Donnerstag, 4. Februar 2021

Fuzzy Logic.


aus FAZ.NET, 4. 2. 2021                                 sanfte Beschleunigung dank Fuzzy Logic                          zuJochen Ebmeiers Realien
 
Fuzzy Logic : Kontrolle einer unscharfen Welt
 
 
Hunde und Pferde sind eindeutig Tiere. Aber ist das Urteil genauso klar, wenn man See-sterne und Bakterien betrachtet? Der Elektroingenieur Lotfi Zadeh bezweifelte das. „Klas-sen von Objekten, die in der realen physikalischen Welt anzutreffen sind, besitzen zumeist keine präzise definierten Kriterien für eine Mitgliedschaft“ – mit dieser These eröffnete er 1965 seinen einflussreichen Artikel „Fuzzy Sets“, „Unscharfe Mengen“. Solche Mengen seien dadurch ausgezeichnet, dass ihre Elemente immer nur zu einem gewissen Grad zu ihnen gehörten. Ein Pferd könnte in solch einem Formalismus dementsprechend „mehr Tier“ sein als ein Seestern. Ähnlich würde die Zahl 10 in geringerem Maße zur Klasse „große Zahl“ gehören als die Zahl 10.000.

Um den Grad der Mitgliedschaft mathematisch handhabbar zu machen, definierte Zadeh für unscharfe Mengen Zugehörigkeitsfunktionen, die für jedes Element Werte zwischen eins und null annehmen können. Zadeh zeigte auch, wie man die Operationen für klassische Mengen, wie sie auf Georg Cantor zurückgehen, Vereinigung und Schnittmenge etwa, auf solche unscharfen Mengen verallgemeinern kann. Vom praktischen Nutzen seiner Über-legungen war Zadeh bereits in diesem ersten Artikel überzeugt. So erwartete er insbeson-dere in den Gebieten der Mustererkennung und Informationsverarbeitung lohnende An-wendungen.

Die Idee brach mit klassischen Vorstellungen. Der große Logiker Gottlob Frege hatte sich 1903 in seinem Buch „Grundgesetze der Arithmetik II“ noch deutlich gegen solch unscharf begrenzte Begriffe ausgesprochen: Sie als Begriffe zu bezeichnen sei nicht korrekt. In der Logik könnten sie nicht akzeptiert werden, da man keine präzisen Gesetze für sie aufstellen könne und sie zudem dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten widersprächen: Entweder ein x fällt unter den Begriff F oder eben nicht. Tatsächlich wurden Zadehs Ideen zunächst von vielen Seiten leidenschaftlich kritisiert und bekämpft, auch wenn er keineswegs der Erste war, der in diese Richtung dachte.

Nichtklassische Logiken, die mit mehr als zwei Wahrheitswerten operieren, hatte bereits der polnische Logiker Jan Lukasiewicz in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts begründet, gefolgt unter anderem von Kurt Gödel, der auf diese Weise versuchte, eine intu-itionistische Logik zu entwickeln. In den folgenden Jahrzehnten waren diese Systeme mehr-wertiger Logik analytisch weiter ausgearbeitet worden. Zadeh setzte sich von diesen Arbei-ten aber ab, indem er den Versuch einer Formalisierung unscharfer Begriffe konsequent vor dem Hintergrund möglicher Anwendungen dachte.

 
Lotfi Zadeh in den sechziger Jahren

Seine Motivation dahinter: Praktische Probleme sind komplex, unsicher, oft unscharf und in ihren Details nur unvollständig bekannt. Um damit umgehen zu können, müssen Methoden diesen Eigenschaften gegenüber eine besondere Toleranz besitzen. Zadeh beschrieb das 1973 als „Prinzip der Unvereinbarkeit“: „In dem Maße, in dem die Komplexität eines Systems wächst, nimmt unsere Fähigkeit, präzise und damit signifikante Aussagen über sein Verhalten zu machen, ab.“ Sprich: Übertriebene Präzision funktioniert immer weniger, je komplexer das Problem ist. Und wenn wir Menschen mit einer komplexen Welt konfron-tiert sind, ist eine präzise zweiwertige Schwarz-Weiß-Logik bald nicht mehr zielführend.

