor, so genannte Feynman-Diagramme, mit denen man die Wechselwirkungen zwischen Teilchen wieder ganz ohne Formeln veranschaulichen kann.

 

Nota. - Die fachliche Tiefe gibt bei solchen Husarenritten aber den Ausschlag. Dass ein Autor ganz alleine das innerste Geheimnis der Welt ergründet, erwartet keiner. Aber man darf einen durchgegorenen Gedankengang erwarten, der es lohnt, von einem nennenswer-ten Teil der Scientific community verfolgt und versucht zu werden. So ein kühner Wurf muss und kann nicht gleich am Anfang selber alle Gesichtspunkte aufführen, die vom einst-weiligen Stand der Wissenschaft aus gegen die neue Theorie eingewandt werden können. Aber die wissens- und wissenschaftslogisch wesentlichen Probleme sollte er immerhin be-nennen. 

Und das ist hier wie bei den Lévi-Strauss'schen Strukturen und den platonischen Ideen die Frage, 'ob es sie wirklich gibt', nämlich an sich und in einem ontologischen Sinn vor ihrem 'Erscheinen' in Raum und Zeit. Da würde sich nämlich die Frage aufdrängen, wer oder was sie dahingestellt hat. Es gibt wohl nicht zu Unrecht eine Menge Wissenschaftler, die an der Stelle schonmal gleich abwinken würden.

Als bloße heuristische Fiktion, als Wink, in welche Richtung man beim Forschen zu allererst oder auch nur zwischendurch mal schauen sollte, ist es auf pragmatisches Format herunter-gefaltet; interessant nur noch für die wirklichen empirischen Forscher, aber keine wissen-schaftliche Sensation, die raus in die Welt muss.

Leider sagt der Rezensent nicht, wo und inwiefern er die "fachliche Tiefe" vermisst. Ich würde sie an der genannten Stelle vermissen.
JE

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