Donnerstag, 21. Oktober 2021

Stammt das Ich aus dem Bewussstsein oder das Bewusstsein aus dem Ich?


aus spektrum.de, 21. 10. 2021                                                                                                          zu Jochen Ebmeiers Realien

Die Psychologie des menschlichen Geistes
Wie lässt sich Bewusstsein erklären? Der ehemalige Direktor der Max-Plack-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften widmet sich in seinem neuen Buch dieser anspruchsvollen Aufgabe.

Eines vorneweg: Das Buch lohnt sich. Wolfgang Prinz, emeritierter Direktor des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, entwickelt auf 300 Seiten Ansätze und Ideen, um die Erklärung menschlichen Bewusstseins voranzu-bringen. Er will damit nachholen, was die Psychologie in seinen Augen bisher versäumt hat: Bewusstsein mittels psychologischer Theorien begreiflich machen.

Tief gehende Auseinandersetzung mit dem menschlichen Geist

Das Werk ist in drei große Abschnitte aufgeteilt. Im ersten setzt sich der Autor mit der Psychologie als wissenschaftlicher Disziplin auseinander und attestiert ihr zunächst nicht nur mangelnde Kompaktheit, sondern auch fehlendes
Bewusstsein erklären Selbstbe-wusstsein. Fundiert legt er dar, was die Disziplin leisten kann und muss – oder eben nicht, wenn es um die Erklärung von Bewusst-sein geht.

Wolfgang Prinz
Bewusstsein erklären
Verlag: Suhrkamp, Berlin 2021
ISBN: 9783518299593 | Preis: 24,00 € 
 
Die tief gehende Auseinandersetzung dient auch dazu, Bewusstsein in Anlehnung an Brentano auf die »implizite Anwesenheit eines Ichs« zurückzuführen. Wird das Ich hingegen als ein Produkt des Bewusstseins verstanden, müsste man die sehr viel schwierigere Frage beantworten, woher das Bewusstsein stammt. Aber wie kommt in einem sonst subjektlosen Universum Subjektivität in die Welt, und wozu ist sie gut?

Im Rahmen eines Gedankenexperiments erweitert Prinz das bisherige Konzept der Reprä-sentation zur Selbstrepräsentation. Während primäre Steuerungssysteme die Umwelt abbilden, wird die Beziehung zwischen Primärsystem und Umwelt durch sekundäre Steuerungssysteme repräsentiert. Selbstrepräsentation könne somit das widerspiegeln, was Subjektivität als zentrales Kennzeichen bewussten Erlebens in der intentionalen Beziehung zwischen Inhalt, Akt und Subjekt beinhaltet.

Im zweiten Abschnitt des Buchs diskutiert Prinz, wie die Sekundärsteuermechanismen entstehen könnten. Zunächst unterscheidet er implizite und explizite Repräsentationen. Letztere gründen auf ersteren und sind daher deutlich komplexer. Während implizite Repräsentationen eine effiziente Handlungssteuerung ausreichend erklären, so Prinz, integrieren explizite Repräsentationen sowohl Informationen über Dinge als auch über das System, das sie darstellt. In anderen Worten: Repräsentiert wird nicht nur das, was ein Individuum über die Welt weiß, sondern auch, von wem und in welcher Form dieses Wissen besessen wird. Das sei nicht nur die Grundvoraussetzung für bewusstes Erleben, sondern auch, um zwischenmenschliche Interaktionen und Kommunikation zu ermöglichen.

 

 

Darüber hinaus erläutert Prinz, wie Subjektivität und Bewusstsein durch soziale Spiegelpro-zesse entstehen könnten: »Menschen werden dadurch zu bewusst wahrnehmenden und denkenden Subjekten, dass sie sich zu eigen machen, was sie anderen zuschreiben, und dass sie wahrnehmen, was andere ihnen zuschreiben.« In den folgenden Kapiteln erörtert der Autor, wie Subjektivität und Bewusstsein von sozialen Praktiken und Diskursen abhängt und durch sie geformt wird. Dabei diskutiert er auch, inwiefern Tiere und Maschinen über Bewusstsein verfügen können.

