Montag, 28. Februar 2022

Gedanken lesen?

                                                 aus Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem                                                                       
Wird jemals ein Mensch (oder eine Maschine) eines Andern Gedanken lesen können? Es bedürfte einer Maschine, die die mit Bild-gebenden Verfahren gewonnenen Informationen aus dem analogen Modus in den digitalen übersetzen könnte - denn anders ist Bedeutung nicht darzustellen. Das setzte voraus, dass Bedeutungen Objektiva wären, denen irgend-wann willkürliche Zeichen objektiv zugeordnet werden könnten. Das sind sie schlechter-dings nicht.

Man könnte allenfalls - und das ist in Ansätzen geschehen - herausfinden, welche (vernom-menen) Bedeutungen ein Individuum regelmäßig in welche Bilder umzusetzen pflegt. Dann ließen sich die Bilder in Bedeutungen rückübersetzen - für dieses Individuum und für jede Bedeutung extra. Gäbe es ein Standardhirn, das wir im großen Ganzen alle miteinander teilen - wie eine Leber oder eine Niere -, ließe sich theoretisch eine Standardliste erstellen - die allerdings nur ungefähr gelten könnte. Das bedeutet praktisch, dass sie nicht gelten wür-de; denn bei Bedeutungen kommt es auf Feinheiten an. Mehr als eine Feinheit ist aber, ob eine beobachtete Bild-Bedeutung im Frage- oder gar Verneinungsmodus gemeint ist - die schlechtedings auf analoge Weise gar nicht wiedergegeben werden können.




Diese Überlegungen werden hinfällig, wenn das Gehirn eines jeden sich in seinem Aufbau von dem eines jeden andern unterscheidet. Dann ist eine Standardisierung von Bild-Bedeu-tungen ausgeschlossen. Man darf sich diese Horrorvision getrost aus dem Kopf schlagen.
 
1. 10. 18; Kommentar zu Jedes Gehirn ist einzigartig



Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Bedingung wechselseitiger Anerkennung.

businessinsider                  aus Wissenschftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Der aufgestellte Begriff ist höchst wichtig für unser Vorhaben, denn auf demselben beruht unsere ganze Theorie des Rechtes. Wir suchen ihn daher durch folgende Syllogismen deut-licher und zugänglicher zu ma-chen. 

I. Ich kann einem bestimmten Vernunftwesen nur insofern aumuten, mich für ein vernünf-tiges Wesen anzuerkennen, inwiefern ich selbst es als ein solches behandele.

1) Das Bedingte in dem aufgestellten Satze ist
 
a. nicht, dass dasselbe an sich und abstrahiert von mir und meinem Bewusstsein - etwa vor seinem eigenen Gewissen (das gehört in die Moral) oder vor anderen (dies gehört vor den Staat) - mich anerkenne, sondern dass es mich nach meinem und seinem Bewusstsein, syn-thetisch in Eins vereinigt (nach einem uns gemeinsamen Bewusstsein) dafür anerkenne, so dass ich ihn, so gewiss er für ein vernünftigen Wesen gelt-/ten will, nötigen könne, zuzu-geben, er habe gewusst, dass ich selbst auch eines bin.

b. nicht, dass ich überhaupt nachweisen können, ich sei von vernünftigen Wesen überhaupt als ihres Gleichen anerkannt worden; sondern dass dieses bestimmte Individuum C mich dafür aberkannt habe.
_______________________________________________________________________J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 44f


Nota. - Es geht hier um die faktische Konstruktion eines gemeinsamen Bewusstseins. Das war zwar im Begriff der Reihe vernünftiger Wesen unausgesprochen unterstellt; wie es aber möglich wurde, wird erst hier erwiesen!

Immer zu bedenken: Es geht in der Wissenschaftslehre nie darum, einen Begriff zu definie-ren. Es geht stets um dieses eine, dieses andere und - in disem Fall - ein mögliches gemein-samens Bewusstsein. Dafür reicht es nicht, dass der Begriff da (wo?) ist; er muss schon auch in die Vorstellung aufgenommen sein, sonst bleibt er null und nichtig.
JE, 10. 2. 19

Wie sich das Gedächtnis im Alter ändert.

                                                         
aus welt.de, 27. 2. 2022                                                                                                                    zuJochen Ebmeiers Realien;

Warum sich Ältere schlechter an Details erinnern
Wo war noch mal mein Schlüssel, wie hieß der neue Nachbar noch gleich? Mit dem Alter schwindet die Fähigkeit, sich an Namen oder Orte zu erinnern. Jetzt gibt es dafür eine logische Erklärung: das Schubladenprinzip. 

