wikipedia
aus spektrum.de, 01.02.2021 zuJochen Ebmeiers Realien
Wann machte der Daumen Vormenschen zu Menschen?
Als
Erfolgsrezept in der Evolution des Menschen wird immer zuerst das
Gehirn genannt. Dabei war der Daumen vor zwei Millionen Jahren genauso
wichtig!
von Jan Osterkamp
In
der Evolution zum Menschen spielen neben dem großen Gehirn auch die
Anatomie der Extremitäten eine wichtige Rolle: Es hilft zunächst, nur
noch auf zwei Beinen zu laufen, um die Hände frei zu haben und damit
Werkzeuge benutzen zu können. Und das klappt umso besser, wenn der
Daumen den anderen Fingern anatomisch gegenübergestellt wird: Erst
dieser opponierbare Daumen macht aus den Klettergreifern der Affen die
pinzettenartig greifenden Präzisionswerkzeuge des Menschen. Dabei war
wissenschaftlich lange umstrit-ten, wann die anatomischen Umbauten genau
begannen. Ein Team von um Alexandros Karakostis von der Universität
Tübingen hat das nun mit einem technisch neuen Ansatz herauszufinden
versucht. Das Team kommt im Fachblatt »Current Biology«
zu dem Schluss, dass die Daumen unserer Vorfahren wohl vor rund zwei
Millionen Jahren deutlich geschickter geworden sind – etwa mit dem
Aufkommen des Homo erectus. Dieser war aber vermutlich kaum die einzige Art des Menschen mit dem nützlichen Daumenumbau.
Die Forscher haben nicht wie einige Gruppen zuvor nur die Handskelettstrukturen ver-schiedener Vor- und Frühmenschen untersucht. Stattdessen gingen sie von den Muskelan-satzstellen an den Fingerknochen aus und modellierten virtuell die Muskulatur der Hand in 3-D, um daraus dann biomechanische Schlussfolgerungen zu ziehen. So prognostizierten sie die Geschicklichkeit, mit der die Hände von anatomisch frühen modernen Menschen, dem Neandertaler, Homo naledi und älteren Australopithecinen greifen konnten.
3-D-Modell der frühmenschlichen Handanatomie| Das
Forscherteam modellierte am Computer die Beweglichkeit verschiedener
Früh- und Vormenschenhände. Grundlage waren die Muskelansatzstellen, die
den wahrscheinlichen Verlauf von Muskelsträngen und Geweben nahelegen.
Demnach finden sich die ersten Belege für eine bewegliche
Rolle des Daumens bei den Homininen aus der Swartkrans-Fundstelle, die
vor etwa zwei Millionen Jahren im Süden Afrikas gelebt haben – es
handelt sich um frühe Vertretern der Gattung Homo oder dem Paranthropus, die beide offenbar schon Tiere jagen und geschickt zerlegen konnten. Der Daumen des älteren Australopithecus sediba
ähnelte in seiner Beweglichkeit dagegen eher dem Daumen von
Schimpansen, wie die Analyse zeigt. Das überrascht, weil auch
Australo-pithecinen der Gebrauch von Steinwerkzeugen zugeschrieben wird.
Ebenfalls nicht recht ins bisherige Bild passt der Befund der Hände von Homo naledi: In den Fundstellen dieser etwas mysteriösen, wohl vor noch 250 000 Jahren lebenden Frühmenschenart mit einem eher kleinen Gehirn hatte man bislang keine Spuren für Werkzeuggebrauch gefunden. Die Hände von H. naledi
wären dafür möglicherweise geschickt genug gewesen. Vielleicht, so
diskutieren die Forscher in ihrer Studie, wird hier deutlich, dass das
Volumen eines Gehirns weniger als seine Komplexität darüber entscheiden
könnte, zu welchen handwerklichen und kulturellen Leistungen ein
Frühmensch in der Lage war.
Das könnte Sie auch interessieren: Spektrum Geschichte: 2/2020 Denisovaner
Insgesamt vermuten die Forscher, dass die Geschicklichkeit
der Hände, die damit die höhere Effizienz bei der Jagd und die mit den
so besseren Ernährungsmöglichkeiten einhergehende allmähliche
Vergrößerung des Gehirn sich gegenseitig bedingten. Vielleicht
ermöglichte dies einen Evolutionsschub, der dann dem Homo erectus erlaubt hat, zur ersten global verbreiteten Art des Menschen zu werden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen