
aus FAZ.NET, 11.08.2020 Ein Bildhauer peitscht den Himmel: Die Landschaft mit den drei
galop-pierenden Pferden von Fritz von Graevenitz wurden für das
Städtische Kunstmuseum für eine astronomische Summe angekauft.
NS-Bilder in Stuttgart: Kunst im Dienst der Dikta-tur
Akribisch wurde die Provenienzgeschichte der Bilder für ein geplantes NS-Museum für Schwäbische Kunst in Stuttgart untersucht. Dabei fand sich auch viel Neues aus der Übergangszeit der Malerei zwischen Weimarer Republik und Nationalsozialismus.
Von Stefan Trinks
Man könnte meinen, über die Ausstellung „Der Traum vom Schwäbischen Museum“ im Stuttgarter Kunstmuseum müssten nicht allzu viele Worte verloren werden - eine von mehreren Institutionen in der Landeshauptstadt, die in diesem Fall systematisch seit 1924 schwäbische Kunst sammelt und nun ihre braune Vergangenheit durch den Kurator der Schau und Provenienzforscher des Hauses, Kai Artinger, umfassend aufarbeiten ließ. Was dabei herauskam, belegt indes nicht nur aufs Neue die Bedeutung jeder Provenienzfor-schung; es vermag auch das gesamtdeutsche Bild vom Bruch in der Kunst zwischen Weimarer Republik und NS-Zeit zu erschüttern.
In den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft wurden für das Stuttgarter Kunst-museum unglaubliche 2278 Kunstwerke angekauft, mehr als je zuvor oder danach, und dies teils für astronomische Summen, weil die durch und durch korrupte Partei auch auf der Ebene der Kunst um keinen Deut weniger verderbt war. Wie die Nationalsozialisten im Autobahnbau vorhandene Pläne der Weimarer Regierung realisierten, übernahmen sie auch ein amerikanisches „New Deal“-Projekt, das als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Maler Bilder in alle Rathäuser, Amtsstuben und Spitäler brachte und sich viele der Künstler damit gewogen machte. Schon mit diesen wenig bekannten Fakten beginnt es spannend zu werden und weit über den schwäbischen Horizont hinaus auszugreifen.
Im ersten Saal pflastern Landschaften in Petersburger Hängung alle Wände. Mehr als fünfzig Prozent der NS-Ankäufe waren Naturbilder. Der völkischen Mär der Nationalsozialisten zufolge hätten sich schwäbische Maler angeblich „besonders gut“ in Landschaften auszudrücken vermocht. Was man in den knapp achtzig Bildern sieht, sind banalste Feldwege durch Eichenwälder und Kornfelder. Aber auch kuriose Perlen. Eine große offene Landschaft mit drei preschenden Pferden von Fritz von Graevenitz etwa bietet mit dem schier endlosen, dräuenden Himmel eine morbide Mischung aus dem „Mönch am Meer“ Caspar David Friedrichs und den wirbelnden Firmamenten Turners.
Von Graevenitz war eigentlich Bildhauer und malte erst seit einer schweren Augenerkran-kung im Jahr 1939; überzeugter Nationalso-zialist hingegen war er fast von der ersten Stunde an. Das macht das Bild nicht schlechter. Ähnlich verstörend sind die gemalten schwarzen Palmensilhouetten im Kitsch-Sonnenuntergang schräg gegenüber auf einem extremen Hochformat. In Farbwahl und Malweise fehlte nur die schöne Afrikanerin, um das Gemälde auch in die Siebziger datieren zu können. Es stammt indes von dem ebenfalls stramm politischen Maler Fritz Lang, der es auf einer Afrika-Reise malte. Unmissverständ-liche Propaganda war damit kaum zu betreiben, dennoch wurden weitere Langs angekauft und gezeigt.
Die Kernfrage drängt sich immer wieder auf: Was wäre klar nationalsozialistische Malerei? Am eindeutigsten scheint die Frage noch bei dem Bild „BDM-Mädel“ von Fritz Ketz aus dem Jahr 1940 zu beantworten. Das blonde Mädchen trägt die Binde mit dem Abzeichen des „Bundes Deutscher Mädel“ und die charakteristische braune Jacke. Und doch sät der Maler Ketz - der selbstgestrickten Legende nach selbst von spätestens 1940 an Dissident - Zweifel: Haltlos traurig statt sieges- oder selbstsicher blickt diese Heranwachsende; viel zu modern auch und beunruhigend unruhig ist der Hintergrund, mehr gespachtelt denn gemalt. Vor allem aber hält das Mädchen in der schlaff herabhängenden rechten Hand drei welkende Primeln.
