Samstag, 16. Oktober 2021

Real ist nicht das Gefühl selbst, sondern seine Veränderung.

Nachtrag zu gestern.

J. W. Roesch                          aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Nota III. - Grund allen Bewusstseins ist das Gefühl, das sich ergibt aus dem Widerstand der - so erst aufgefundenen - Gegenstände gegen die originäre Tätigkeit des Ich. Der formale Logiker wird sagen: Also waren die Gegenstände vorher da. Der genetische Logiker entgeg-net: Von einem An-sich weiß ich nichts, ich rede vom Werden der Vorstellung. Das Gefühl selbst kann noch nicht vorgestellt werden, denn solange es sich gleich bleibt, wird es nicht bemerkt. Es ist der Übergang des einen Gefühls in ein anderes, der bemerkt und angeschaut und schließlich zum Bild wird. (Von da an ist eine Unterscheidung der Mannigfaltigen durch Reflexion und Abstraktion allerdings möglich.)

Und zwar ist nicht die Rede von den einzelnen Sinnesreizen, die nach- und miteinander auf den Organismus einprasseln. Die wären als dieses oder jenes auch nicht zu unterscheiden, sondern nur ein einziger ungestalter Strom. Es sind die Gesamtzustände, zu denen der Or-ganismus die Mannigfaltigkeit der Sinnesreize bildet, die als Ganze unterschieden und ge-fühlt werden.

Ein heikler Punkt: Gefühl ist ein Zustand des Leidens, des Unfreiseins. Es ist ein Zustand, wo das Ich tätig sein will, aber nicht kann. Wie das bei Gegenständen in Raum und Zeit zu verstehen ist, liegt auf der Hand. Doch in den jeweiligen Gesamtzustand des Organismus gehen auch die Widerstände ein, auf die seine intellektive Tätigkeit stößt - der ominöse Denkzwang. Phänomenal ist es offenkundig, dass in meine momentane Gemütsverfassung physische Gefühle und sinnhafte Vorstellungen gleichermaßen eingehen. Doch wie eine Synthesis möglich ist, erklärt Fichte nicht. Es ist auch nicht wirklich Sache der Transzen-dentalphilosophie, einen solchen Nachweis zu erbringen. Doch die Bedingungen der Mög-lichkeit sollte sie schon angeben können.

Das Problem im engeren Verständnis ist: Vom Gefühl des Denkzwangs kann ich abstra-hieren - vielleicht nicht aus Freiheit, aber im Wahn; vom physischen Gefühl kann ich nicht absehen, höchstens mich - durch viel Willen - ablenken. Jedoch: Der Wahnsinnige sieht vom Denkzwang nicht ab, sondern der Wahn ist eben, dass er ihn gar nicht empfindet. Aber so beißt sich die Katze in den Schwanz.

30. 11. 18

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