 

 

Gegen den sehr schnell geäußerten Einwand, dass das Geforderte bereits durch Wahr-scheinlichkeitstheorie und Statistik geleistet werden könne, verwehrten sich Zadeh und seine Anhänger strikt: In den genannten Feldern gehe es um Unsicherheit, Fuzzy Logic befasse sich demgegenüber mit Ungenauigkeit oder Unschärfe – also Eigenschaften, die insbesondere den menschlichen Umgang mit der Welt anhand von Sprache und Wahr-nehmung auszeichnen, während wir Wahrscheinlichkeiten vor allem mit Häufigkeiten des Eintretens bestimmter Ereignisse verbinden. Der Streit darüber, ob Fuzzy Logic tatsächlich über die Wahrscheinlichkeitstheorie hinausgeht, dauert bis heute an.

Die enge Verknüpfung von Unschärfe und menschlicher Sprache macht es verständlich, dass Zadeh bei den Anwendungen seiner unscharfen Mengen in Richtung der Linguistik dachte. So entwickelte er bald die Theorie der Fuzzy Algorithmen, in denen „linguistische Variablen“ an die Stelle numerischer Variablen treten. Komplexe Probleme, die vorher jen-seits der begrenzten Rechenkapazität der damals verfügbaren Computer lagen, sollten so numerisch handhabbar werden, indem darauf verzichtet wurde, nach präzisen Lösungen zu fragen.

Die Anwendung der Fuzzy-Theorie in der Linguistik selbst war dagegen weniger erfolg-reich. Die Psychologin Eleanor Rosch, mit der Zadeh kooperierte, hatte zwar eine Bedeu-tungstheorie entwickelt, die auf den ersten Blick sehr gut zur Fuzzy Logic passte – demnach orientierten sich Menschen bei der Bezeichnung von Objekten am Vergleich mit Prototy-pen, Bedeutung könnte entsprechend anhand von Zugehörigkeitsfunktionen erklärt werden –, letztendlich aber verlief die Kooperation mit ihr und dem Linguisten George Lakoff im Sande. Was für Computersysteme gut funktionierte, blieb für natürliche Sprachen zu einge-schränkt. Sprachliche Bedeutung wird schließlich nicht nur durch die Klasse des Bezeichne-ten erzeugt, sondern auch durch Beziehungen zwischen den Begriffen, durch deren Ko-ntext.

Die Stärke der Fuzzy Logic kommt dagegen voll zum Tragen, wenn es um die Regelung dynamischer Systeme geht. Die Verwendung linguistischer Regeln, die durch menschliche Experten formuliert werden können, lieferte, wie sich bald zeigte, schnellere, stabiler arbei-tende Kontrollsysteme, die zudem weniger Informationen benötigten als ihre auf dem Ideal maximaler Präzision beruhenden, klassischen Alternativen.

Waschmaschinen, die mit Fuzzy Logic arbeiten, beurteilen beispielsweise Parameter wie den Stofftyp, den Befüllungs- oder den Verschmutzungsgrad anhand unscharfer Variablen, um auf dieser Grundlage die nötige Dauer, Wasser- und Waschmittelmenge zu bestimmen. Das geschieht anhand von einfach zu formulierenden Regeln wie „Wenn die Wäsche stark ver-schmutzt ist, ist die Waschzeit lang“. Der in den Achtzigern insbesondere in Japan einset-zende „Fuzzy-Boom“ machte die auf Unschärfe beruhende Kontrolle zu einem zentralen Bestandteil vieler technischer Geräte. Und noch heute begegnet uns die Fuzzy Logic in Haushaltsgeräten, selbst wenn mit den heute verfügbaren Rechenleistungen eine Motivation der „Fuzzifizierung“ weggefallen ist.

 


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