Mittwoch, 12. August 2020

Freiheit von Wissenschaft.

  zuJochen Ebmeiers Realien

aus spektrum.de, 12.08.2020

Kleine Geschichte eines Mannes, der die Genetik der UdSSR zerstörte 

Die Vererbungslehre sei unsozialistisch und falsch. Davon war Trofim Lyssenko überzeugt. Der Agrarwissenschaftler hatte mit seinen pseudowissenschaftlichen Thesen großen Erfolg. Denn an der Staatsspitze saß ein prominenter Befürworter.

Unter der Ägide von Stalin

Es dauerte nicht lange, da bekam Lyssenko die Unterstützung von ganz oben: Josef Stalin, Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, war von Lyssenkos Arbeit überzeugt und setzte große Hoffnung auf ihn. Lyssenkos Methoden klangen viel versprechend: Sämtliche Verbesserungen bei der Pflanzenzucht in der Gegen-wart würden sich direkt auf das Erbgut kommender Generationen auswirken, was die Er-nährungssituation in der Sowjetunion sofort und nachhaltig verbessern würde.

Lyssenko pflegte das Image eines einfachen Bauern und war auch als der barfüßige Aka-demiker bekannt. Doch seine Experimente genügten keinem bekannten wissenschaftlichen Standard. Zudem konnte später nachgewiesen werden, dass er Ergebnisse gefälscht hatte. Wissenschaftlich war der Lamarckismus zu jener Zeit ohnehin längst überholt – und so hatte die zunehmende Verbreitung des Lyssenkoismus fatale Folgen.

Zerstörte Spitzenforschung

In der Sowjetunion forschten damals einige der weltweit führenden Genetiker. Aber damit war nun Schluss – unter Lyssenkos Federführung wurde die Genetik als »faschistische und bourgeoise Wissenschaft« diskreditiert und der Lyssenkoismus als alleinige Lehrmeinung festgeschrieben. Während des so genannten Großen Terrors zwischen 1936 und 1938 wurden zahlreiche Forscher drangsaliert und getötet. Tausende Biologen und Genetiker verloren ihre Arbeit, wurden verhaftet und verfolgt.

International wurde die Situation der Genetik in der Sowjetunion mit Sorge beobachtet: 1937 erschien eine Studie in »Nature« mit dem Titel »Genetics and Plant Breeding in the USSR«. Die Autoren verwarfen Lyssenkos Arbeit vollständig, ihr Urteil über seine Metho-den war vernichtend. Und: Lyssenko konnte auch keine Erfolge vorweisen – im Gegenteil: 1946/47 kam es zu einer Hungersnot. Auf seine Anweisung hin waren große Flächen mit Weizen bepflanzt worden, die klimatisch dafür nicht geeignet waren. Die Folge: Missernten.

Nach Stalins Tod 1953 büßte Lyssenko zwar immer mehr an Einfluss ein, aber seine Posten verlor er erst 1965, als Teile der sowjetischen und internationalen Wissenschaftsgemeinde ihn und seine Thesen offen ablehnten. 1965/66 ließen die Behörden dann sogar der Biolo-gieunterricht in der Sowjetunion aussetzen, um den Lyssenkoismus aus den Lehrplänen zu streichen.

Renaissance des Lyssenkoismus

Lyssenko hatte die biologischen Wissenschaften in der Sowjetunion nachhaltig geschädigt. Gänzlich vom Tisch sind seine Thesen aber noch nicht. Seit einigen Jahren beobachten Ex-perten in Russland einen Neo-Lyssenkoismus: So ziehen manche Forscher eine Traditions-linie vom Lamarckismus über Lyssenko bis zur Epigenetik. Wissenschaftshi-storiker warnen bereits vor dieser Entwicklung: Der Lyssenkoismus dürfe nicht wieder als Wissenschaft aufgewertet werden.

 

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