Im letzten Abschnitt wendet sich Prinz zunächst der Frage zu, wie real Bewusstsein ist, wenn es sich schlussendlich bloß um ein soziales Artefakt handle. Der Autor ist überzeugt, ein Illusionsverdacht könne ausgeräumt werden. Selbst wenn Subjekte sozial gemacht sind, gibt es sie wirklich. Und wie steht es um den freien Willen? Dass sich Psychologen zu dieser Thematik äußern, hält Prinz für in etwa so notwendig wie den Vortrag eines Zoologen zu Einhörnern. Denn aus psychologischer Perspektive sei die Freiheit des Willens zu leugnen. Das intuitive Erleben subjektiver Freiheit lasse sich allerdings aus der Rolle des mentalen Selbst heraus erklären. Demnach habe der Mensch zwar von Natur aus keinen freien Willen, könne ihn sich aber durch Zuschreibungen zu eigen machen. Wegen der damit einhergehenden positiven sozialen Implikationen, etwa Verantwortlichkeit, ist dies aus Sicht des Autors zu begrüßen.

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Wem die beschriebenen Inhalte bekannt erscheinen, irrt nicht. Bis auf die vergleichsweise kurzen Kapitel 11 und 12 beruhen die Ausführungen von Prinz auf bereits veröffentlichten Beiträgen aus den letzten 25 Jahren. Dass die für das vorliegende Werk überarbeiteten und zusammengeführten Beiträge »Spuren ihrer Herkunft« enthalten, gesteht Prinz gleich zu Beginn ein. Die zusätzliche inhaltliche Tiefe und Dichte seiner Ausführungen sowie eine komplexe Gedankenführung machen die Lektüre nicht immer einfach. Wer sich aber darauf einlässt, darf einen intellektuellen Lese- und Erkenntnisgenuss erwarten.

 

Nota. - Das ist löblich, dass ein Vertreter einer realen und empirischen Wissenschaft daran macht, 'Bewusstsein' und 'Ich' mit den Mitteln seiner Disziplin, der Psychologie, zu be-schreiben, ohne dabei auf Schritt und Tritt im  begrifflichen Arsenal der Philosophie zu wildern, das dazu nicht taugt und dafür nicht gedacht war. 

Die eine erklärt, soweit es ihr gelingt, was das Ich und was sein Bewusstsein ist; die andere beansprucht, einen Sinn darin aufzufinden - oder richtiger: hineinzufinden. Nur, wenn sie alle Erwägungen, die über das Faktische hinausweisen, aus ihren Untersuchung fernhalten, kann eine Wissenschaft wirklich positiv und empirisch sein: Die Frage nach einem Natur-zweck gehört nicht in die Wissenschaft, sondern höchstens in die Religion. Und nur, wenn jene begreift, dass sie in geprüfte Fakten einen Sinn hineindeuten muss und nicht in eine gefällige Auswahl, darf sie das Spekulieren überhaupt beginnen.

Will sagen: Die Trennung ist die wissenschaftliche Bedingung für beide - und bleibt es bis zum Schluss. Einen "Übergang" kann es nicht geben und braucht es nicht zu geben, und schon, wer danach sucht, bewegt sich auf abschüssiger Bahn.

Ein Problem ergibt sich freilich nicht auf der spekulativen, sondern auf der empirischen Seite. Empirische Forschung beruht auf dem Kausalitätsprinzip: Was immer geschieht, hat eine hinreichende Ursache. 

Die ist beim Bewusstein ja eben fraglich. Irgendeine Ursache muss es geben, doch die al-lerletzte oder allererste kann es nicht sein, denn die wäre - ohne Ursache. Ein experimentell nicht nachweisliches X, ein irgendwie latentes Vor-Ich muss auch der Empiriker annehmen, obwohl er es im Ernst gar nicht darf. Er kann den Philosophen nur beneiden.

JE

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