
aus nzz.ch, 12. 4. 2021 Caspar David Friedrich «Wanderer über dem Nebelmeer» (1817).
Zunächst ein Gedankenspiel: Das Genre der Fantasy erfreut sich heutzutage anhaltender Beliebtheit, selbst Tolkiens «Herr der Ringe» wird schon wieder verfilmt. Nun stelle man sich vor, an diesem Genre würde sich eines Tages, vielleicht aufgrund eines epochalen politischen Ereignisses, ein kulturelles Erneuerungsprogramm entzünden. Nicht nur die Literatur würde unter dem neuen Epochenwort «Fantasy» revolutioniert werden, sondern auch Malerei und Architektur, ja sogar Wissenschaft und Politik.
Das erscheint absurd – sei aber etwa das, was Ende des 18. Jahrhunderts infolge der Französischen Revolution geschehen sei, behauptet Stefan Matuschek. Denn das Adjektiv «romantisch», erläutert der Jenaer Literaturwissenschafter in seinem thesenfreudigen, gut lesbaren Epochenporträt, habe es schon gegeben, ehe es die Romantik als Epoche gegeben habe. Das Wort stand anfangs für unterhaltsame Ritter- und Wundergeschichten in Romanform, habe also etwa dem heutigen «fantasyhaft» entsprochen.
Umso bemerkenswerter daher, wie umfassend um 1800 Literatur- und Kunstbetrieb im Zeichen der Romantik revolutioniert wurden, das Publikum die «Lesewut» ergriff und plötzlich alles romantisiert werden sollte, von der Naturwissenschaft (Johann Wilhelm Ritter), Philosophie (Schelling), Religion (Schleiermacher) und Politik (Fichte) bis hin zum Leben selbst, das von nun an «ein von uns gemachter Roman» (Novalis) sein sollte.
Nun geriet diese Epoche bekanntlich im 20. Jahrhundert, gerade im deutschsprachigen Raum, gleich doppelt unter Verdacht. Entweder sah man in ihr eine Form von Eskapismus, mit dem seinerzeit eine ganze Generation junger deutscher Intellektueller vor den erstarrten politischen Verhältnissen in die Phantasie geflüchtet sei. Oder sie wurde als Geburtsstätte von Gegenaufklärung und Irrationalismus identifiziert, und es wurde eine Linie «von Schelling zu Hitler» (Georg Lukács) gezogen. Noch Rüdiger Safranskis «Romantik»-Bestseller von 2007 trägt den unheilvollen Untertitel «Eine deutsche Affäre», ganz so, als sei diese Epoche eine anrüchige nationale Angelegenheit und nicht ein gesamteuropäisches Phänomen.
Eben als Letzteres untersucht nun Stefan Matuschek die Epoche, wobei er geschmeidig zwischen Panoramablick und luziden Detailstudien, etwa zu E. T. A. Hoffmanns «Der goldne Topf» oder Mary Shelleys «Frankenstein», wechselt. Zudem unterscheidet er «Romantik als Phänomen» von «Romantik als Diskurs». Diese Differenzierung ist klug, lassen sich mit ihr doch einige literaturgeschichtliche Missverständnisse aufklären. Denn wer sich seinerzeit programmatisch, also auf der Diskursebene, von der Romantik abgrenzte wie Goethe («Klassisch ist das Gesunde, romantisch das Kranke»), kann sich auf der Phänomenebene, sprich in seinen Werken («Werther», «Faust»), durchaus selbst als Romantiker entpuppen (und umgekehrt). Zumal gerade die vermeintlichen «Klassiker» Goethe und Schiller im europäischen Ausland ohnehin als deutsche Vorzeigeromantiker galten.
Ebenso führt die konsequente Einbettung der Epoche in den europäischen Kontext, der wiederholte Seitenblick auf die Entwicklung in den Nachbarländern, zu überraschenden Einsichten. Denn während in Deutschland die Romantik zunächst die Angelegenheit einer vom Furor der Selbstreflexion angesteckten akademischen Elite in Jena und Berlin war, so ging es in England, etwa bei Wordsworth und Coleridge, vor dem Hintergrund der Industrialisierung um das Heilsversprechen der Kunst für eine natürlich-beständige Menschlichkeit. Und in Italien und Frankreich stand die Romantik ohnehin für eine neue populär-volkstümliche Kunst, hier allerdings im Gegensatz zum überkommenen Klassizismus.
Apropos: Der Klassizismus, die tradierte Regelpoetik, ist laut Matuschek der eigentliche Gegner der Romantiker gewesen, auch in Deutschland, und nicht etwa die Weimarer Klassik (die in Matuscheks europäischer Perspektive ohnehin keine eigenständige Epoche darstellt, eher eine germanistische Erfindung) und schon gar nicht die Aufklärung. Vielmehr sei es den Romantikern darum gegangen, aus den Erkenntnissen der Aufklärung die richtigen Konsequenzen zu ziehen – aber nicht im Sinne einer Gegenaufklärung, sondern im Anschluss an Kants Einsicht, wonach die menschliche Vernunft dazu verdammt ist, von unabweisbaren Fragen belästigt zu werden, ohne sie letztlich beantworten zu können.
Da in der sich modernisierenden Gesellschaft Religion und Ständegesellschaft als Orientierungsinstanzen auszufallen begannen, sprang um 1800 die Literatur ein, als eine Art säkularer Religionsersatz. Doch seien es nicht die Inhalte, die romantische Werke kennzeichneten, sondern eine formale Innovation, der Als-ob-Modus. Matuscheks Paradebeispiel dafür ist Eichendorffs berühmtes Gedicht «Mondnacht» («Es war, als hätt’ der Himmel / Die Erde still geküsst»), in dem die Jenseitsvorstellung als eine «Kippfigur» (Matuschek) aus Transzendenz und deren gleichzeitiger Verneinung präsentiert wird, wodurch sie auch für ein aufgeklärt-säkulares Publikum anschlussfähig werde. Und zwar bis heute, wie Stefan Matuschek mit Verweis auf die anhaltende Beliebtheit von Eichendorffs Gedicht in Traueranzeigen aufzeigt.
Romantik, so Matuschek, sei folglich ein «Stilphänomen», nämlich «die Kunst, metaphysische Luftschlösser zu bauen» – im Wissen, dass es sich eben nur um Imaginationen handle: «Romantik ist das selbst gemachte und als Selbstgemachtes bewusste Jenseits oder, um es poetischer auszudrücken, der gedichtete Himmel.» Dieses Vexierstück aus Realismus und Transzendenz findet der Germanist in Novalis’ «Heinrich von Ofterdingen» ebenso wie in Schillers «romantischer Tragödie» «Jungfrau von Orleans» und selbst in Hölderlins vordergründig klassizistisch anmutenden Gedichten.
Aber
eben nicht mehr in den Werken und Ideen, die die vom Patriotismus
erfassten Spätromantiker vor dem Hintergrund der Befreiungskriege gegen
Napoleon vorlegten. Zwar war noch immer alles «selbstgemacht», wie die
«Deutsche Mythologie» Jacob Grimms oder Johann Gottlieb Fichtes bizarre
Theorie vom Deutschen als der wahren philosophischen Ursprache. Nur
wurde der Konstruktionscharakter verdrängt, die antifundamentalistische
«Kippfigur» aufgegeben. ...
Stefan Matuschek: Der gedichtete Himmel. Eine Geschichte der Romantik. Verlag C. H. Beck, München 2021. 400 S., Fr. 45.90.
Nota. - Wie 1913 lag es in Europa in den 80er Jahren des 18. Jahrhuundert in der Luft, das 'irgendwas passieren' musste; wie es war, konnte es jedenfalls nicht bleiben. Und ist es nicht geblieben. Wenn auch die Revolution selbst eine innerfranzösische Angelegenheit gewesen wäre - die Epopöe Napoleons hat den ganzen Kontinent durchrüttelt.
Natürlich hat sie die ganze Kultur umgekrempelt, und eigentlicht war es die Kultur selbst gewesen, die begonnen hatte, langsam aber sicher Europa umzukrempeln: Während auf den Fassaden und andern Oberflächen ein strenger Klassizismus die Macht ergriff, sickerte zwi-schen den antiken Säulen das süße Gift des Rokkoko ein - der Hautgout der Dekadenz.
Rückblickend scheint manches davon schon ganz romantisch gesehen und empfunden zu sein, wenigstens in der Malerei: Füssli, Fragonard, Guardi und - selbstverständlich der ein-zigartige Turner, in dem der Übergang Fleisch, Öl und Wasserfarbe geworden ist.
Diese Reihe zeigt schon an, dass die Umstürze je nach Land sich ganz verschiedene Kanäle gebrochen haben. Wenn man für jeden einzelnen dieser Kanäle das Wort romantisch be-müht - tja, dann ist "Romantik eine europäische Angelegenheit". Die Wortgeschichte kommt dem entgegen. Es bezieht sich auf die Literaturgattung des Romans, nämlich auf dessen ästhetische Besonderheit gegenüber allen andern Kunstformen: Er war frei von allen Regeln. Das kann man durchaus als den gemeinsamen Nenner einer europäischen roman-tischen Kunst auffassen, und zwar in der Literatur wie in der Malerei wie in der Musik. Aber das verwischt wiederum die nationalen Spezifika. E. T. A. Hoffmann, der in der Sache ja eine Autorität ist, hielt in der Musik ausgerechnet die Wiener Klassik für den vollendeten Ausdruck romantischer Kunst. Warum? Weil in ihr allein das Ästhetische galt und aller weltlich- oder geistlich-sachliche Bezug ausgeschieden war. (Wie er damit deren Messen vereinbarte, hat er nicht geschrieben.)
Und das macht den besonderen Zug der deutschen, jedenfalls der deutschen literarischen Romantik aus. Hierzulande hatte Romantik nämlich einen datierbaren Ursprung: Es war die Jenaer Gruppe um die Schlegels, zu der der Philosoph Fichte gehörte, der mit ihnen die Wohnung teilte. (Schelling kam erst später dazu.) Denn ihr Kampfbegriff Ironie lief auf nichts anderes hinaus als: von der Wirklichkeit ihren ästhetischen Schein geltend zu machen gegen das bürgerliche Ethos des Nutzens. Nein, nicht neben, sondern gegen! In ihrem Ver-ständnis ist die Stellung der Kunst in der Welt polemisch, sie sucht den Streit und bestreitet allem Überlieferten - und sei es nur versuchsweise - die Geltung. Ihre ironisch-polemische Stellung bestimmt "die Kunst" zur Avantgarde.
Es ist diese besondere deutsche Definition des Romantischen, die duch die Ausbildung der Idee des Modernen nachhaltig prägend geworden ist. Und darum hatte Rüdiger Safrnski ganz Recht, als er von einer deutschen Affäre sprach
Dass J. G. Fichte das Deutsche als die "philosophische Ursprache" bezeichnet hätte, ist natürlich Quatsch, und es ist in diesen Tagen besonders aktuell, den Autoren ans Herz zu legen, die Sachen selber zu lesen, über die sie schreiben.
JE
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