
Exposé, im Februar 1987: aus Marxiana
III. 'Historischer Materialismus' oder: die "Metakritik" der politischen Ökonomie
Die
spezifische Arbeit der Kritik ist es, "eine Wissenschaft erst auf den
Punkt zu bringen, um sie dialektisch darstellen zu können" — das
bedeutet: die Aufdeckung des "dialektischen Scheins"(Kant), wonach die
kategorialen ('Sinn'-) Bestimmungen an oder in dem Faktischen ('Sein', 'Material') selbst gegeben seien; Darstellung, daß — und w i e — sie 'in Wirklichkeit' in den Stellungnahmen des (interessierten) Subjekts,
also praktisch, begründet sind.
Die
dialektische Darstellung selbst, nämlich "das R a t i o n e l l e an
[dieser] Methode", ist gerade Darstellung d e r K r i t i k: das
Material jener Wissenschaft aus seiner Gebunden-heit in die gegebenen
Formbestimmtheiten zu lösen, um den P r o z e ß der Form b e s t i m- m
u n g als solchen zu rekonstruieren, 'vor unseren Augen erstehen zu
lassen' — als "Wech-selwirkung" der Kategorien. Aber da das Material sich
ja eben n i c h t 'als solches', 'unab-hängig' von jeder Form
darstellen läßt, ist dies nur zu bewerkstelligen, indem die — 'immer
schon' vorauszusetzenden — Formbestimmungen a l s v e r s c h w i n d
e n d dargestellt; indem also "die Grenzen" der dialektischen
Begriffsbewegung nicht "gekannt", sondern selber als solche zur
Darstellung gebracht werden.
Dieser
Punkt ist erreicht, wo die Begriffsdialektik sich ad absurdum führt,
weil sie sich "in einem fehlerhaften Kreislauf herumdreht", im L e e r e
n sich dreht: beim Übergang vom "Geld als Geld" zum "Geld als Kapital"
bzw. von der einfachen Zirkulation zur Verwer-tung; denn da zeigt sich,
daß "die dialektische Form der Darstellung" des kapitalistischen
Reproduktionsprozesses das Wertgesetz immer schon voraussetzen muß, und es eben nicht e r k l ä r e n, geschweige denn begründen kann.
Darum
ist "die sogenannte ursprüngliche Akkumulation" der logische Dreh- und
Angel-punkt der Marx’schen Darstellung: der tatsächliche Vorgang der
Trennung der Arbeiter von ihrem Arbeits-, d.h. Lebensmittel (dem B o d e
n), der sich eben nicht 'aus Begriffen ent-wickeln', sondern nur e
m p i r i s c h b e s c h r e i b e n läßt (vgl. "Formen"-Kapitel
der Grundrisse).
Wie
am 'Anfang' der Kapitalentwicklung, so an ihrem 'Ende': Der "reale
Prozeß" erweist sich als der logischen Entwicklung inkommensurabel; in
dem Moment, wo die Gebrauchs-werte faktisch immer weniger durch "lebendige Arbeit" erzeugt werden, sondern stattdes-sen von der
aufgehäuften "toten Arbeit", die als "Geschicklichkeit + Wissenschaft"
in der M a s c h i n e objektiviert ist, wird deren Wertbestimmung
durch die ("menschliche Ar-beits-") Z e i t hinfällig (vgl. Abschnitt "Fixes Kapital" in den Grundrissen). (Dies die all-gemeinste Formulierung des Z u s a m m e n b r u c h s g e s e t z e s...)
Es
ist dies die B e h a u p t u n g der G e b r a u c h s wertseite des
(f i x e n) Kapitals — "tote Arbeit" – gegen die F o r m bestimmtheit
der lebendigen Arbeit; es ist dies der S t o f f, das Faktische, das
sich gegen die gesellschaftlich-allgemeinen Geltungen s e l b s t z u
r G e l- t u n g b r i n g t; und der "Gebrauchswert" ist ja nichts
anderes als die gegenständliche Form des (selbsterzeugten) B e d ü r f
n i s s e s.
Von
hier aus läßt sich nun des "Wertproblem" rationell darstellen, nachdem
das selbster-zeugte Bedürfnis als dessen reeller wie logischer G r u n d
aufgefunden ist ('reell’ und z u g l e i c h 'logisch', weil p r a k
t i s c h...): Der "Wert" ist die Form, in der sich unter
historisch-bestimmten, t a t s ä c h l i c h e n Bedingungen die Frage
der gesellschaftlichen G e l t u n g wirklich stellt: als die
Verteilung der gesellschaftlichen Z e i t auf die zu realisierenden
Bedürfnisse:
1)
Im 'Anfang' ist die Zeit reichlich, weil die Bedürfnisse a r m: das
praktische Problem, die individuellen Bedürfnisse gegen einander zu w ä
g e n, zu "schätzen", zu w e r t e n als sol-che, die 'gelten' sollen
oder nicht..., ist gar nicht gestellt; denn die Bedürfnisse sind 'natur-gegeben' und als solche einender gleich-gültig, weil sie
zugleich auch a priori befriedigt sind: von der 'Natur'; 'Ökonomie'
findet nicht statt, sondern ökologische Homöostase: Naturbe-dürfnis und
Aneignung vorgefundener Lebensmittel gleichen sich gegeneinander aus
durch das Naturgesetz von Anpassung und Selektion.
