Leonardo zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
Auf ein bestimmendes
Physisches wird also geschlossen, welches zugleich auch ein Be-stimmbares
ist, welches demnach nicht gerade so handeln musste, sondern in seinem
Be-stimmen ausgewählt hat von einer ins Unendliche verschiedenen
Mannigfaltigkeit. Kurz, es ist eine physische Kraft wie die meinige,
die bloß von der Freiheit abhängt und bloß von ihr bestimmt wird auf
unendlich mannigfaltige Weise.
Ich denke sie, ich denke sie - wie alles - bestimmt als Quantum, als individuelle /
Kraft. Zugleich erscheint sie mir als etwas Sinnliches im Raume. Also
das Wirkende zu der Auffor-derung fällt mir notwendig aus als ein
materieller, bechränkter Körper. Mein Denken der Vernunft außer mir ist
sinnlich, ich denke so einen Körper nicht bloß, sondern realisiere ihn
auch in der sinnlichen Anschauung, es ist damit Gefühl
verknüpft, nämlich das der mir an-gemuteten Selbstbeschränkung. Dadurch
wird eine sinnliche Gestalt durch Anschauung hingeworfen.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 233f.
Nota I. -
Es geht hier um die 'Reihe vernünftiger Wesen', von der an mich die
'Aufforde-rung' zur Vernünftigkeit ergangen sein soll. Tatsächlich
begegnen mir nur physische Indi-viduen, wie ich eines bin. Auf deren
Vernünftigkeit konnte ich nur schließen - anschauen kann ich sie nicht. Der Vereinigungspunkt - 'Synthesis' - ist, dass ich in 'den Andern' eine physische Kraft erkenne wie die meine: als etwas Sinnliches im Raume; das indes allein von ihrer Freiheit abhängt, wie die meine von der meinen.
Ihre physische Kraft kann ich in ihren Handlungen anschauen. Dass ihnen wie mir Selbst-beschränkung angemutet ist - anzumuten ist? -, fühle ich: Das geschieht vor der Anschau-ung.
Er steckt in einer Sackgasse. Er soll das Geistige in das Sinnliche hineinbringen, schafft es aber nicht. Da kommt ihm das Gefühl als Deus ex machina gerade recht; oder als asylum ignorantiae, wie
die Scholastiker gesagt hätten. Er verniedlicht es zu einem
terminologi-schen Problem, indem er sinnliches und 'intellektuelles'
Gefühl unter dieselbe Kategorie zusammenfasst. Doch was er zur
gefälligen Auflösung seinen Hörern selber überlässt, ist das Problem in all seiner Blöße: Wie kann es sein, dass wir bei aller Freiheit im Denken immer wieder an einen Punkt kommen, wo wir nicht anders können, als ebenso zu urtei-len?
Bei sinnlichen Gefühlen
hilft es oft, die Zähne zusammenzubeißen. Doch als schiere In-telligenz
aufgefasst, habe ich gar keine Zähne.
8. 7. 18
Nota II. - Ja sehen Sie: Da hatte ichs noch nicht recht verstanden. Eines ist es, ein System zu entwerfen, und ein anderes, es als ein solches darzustellen. 'An sich' müsste das Gefühl am Anfang stehen: als die sachliche Bedingung allen Vorstellens. Von da an gäbe es aber keinen Übergang zum tätigen Vorstellen! Der Realist mag wohl das Vorgestellte aus 'den Dingen' selbst ableiten; nur zum Vorstellen selber gelangt er nie. Also muss eine pp. reali-stische (sic) Darstellung bei der Tätigkeit anfangen und nicht bei ihrem Gegenstand.
Noch krasser wird es bei der Aufforderung durch die Reihe vernünftiger Wesen. Genetisch wurde dargestellt, wie 'ein Ich' die Disposition zu vernünftigem Handel 'in sich aufgebaut' haben könnte. Doch wie käme es dazu, aus der Disposition zur Tat zu schreiten? Ex sponte sua hätte es dafür keinen Grund. Es musste schon ein Anstoß - une chiquenaude, sagte ein Spötter - hinzugekommen sein, sozusagen von außen. So wie in der aristotelischen Traditi-on der intellectus possibilis erst vom intellectus agens aus der dynamis zur energeia erweckt wird.
Die scholastische Denkfigur verweist auf die tatsächliche Zweigleisigkeit der Fichte'schen Darstellung: die transzendentale Deduktion auf der Folie der anthropologischen Beschrei-bung - oder doch eher der anthropologischen Beschreibung vorm Hintergrund der trans-zendentalen Herleitung?
Wie immer dem sei: Ihre materiale Grundlegung konnte die Wissenschaftslehre erst in der Materialistischen Geschichtsauffassung finden.
JE
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