Montag, 1. Februar 2021

Gehirn mal Daumen.

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aus spektrum.de, 01.02.2021                                                                                                           zuJochen Ebmeiers Realien

Wann machte der Daumen Vormenschen zu Menschen?
Als Erfolgsrezept in der Evolution des Menschen wird immer zuerst das Gehirn genannt. Dabei war der Daumen vor zwei Millionen Jahren genauso wichtig!

von Jan Osterkamp

In der Evolution zum Menschen spielen neben dem großen Gehirn auch die Anatomie der Extremitäten eine wichtige Rolle: Es hilft zunächst, nur noch auf zwei Beinen zu laufen, um die Hände frei zu haben und damit Werkzeuge benutzen zu können. Und das klappt umso besser, wenn der Daumen den anderen Fingern anatomisch gegenübergestellt wird: Erst dieser opponierbare Daumen macht aus den Klettergreifern der Affen die pinzettenartig greifenden Präzisionswerkzeuge des Menschen. Dabei war wissenschaftlich lange umstrit-ten, wann die anatomischen Umbauten genau begannen. Ein Team von um Alexandros Karakostis von der Universität Tübingen hat das nun mit einem technisch neuen Ansatz herauszufinden versucht. Das Team kommt im Fachblatt »Current Biology« zu dem Schluss, dass die Daumen unserer Vorfahren wohl vor rund zwei Millionen Jahren deutlich geschickter geworden sind – etwa mit dem Aufkommen des Homo erectus. Dieser war aber vermutlich kaum die einzige Art des Menschen mit dem nützlichen Daumenumbau.


Die Forscher haben nicht wie einige Gruppen zuvor nur die Handskelettstrukturen ver-schiedener Vor- und Frühmenschen untersucht. Stattdessen gingen sie von den Muskelan-satzstellen an den Fingerknochen aus und modellierten virtuell die Muskulatur der Hand in 3-D, um daraus dann biomechanische Schlussfolgerungen zu ziehen. So prognostizierten sie die Geschicklichkeit, mit der die Hände von anatomisch frühen modernen Menschen, dem Neandertaler, Homo naledi und älteren Australopithecinen greifen konnten.


3-D-Modell der frühmenschlichen Handanatomie 3-D-Modell der frühmenschlichen Handanatomie| Das Forscherteam modellierte am Computer die Beweglichkeit verschiedener Früh- und Vormenschenhände. Grundlage waren die Muskelansatzstellen, die den wahrscheinlichen Verlauf von Muskelsträngen und Geweben nahelegen.

Demnach finden sich die ersten Belege für eine bewegliche Rolle des Daumens bei den Homininen aus der Swartkrans-Fundstelle, die vor etwa zwei Millionen Jahren im Süden Afrikas gelebt haben – es handelt sich um frühe Vertretern der Gattung Homo oder dem Paranthropus, die beide offenbar schon Tiere jagen und geschickt zerlegen konnten. Der Daumen des älteren Australopithecus sediba ähnelte in seiner Beweglichkeit dagegen eher dem Daumen von Schimpansen, wie die Analyse zeigt. Das überrascht, weil auch Australo-pithecinen der Gebrauch von Steinwerkzeugen zugeschrieben wird. Ebenfalls nicht recht ins bisherige Bild passt der Befund der Hände von Homo naledi: In den Fundstellen dieser etwas mysteriösen, wohl vor noch 250 000 Jahren lebenden Frühmenschenart mit einem eher kleinen Gehirn hatte man bislang keine Spuren für Werkzeuggebrauch gefunden. Die Hände von H. naledi wären dafür möglicherweise geschickt genug gewesen. Vielleicht, so diskutieren die Forscher in ihrer Studie, wird hier deutlich, dass das Volumen eines Gehirns weniger als seine Komplexität darüber entscheiden könnte, zu welchen handwerklichen und kulturellen Leistungen ein Frühmensch in der Lage war.


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Insgesamt vermuten die Forscher, dass die Geschicklichkeit der Hände, die damit die höhere Effizienz bei der Jagd und die mit den so besseren Ernährungsmöglichkeiten einhergehende allmähliche Vergrößerung des Gehirn sich gegenseitig bedingten. Vielleicht ermöglichte dies einen Evolutionsschub, der dann dem Homo erectus erlaubt hat, zur ersten global verbreiteten Art des Menschen zu werden.

 

 

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