Donnerstag, 10. März 2022

Die ursprüngliche Reflexion und das Setzen.

                                   aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Das ist Fichtes gedanklicher Ausgangspunkt: Die Philosophie - lies: Transzendentalphiloso-phie - bringt selber nichts hervor. Sie hat ihren Gegenstand, nämlich das tatsächlich gege-bene vernünftige Bewusstsein ihrer Zeitgenossen - der 'gemeine Standpunkt' -, und dieses gilt es zu verstehen: auf seine wirklichen Voraussetzungen zurückzuführen und seine Reich-weite zu ermessen. Um dies zu können, muss die Philosophie einen Standpunkt über ihm einnehmen.

Fichte war Novalis' Ausgangspunkt, ihn wollte er interpretierend verstehen; stets mit dem Hintergedanken, "darüber hinaus" zu gehen. Im Einzelnen kommt er gelegentlich zu ver-blüffenden Einsichten. Aber insgesamt findet er doch nicht zu dem Verständnis, dass Transzendentalphilosophie an keiner Stelle Realphilosphie wird. So sind etwa Einbildungs-kraft und Reflexion nicht zwei real existierende antagonistische Kräfte, sondern lediglich zwei Ansichten ein und derselben intellektuellen Tätigkeit, die nur der philosophische Be-trachter unterscheidet, um aus der Vorstellung von ihrer Wechselwirkung zu verstehen, was sie eigentlich 'tut'.

So macht z. B. Fichte auch von dem 'Gefühl' einen ganz und gar nüchternen, sensualistisch-materialistischen Gebrauch. Es ist der faktische Ausgangspunkt allen Wissens. Und das Ab-solute Ich 'ist' nicht ein 'bestimmter Stoff', sondern lediglich die Gedankenkonstruktion von Etwas, das Gefühle hat - und in der Anschauung darauf reflektiert. 

Die Wissenschafstlehre sei "bloße Reflexionsphilosophie", hat Hegel gesagt, mit andern Worten: Sie reflektiert lediglich auf das, was im faktischen Wissen wirklich vorkommt. Sie erfindet nichts hinzu. Aus Hegels Mund ist das ein Lob und kein Tadel. Novalis hat es von Fichte selbst gehört, aber so ganz mag er's nicht glauben. Gern würde er die Einbildungs-kraft darüber hinausschießen lassen, man merkt es an jeder Stelle.
27. 5. 2017

 

Nota II. - Wenn Fichte reale und ideale Tätigkeit von einander unterscheidet, so meint er nicht zwei verschiedene Kräfte; er kennt überhaupt nur eine 'Energie', eine prädikative Qua-lität, die er allenthalben Einbildungskraft nennt. Sie ist ein breiter Strom, der sich teilt und hierhin und dahin wendet. Er sondert sich nicht nach der Substanz, sondern nach dem Ge-genstand, den er wählt oder, was dasselbe ist, nach der Weise seiner Tätigkeit: Real  nennt Fichte die Tätigkeit, durch die das Ich sich wirklich etwas vorstellt, sich ein Bild macht, eine Qualität prädiziert. Diese setzt der Tätigkeit einen Gegenstand, jenen nimmt es wahr durch ein Gefühl, das ihm zuteil wird, und das nichts anderes ist als der Widerstand, den der Ge-genstand seiner Tätigkeit entgegen setzt. Das Gefühl scheint ihm von außen beizukommen, es wird angeschaut.

Dieses Anschauen nennt Fichte eine ideale Tätigkeit; sie 'setzt' nicht mehr, sondern be-stimmt. Sie ist die ursprüngliche Weise der Reflexion. Sie ist der Teil der Einbildungskraft, der sich nicht an den Gegenstand gebunden hatte und frei geblieben ist. Und so ist die Re-flexion in allen Fällen: Sie ist frei, weil sie unendlich ist und zu keinem Moment festgebun-den wird.

Das alles ist natürlich nicht wirklich geschehen. Es ist selber ein Bild, ein Schema dessen, was sich zugetragen hat, als ein Bewusstsein entstand: wie und unter welchen Bedingungen es möglich war und inwiefern es notwendig war, um zur Verunft zu führen. Es stellt eine Dynamik dar, die, weil sie in Gedanken stattfindet, nicht selber anschaubar ist, sondern ge-dacht wird, als ob sie anschaubar wäre.

*

So komplex dieses Bild eines Bildes immer ausfallen mag: Der Sache selbst setzt es nichts hinzu; es macht sie lediglich einsichtig.
JE 11. 6. 19 

 

 

Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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