Sage niemand, derartige Botschaften durch die Blume würden von „normalen“ Betrachtern nicht verstanden - in einem anderen totalitären System Deutschlands sorgten die traurig auf dem Tisch vor der „Ausgezeichneten“ Wolfgang Mattheuers liegenden drei Tulpen für einen riesigen Skandal - in einem Arbeiter-und-Bauern-Staat hatte es eben nur glückliche freilaufende Werktätige zu geben; lange Gesichter und hängende Belohnungsblumen galten als konterrevolutionär.
Genau dies ist der Untertitel von Berthold Hinz’ 1974 erschienener Dissertation „Die Malerei im deutschen Faschismus – Kunst und Konterrevolution“, die bis heute unerreicht geblieben ist und das Fundament auch der Stuttgarter Ausstellung bildet. Die Übergänge sind fließend.
Was auch der neusachlich malende Hermann Tiebert zeigt, dessen Stil sich in nichts verändert hat. Tieberts 1936 für das Museum erworbener „Schäfer auf der Alb“ weist mit dem harten Vollprofil im Stil von Renaissance-Porträts und der dem aufragenden Felsen im Hintergrund angeglichenen granithart gekerbten Gesichtsland-schaft dieselben stilistischen Merkmale wie die vor 1933 entstandenen Bilder auf. Nicht einmal seine politische Einstellung hatte Tiebert ändern müssen: Bekannte er sich bereits in den Zwanzigern zu einer völkischen Einstellung, konnte er nach der Machtübernahme vollends - und noch besser bezahlt als zuvor - seinen gemalten rassetheoretischen Phantasien blonder Schwabenmädel und unerschütterlicher Albbauern in Strahlgewittern frönen.
Viel verwirrender liegt da der Fall bei Arnold Waldschmidt. Der Leib seines „Stiers“ von 1933/34 zerfällt in Kompartimente reinsten Kubismus und könnte auch von Picasso stammen. Als hochdotierter Professor der Stuttgarter Akademie der Künste war er aber zugleich SS-Obersturmbannführer, mithin politisch nicht unschuldig. Künstlerisch offenbart sich das jedoch nicht.
Zerrissen darf man trotz des martialisch primitiven Titels bei Martin Sternagels Aquarell „Landsers Sonnenaufgang“ von 1941 sein. Durch die beiden geöffneten Fensterflügel flutet ein Licht herein, das mit dem wichtigsten präimpressionistischen Bild, Menzels „Balkon-zimmer“ von 1842, um die Wette glitzert. Die Gartenlandschaft vor dem Fenster mit ihren hohen Tannen ist meisterlich und modern zugleich. Wäre da nicht das auf dem Stuhl inmitten des Raums abgelegte Maschinengewehr und der Pistolenhalfter an der Lehne, würde sich das Aquarell heute noch in jeder Sammlung sehen lassen.
Das genau scheint der unauflösliche Konflikt zu sein: Natürlich wurden zum Militärdienst auch viele Künstler eingezogen, und der Titel „Künstlers Sonnenaufgang als Landser“ wäre für Heutige wesentlich weniger unangenehm. Wer in einer Propagandakompanie künstlerisch arbeitete, hatte aber entsprechend zu malen und zu titeln. Die Hoffnung stirbt zuletzt, dass, wer derart sensibel das morgendliche Sonnenspiel auf den Dingen einfing, noch nicht verroht war und eine Stunde später ein ukrainisches Dorf abfackelte. Sicher wissen kann dies freilich niemand.
Im letzten der acht Säle werden ausgewählte, wenngleich langwierige Restitutionsfälle vorgestellt. Als 1937 in der Aktion „Entartete Kunst“ alle deutschen Museen missliebige Kunstwerke aussondern mussten, meldete das Stuttgarter Kunstmuseum stolz, dass sich in seinem längst „gesäuberten“ Bestand kein einziges abzugebendes befände. Dafür wurden zahlreiche ältere Bilder aus jüdischen Sammlungen eingezogen und mit „neuen“ Zuschreibungen versehen, darunter etwa Bernhard Pankoks bezauberndes Oval-Porträt der kleinen „Grete Marx“ von 1915, die im Lauf der Jahre in die Tochter des in Stuttgart sehr populären Porträtmalers „umgetauft“ wurde. Oder auch ein sehr besonderer Fall aus der Familiensammlung des Philosophen und Soziologen Max Horkheimer, um deren Wiederbeschaffung sich dieser nach dem Krieg vergebens mühte.
