Mittwoch, 7. Juli 2021

Dem deutschen Föderalismus sei Dank!


aus welt.de, 7. 7. 2021                                                                                                               zu  Levana, oder Erziehlehre

„Ein Armutszeugnis“ – Darum steht der Ganztagsanspruch für Grundschüler vor dem Aus.

Jedes Grundschulkind soll in Deutschland künftig Anspruch auf einen Ganztagsplatz haben – so wollte es die Bundesregierung, und so sollte es noch vor der Wahl im Gesetz festgeschrieben werden. Doch das Prestigeprojekt der großen Koalition, das ab 2026 stufenweise starten soll, wackelt. Die Länder hatten Ende Juni im Bundesrat überraschend mehrheitlich dagegen gestimmt und den Vermittlungsausschuss angerufen. Gibt es dort keine Einigung in dieser Legislaturperiode, ist der Gesetzentwurf Makulatur.

Sozial- und Familienverbände warnen nun vor den Folgen eines Scheiterns. „Es ist ein Armutszeugnis, dass ausgerechnet das reiche Deutschland nicht in der Lage ist, allen Kindern einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule zu garantieren“, sagt der Präsident des Deutschen Kinderschutzbunds, Heinz Hilgers, auf Anfrage von WELT.

Deutschland bleibe damit hinter den OECD-Standards zurück. Betroffen seien vor allem Kinder aus ärmeren Familien: „Sie können außerschulische Angebote viel seltener wahrnehmen als andere Kinder und damit die Halbtagsschule nicht ergänzen“, kritisiert Hilgers. Verfehlt werde auch das Ziel, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erreichen.

Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) äußert sich besorgt. Ein Scheitern wäre für Alleinerziehende „eine wirklich bittere Pille“, sagt Geschäftsführerin Miriam Hoheisel gegenüber WELT. „Eine verlässliche ganztägige Bildung und Betreuung ihrer Schulkinder ist für Alleinerziehende existenziell.“

Der Paritätische Gesamtverband nennt es „sehr bedauerlich“, dass es nicht gelungen sei, das Gesetz durch das parlamentarische Verfahren zu bringen: „Das Vorhaben bildet einen logischen Anschluss an den Rechtsanspruch auf ein öffentlich verantwortetes Angebot der Kindertagesbetreuung“, sagt eine Sprecherin.

Das Ganztagsgesetz sieht für jedes Kind, das ab Sommer 2026 eingeschult wird, in den ersten vier Schuljahren einen Anspruch auf einen Ganztagsplatz vor. Die Länder hatten auf diesen schrittweisen Ausbau gedrängt. Als Anschubfinanzierung für Räume und Ausstattung an den Schulen investiert der Bund 3,5 Milliarden Euro. Zum Zankapfel werden nun aber die Personal- und Betriebskosten von ursprünglich geschätzten 4,5 Milliarden Euro im Jahr. Den größten Teil davon müssen die Länder aufbringen, der Bund zahlt jährlich eine Milliarde Euro für die Betriebskosten.

Plötzlich zu teuer

Das Gesamtvorhaben wird den Ländern nun kurz vor Schluss zu teuer. Allen voran hatten sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und seine Amtskollegen Stephan Weil (SPD) aus Niedersachsen und Volker Bouffier (CDU) für Hessen gegen das Paket ausgesprochen. Kretschmann sagte im Bundesrat vor der Abstimmung am 25. Juni, die Länder könnten die Last nicht schultern, sie blieben „auf den Jahr für Jahr steigenden Kosten“ sitzen.

Doch ausgerechnet die Finanzierungsfrage könnte sich eher zugunsten der Länder entwickeln. Denn teurer als geplant wird das Projekt nach Einschätzung von Fachleuten keineswegs – im Gegenteil: Statt ursprünglich 800.000 Ganztagsplätzen fehlen laut aktuellen Berechnungen nur noch rund 600.000. Dies teilt das Deutsche Jugendinstitut (DJI) auf WELT-Anfrage mit.

DJI-Direktor Thomas Rauschenbach, der auch als Sachverständiger zur Beratung des Gesetzes angehört worden war, erklärt die Differenz: Erstens habe die Kultusministerkonferenz gerade die Zahl der Ganztagsplätze aktualisiert. Zweitens habe eine erneute Abfrage des Jugendinstituts unter den Eltern ergeben, dass der Bedarf weniger stark gestiegen ist als angenommen. Und drittens seien frühere Bestandszahlen der Statistik der Kultusministerkonferenz korrigiert worden. Die 600.000 Plätze, auf die das Institut kommt, decken sich weitgehend mit einer Berechnung des Instituts für Wirtschaft (IW).

Beteiligung des Bundes steigt

Weil weniger Plätze gebraucht werden, müssen die Länder weniger für Personal und Betrieb ausgeben. Entsprechend höher ist der Anteil des Bundes am Gesamtpaket. Das müssten alle Beteiligten einkalkulieren, sagt DJI-Direktor Rauschenbach: „Es handelt sich hier um eine neue Größenordnung. Wenn man an einem Konsens interessiert ist, sollte man dies berücksichtigen.“

Die Betriebskosten könnten laut Rauschenbach sogar noch niedriger ausfallen. Denn das Gesetz mache keine Vorgaben zur Qualifikation des Personals. Es sei davon auszugehen, dass nicht nur ausgebildete Lehrer und Erzieherinnen eingestellt werden, sondern auch kostengünstigere Kräfte. In der Berechnung der Personalkosten seien bislang aber nur Fachkräfte veranschlagt worden. Er appellierte an die Beteiligten, sich im Ausschuss zu einigen: „Letztlich geht es hier nur um das Geld. Ansonsten besteht Einigkeit, dass das Projekt notwendig ist.“

Ob der Bund den Ländern hier weiter entgegenkommt, ist allerdings fraglich. Dies sei bereits mehrfach geschehen, erklärte eine Sprecherin des Familienministeriums auf Anfrage von WELT. Der Rechtsanspruch soll auf Wunsch der Länder erst ab dem Schuljahr 2026/2027 stufenweise eingeführt werden, obwohl eigentlich schon 2025 als Start angedacht war. Auch sei die Anschubfinanzierung von 2 auf 3,5 Milliarden aufgestockt worden. Sie verwies auf die veränderte demografische Lage: „Das macht es für Länder und Kommunen einfacher und preiswerter. Daher müsste im Vermittlungsausschuss erst recht eine gute Lösung erzielt werden können.“

Sollte dies dem gemeinsamen Gremium beider Häuser gelingen, müssen Bundesrat und Bundestag über diese Lösung erneut abstimmen. Im Bundesrat ist am 17. September die nächste Sitzung geplant. Der Bundestag kommt außerplanmäßig am 7. September noch einmal zusammen. Sollte keine Einigung mehr in dieser Legislaturperiode zustande kommen, wäre der Ganztagsanspruch für Grundschüler gescheitert. Auch die vom Bund eingestellten 3,5 Milliarden verfallen dann.

 

Nota. - Sie wissen es alle: Das ist gequirlte... . Doch zu sagen traut sichs keiner: So einen Shitstorm gabs nie! Also beschränken sie sich alle darauf, den Bleifuß auf die Bremse zu setzen. Doch besser so, als gar nicht. Danke, Länderkammer!  

JE

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