
Das Wissenschaftsmagazin scinexx berichtet
dieser Tage von einer Untersuchung an der Universität Regensburg, der
zufolge im Langzeitgedächtnis keineswegs nur gespeichert wird, was vom
Individuum beachtet und folglich ins Kurzzeitgedächtnis aufgenommen
wurde. "Unser Gedächtnis
speichert offenbar viel mehr Informationen langfristig ab als bisher
angenommen. Demnach schafft es nicht nur ein kleiner ausgewählter Teil
aus dem Kurz-zeit- in den Langzeitspeicher – sondern fast jeder
Wahrnehmungsmoment, wie ein Experiment nun nahelegt. Lassen sich diese
Ergebnisse bestätigen, ergeben sich daraus weitreichende Konsequenzen
für aktuelle Modell-vorstellungen zum menschlichen Gedächtnis."
Die Aufmerksamkeit entscheidet also nur darüber, was im Kurzzeitgedächtnis gespeichert wird - und baldige Re-aktion erfordert. Was ins Langzeitgedächtnis kommt - entscheidet das der Zufall, oder wählt 'das Gehirn' nach eigenen Kriterien?
Für die Schule würde es übrigens bedeuten, dass konzentriertes Büffeln gar nichts nutzt. Was nicht von allein hängenbleibt, kann auch durch Aufmerken nicht behalten werden.
*
Die Frage, was wir uns unter unserm Bewusstsein vorstellen, erscheint so in neuem Licht - denn offenbar ist ja das Kurzzeitgedächtnis ein Teil davon.
Das nächstliegende Bild vom Bewusstsein ist das von mehreren Schichten oder Stufen. An der Oberfläche eine allzeit wache und zugängliche Schicht und darunter ein mehrschichtiger Untergrund, in den nur bei besonderer Aufmerksamkeit eingedrungen werden kann (oder, wie die Freudianer behaupten, auch dann nicht).
Dem entspricht die landläufige Vorstellung vom Gedächtnis. Oben das Kurzzeitgedächtnis, durch das alle Wahrnehmungen hindurchgehen und dann unter gewissen Umständen mehr oder weniger tief ins Langzeit- gedächtnis absinken. Was nie beachtet wurde, fände auch dort keinen Platz. Beide Schichten des Gedächtnisses lägen im selben Raumabschnitt übereinander und unterschieden sich durch Grad ihrer Durchlässigkeit. Die Stufen ließen sich, auf- und abwärts, nur je nacheinander erreichen.
Das Langzeitgedächtnis wäre immer nur durch das Kurzzeitgedächtnis hindurch erreichbar und erforderte größeren Aufwand (den nicht jeder jederzeit leisten kann oder will). Nach der neuen Untersuchung müsste das Modell verändert wären. Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis lägen 'im Raum' neben einander; das eine wäre dem freien willen zugänglich, das andere würde sich - unter welchen Bedingungen?* - mehr oder weniger spontan von alleine melden.
Wie könnte unter diesen Umständen aber von einem Bewusstsein geredet werden?
Die Antwort erbrächte eine andere Untersuchung, die ebenfalls noch neu ist. Mehr oder wenige 'bewusst' unterschiede sich nicht nach Schichten, sondern nach Intervallen. Danach "ist das Bewusstsein lediglich in Zeit- intervallen von bis zu 400 Millisekunden aktiv, während dazwischen Lücken unbewusster Reizverarbeitung liegen".
Damit ist 'Bewusstsein' nicht abschließend erklärt, aber es eröffnet der Forschung ein ganz neues Feld. Und es sei nicht verschwiegen, dass auch diesmal die Transzendentalphilosophie der empirischen Psychologie einen Schritt voraus war; denn für sie ist 'Bewusstsein' kein Zustand, sondern eine (gewollte) Handlung.
PS. So wird übrigens plausibel, dass im Langzeitgedächtnis auch 'Informationen' Platz finden, die nicht von außen in den Organismus kommen, sondern von ihm selbst produziert wurde; und die nie 'bewusst' waren - aber unter Umständen werden können? Da wäre nur die Sprache im Weg.
*) Man ist sogleich an
die englische Assoziationspsychologie erinnert, die der abtrünnige
Fichtianer Herbart in Deutschland eingeführt hat.
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