Zeit ist eo ipso f r e i e Zeit (also gar keine!)
2) 'Beginn' der G e s c h i c h t e durch Erzeugung neuer, k u l t u r e
l l e r Bedürfnisse; empi-risch: Erzeugung von Ü b e r s c h u ß über
den "Konsumtionsfonds" der "naturwüchsigen Gemeinwesen" hinaus; und das
Bedürfnis d a n a c h. Die Zeit wird jetzt k n a p p, indem die
Bedürfnisse r e i c h e r werden. Die (gemeinsame) Zeit muß auf die
(individuellen) Be-dürfnisse v e r t e i l t werden; die Bedürfnisse
müssen g e s e l l s c h a f t l i c h g e w e r t e t werden.
Die
Scheidung der 'höheren' Bedürfnisse von den 'niederen' stellt sich dar
in der Ausbildung 'höherer' K l a s s e n, die, indem ihre Existenz die
beständige Erzeugung von Überschuß als gesellschaftliche N o t w e n d
i g k e i t setzt, Motor der A k k u- m u l a t i o n werden:
Akku-mulation der Bedürfnisse, Anhäufung und Monopolisierung der
Produktivkräfte (H e r r- s c h a f t über das Arbeitsvermögen).
Die
Verknappung der Zeit erzwingt Ö k o n o m i e (= Zeitersparnis):
Arbeitsteilung und Kooperation. Objektivierung der akkumulierten
Bedürfnisse in der Qualifizierung der Pro-duktivkräfte: Arbeitsmittel und
Arbeitsvermögen.
Die Zeit erscheint eo ipso gesetzt als A r b e i t s zeit.
Der Austausch (nb.
zunächst Austausch der Überschüsse!) vermittelt die naturwüchsigen
Gemeinwesen zur geschichtlichen G e s e l l s c h a f t; die Menschen
werden zu (privaten) I n d i v i d u e n, die durch den M a r k t in
allgemeinen Verkehr miteinander gebracht werden: Verallgemeinerung von
Arbeitsteilung und Kooperation. Der Arbeitsprozeß wird selbst
gesellschaftlicher, reell allgemeiner Prozeß.
Verallgemeinerung
des Austauschs, Verallgemeinerung der Bedürfnisse: das 'höhere'
Be-dürfnis wird zum g e m e i n e n Bedürfnis (die privilegierten
Bedürfnisse der monopoli-sierenden Klassen hören auf, Triebfeder (und
also notwendig für die Akkumulation [Kul-turation] zu sein.)
Akkumulation
bedeutet: fortschreitende Verschiebung der Produktivkraft von der "leben-digen" Arbeit (der Menschen) auf die angehäufte "tote": das
Arbeitsmittel; als M a s c h i n e = f i x e s K a p i t a l ;
Verlagerung der Produktivkraft aus dem lebendigen Subjekt ins unbe-lebte
Objekt – und das heißt j e n s e i t s der Z e i t!
3)
Nun können die Bedürfnisse (soweit sie auf Gegenstände [!] gerichtet
sind) als durch das selbsttätige Arbeitsmittel virtuell i m m e r s c
h o n r e a l i s i e r t gelten; indem die Zeit aufhört, a priori
als A r b e i t s zeit bestimmt zu sein, hört sie auch auf, mögliches
Maß der Werte zu sein: die Notwendigkeit des Wertens selbst entfällt!
Die Wertproduktion 'entfällt', das Kapitalverhältnis bricht zusammen. —
Derart
arbeitet die kapitalistische Weise der Verteilung der disponiblen Zeit
auf die sich geltend machenden Bedürfnisse auf ihren eigenen
Zusammenbruch hin. Aber das Unter-gehn der F o r m bestimmung a k t u a
l i s i e r t eben die Frage nach ihrem G r u n d: 'Soll' der
Zusammenbruch stattfinden als D e s a k k u m u l a t i o n (letzten
Endes: der Bedürfnis-se selbst!) = 'Untergang in der Barbarei'? Oder als
f r e i – Setzung der Bedürfnisses 'a l s' sich selbst erzeugendes; 'schlechthin'-Setzung des Bedürfnisses als "freie Tätigkeit" — d.h. "Leben" nicht mehr als A r b e i t, sondern als... "S p i e l" ?
Summa: 'Kritik' bedeutet, allgemein gesprochen, nichts anderes als die
Zurückführung des theoretischen Wissens auf seinen praktischen Grund.
Dieser G r u n d ist bei Marx das selbsterzeugte, sich selbst
erzeugende Bedürfnis. Dessen Darstellung als 'Stoff', als das M a- t e r
i a l e der Geschichte, wird treffend 'historischer M a t e r i a l i
s m u s' genannt. Und diese Handhabung der Dialektik als — wie Kant
sie nennt — "Katharktikon des Verstandes" zur D a r s t e l l u n g
jenes Grundes ist, ebenso wie Fichtes 'Wissenschaftslehre', M e t a-
Kritik.
Fortsetzung folgt
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