
Man hat, und ich selbst habe mich oft des Ausdruck bedient: Ordnung einer übersinnlichen Welt. Man versteht dies unrichtig – und man kann freilich nicht auf alle möglichen Mißver-ständnisse rechnen und ihnen vorbauen -, wenn man glaubt, die übersinnliche Welt sei, ehe sie geordnet worden, und die Ordnung sei erst ein Akzidens derselben. Nein: sie selbst wird Welt nur dadurch, daß sie geordnet wird.
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J. G. Fichte, Rückerinnerungen, Antworten, Fragen S. 166
Nota I. - Das war nicht unumgänglich, dass Fichte sich in Jacobis Falle begab. Die gegen-läufige problematische, aktualistische Tendenz scheint immer wieder hervor. So wie es das Sittengesetz nicht 'gibt', sondern "selbstgemacht" werden muss, kann auch eine moralische Weltordnung - und etwas anderes könne die 'göttliche Weltregierung' ja nicht bedeuten - nicht als seiend voraus gesetzt, sondern nur als sein-sollend gesetzt werden. Und zwar nicht nur das Dass, sondern auch das Was.
JE. 8. Mai 2014
Nota II. - Der Anfang von allem, nämlich von allem Vorstellen, ist das Gefühl: Eine sinnliche Welt ist das Gegebene - nein: Gegeben ist die Mannigfaltigkeit der Gefühle. Die freie Tätig-keit beginnt mit dem Anschauen des jeweiligen Gefühls und seiner Identifizierung als Dieses: "reale" Tätigkeit. Die Synthesis der mannigfaltigen Angeschauten zu einer Welt ist eine Lei-stung - eine der höheren - der Reflexion: "ideale" Tätigkeit. Die angeschauten Mannigfaltigen verdoppeln sich durch die Synthesis einerseits zu Phänomenen - 'Dingen' -, andererseits zu Nou-menen: Begriffen, in denen die Phänomene vorgestellt werde, als seien sie an sich. So wie eine reale und phänomenale Welt durch Reflexion erst gebildet werden musste, wurde eine 'intelli-gible' Welt in der Vorstellung synthetisiert. Der springende Punkt: Die phänomenale Welt ist a posteriori nach der Synthesis durch unsere Erfahrung, während die intelligible Welt als a pri-ori gegeben erscheint. Denn wenn die Begriffe als an-sich-seiend aufgefasst werden, dann 'sind' sie alle auf einmal. Die Synthesis scheint unserem Erkennten der Begriffe vorausge-setzt. Dabei muss sie in der Vorstellung erst noch durchgeführt werden.
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Der springende Punkt? Es kommt noch einer, der springt höher und weiter.
Jeder phänomenale Erfahrungsbegriff wird verdoppelt zu einem noumenalen An-sich. Aber die intelligible Welt ist mehr als bloß die ideelle Verdoppelung der Erfahrungswelt. Durch das Gefühl ist die Einbildungskraft gebunden - weiter als bis zur Anschauung kommt sie noch nicht. Und wenn sie sich zum Reflektieren entschließt (was sie immerhin aus Freiheit täte; sie kann es unterlassen), dann muss sie es auf Dieses tun. Doch in sich selber hat die Einbil-dungskraft keine Grenze. Sie mag sich aus Freiheit an diesem oder jenem Gefühl aufhalten; aber damit ist sie nicht erschöpft. Sie kann wenn sie will darüber hinaus gehen, sie hat noch Kapazitäten frei. Der Begriff der Einbildungskraft hat überhaupt nur unter dieser Voraus-setzung einen Sinn. Sie mag ins Unendliche gehen und sich an keinem Punkt binden lassen.
Sie kann spinnen. Der Urtyp allen Begriffs ist der Zweckbegriff: Die Einbildungskraft ist produktiv nicht schon, indem sie sich 'etwas einbildet', sondern in specie, indem sie Zwecke setzt. Nur so kann das intellektual oder sinnlich Angeschaute zu einer Bedeutung finden: einen Punkt, auf den das Wollen absehen kann. Und ob der Begriff für den Zweck taugt, wird die Erfahrung weisen.
Im Reich der Noumena ist dagegen alles möglich. Die Frage ist freilich, ob sich alles schickt. Und da im Reich der Noumena keine Erfahrungen möglich sind, sind im Reich der Nou-mena keine Erfahrungsurteile möglich, sondern nur Urteile a priori. Urteile ohne Erfahrung und ohne Begriff. Mit andern Worten: ästhetische Urteile.
JE
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