In der eher traditionellen Kollektion mit überwiegend Bildern des neunzehnten Jahrhunderts hatten sich auch das kubische „Schwäbische Dorf“ Theodor Werners von 1927 sowie ein Bild Christian Landenbergers befunden, der mit seinem rätselhaften Gemälde „Schwarzer und weißer Akt“ - eine junge nackte Weiße steht neben einem deutlich größeren schwarzen Aktmodell - in der Stuttgarter Museumssammlung vertreten war, sich aber auch schon in den Zwanzigern durch seine dezidiert völkische und antisemitische Einstellung diskreditiert hatte.
Es bleibt die wenig überraschende, dennoch nicht weniger wichtige Erkenntnis, dass Bilder allein noch nicht notwendigerweise böse sind und etwas über Einstellung und Intention ihrer Schöpfer preisgeben. Da diese nach 1945 aber oft schwiegen, müssen die Museen nach dem Vorbild Stuttgarts Bild für Bild die Quellen zum Sprechen bringen.
Der Traum vom Museum „schwäbischer“ Kunst. Im Kunstmuseum, Stuttgart; bis zum 1. November. Der Katalog kostet 29 Euro.
Nota. - Als bildliche Darstellungen begannen, die wir heute verallgemeinernd als Kunst be-zeichnen, waren sie kultischer, repräsentativer und progangandistischer Art. Sie dienten mehr oder minder klar umrissenen Zwecken. Eine Kunst um ihrer selbst willen begann zaghaft in der italienischen Renaissance und nahm einen stürmischen Aufschwung mit der holländischen Landschaftsmalerei des Goldenen Zeitalters. Diese Bilder waren nur noch da, um angeschaut zu werden. Die Landschaft bietet, C. D. Friedrichs ungeachtet, wenig An-satzpunkte, um sie einem Programm zuzuordnen. Sie bietet im Gegenteil reichliche Versu-chung, von der Gegenständlichkeit abzusehen (ohne freilich auf Gegenstände verzichten zu müssen). So geschehen in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.
Mit der obligaten Ungegenständlichkeit der Bildenden Kunst in den 1950er Jahren ist Kunst-geschichte im Sinne eines selbstständigen Fachs eigentlich abgeschlossen. Seither beobach-ten wir ein unentschlossenes Hin und Her zwischen allem schonmal Dagewesenen, und die Ahnung kommt auf, die Zeit des Tafelbilds, das ohnehin nur eine westliche Erscheinung war, sei um. Ob etwas, das über Dekoration und Spekulation hinausgeht, übrigbleiben wird, steht in den Sternen.
Eines ist aber wohl sicher: Für eine kultisch-repräsentativ-propagandistische Kunst ist die Zeit ein für allema. vorbei, der Versuch, sie wiederzubeleben, hat bislang immer nur Agit-prop-Kitsch hervorgebracht.
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Zurück zum obigen Beitrag. Die Bilder, die für das geplante Schwäbische Museum gesam-melt wurden, entstanden gerade an der Epochengrenze. Und an der Schwelle zum Natio-nalsozialismus. Vom Standpunkt der Kunst war die Zeit für politische Bekenntnisse vorbei, der Expressionismus hatte gerade eben der nüchternen Neuen Sachlichkeit Platz gemacht. Vom nationalsozialistischen Standpunkt fing sie eben erst an.
Zwar wurden es statt tausend nur ein Dutzend Jahre, aber das waren zwölf zu viel. Rück-blickend ist zu sagen: Dass Kunst eo ipso politisch sei, behaupten nurmehr die Stümper und die Totalitären. Es gibt politische Gebrauchkunst, das ist ein Genre für sich und muss, von John Hartfield bis Klaus Staeck, für sich bewertet werden. Ansonsten kann ein Künst-ler ein politischer Mensch sein wie jedermann, und in einem repräsentativ verfassten Ge-meinwesen sollte er es wohl auch. Doch das schuldet er seinen Zeitgenossen nicht mehr als irgendein anderer Werktätiger. Sofern die Kunst eine öffentliche Instanz geworden ist, aber immer mehr zu sein aufhört, nimmt man an, dass die Werke eine überpersönliche allge-meine Geltung beanspruchten. Aber das ist fast schon ein Anachronismus.
JE
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