Man kennt das vom Kleiderschrank oder von dieser einen Küchenschublade, die man schon seit Monaten dringend mal ausmisten will: Die Ablagefächer sind bis obenhin vollgestopft. Sobald man darin herumkramt, fällt einem alles Mögliche in die Hände – aber selten das, was man gerade sucht.

Ganz ähnlich kann man sich wohl die Prozesse vorstellen, die beim Abrufen von Erinnerungen in den Gehirnen älterer Menschen ablaufen. Zu diesem Schluss kommt die Kognitionswissenschaftlerin Lynn Hasher vom kanadischen Baycrest’s Rotman Forschungsinstitut in einem Artikel, der nun im Journal „Trends in Cognitive Sciences“ erschien.

Dass alte Leute Probleme damit haben, sich an gewisse Details zu erinnern, liegt demnach nicht etwa daran, dass sie zu wenige Informationen im Gedächtnis behalten – sondern zu viele.

Für ihre Meta-Analyse fassten Hasher und ihr Team die Befunde aus mehr als 20 Jahren Forschung zusammen; sowohl von eigenen Laborstudien als auch von Arbeiten anderer Wissenschaftler. Dabei stellten sie fest, dass sich gesunde 60- bis 85-Jährige im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen deutlich schwerer damit tun, irrelevante Informationen zu unter-drücken. Dieses ständige Aussieben unwichtiger Eindrücke ist im Alltag unentbehrlich; es ermöglicht zum Beispiel, konzentriert Auto zu fahren, obwohl dabei das Radio läuft.

Mit steigendem Alter nimmt diese Filterfunktion laut Hasher jedoch ab. Das Gehirn werde mit Informationen „geflutet“ – was zulasten des Gedächtnisses gehe: Dadurch falle es Senioren schwerer, ein bestimmtes Detail unter all den anderen in ihrem Gedächtnis aufzustöbern. „Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie kennen fünf Menschen namens John und versuchen, sich an den Nachnamen eines bestimmten John zu erinnern“, erklärt Hasher. „Das wird Ihnen schwerer fallen, als wenn Sie nur eine Person kennen, die John heißt.“

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Doch woran genau liegt das nun? Das Team um Hasher hat drei Störfaktoren identifiziert, die dem Gedächtnis von Senioren in die Quere kommen. Das sind erstens kürzlich verwendete Informationen, die nun nicht mehr relevant sind, sich aber trotzdem wieder in den Vordergrund drängeln; zweitens der große Fundus an Vor- und Allgemeinwissen, der beim Erinnern ungewollt angezapft wird; und drittens die unwichtigen Eindrücke aus der aktuellen Umgebung – ein ständiges Hintergrundrauschen, das alle möglichen gedanklichen Assoziationen weckt.

Jüngere Menschen können diese Störfaktoren leicht ausblenden. Bei Senioren, so schlussfolgern die Forscher, nimmt die kognitive Kontrolle altersbedingt jedoch ab. Ihr Gehirn arbeitet ineffizienter, Unwichtiges wird nicht mehr so sauber von Wichtigem getrennt. Das ließ sich in zahlreichen Experimenten nachweisen, sowohl bei Verhaltensstudien als auch in bildgebenden Verfahren.

Bei Verhaltenstests wurden den Probanden etwa Bilder gezeigt, über denen beliebige Begriffe standen. Letztere dienten als Ablenkungsmanöver. Alle Teilnehmer wurden aufgefordert, sich das Bildmotiv zu merken und das Wort zu ignorieren. Bei einem späteren Test wurden die Wörter abgefragt. Während die Senioren die entsprechenden Begriffe abriefen, konnten sich die Jüngeren überhaupt nicht erinnern – ganz so, als hätte es die Ablenkungen nie gegeben.

Der gleiche Effekt zeigte sich in Untersuchungen, bei denen sich die Probanden nur an eine von zwei zuvor gezeigten Bildkategorien erinnern sollten. Wie die Messungen der Hirnaktivität verrieten, verarbeitete das Gedächtnis der älteren Teilnehmer auch die irrelevanten Bilder – obwohl sie diese ignorieren sollten.

Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Das Abrufen vermeintlich unwichtiger Details kann überraschende Vorteile haben. Dank ihnen seien Senioren nämlich kreativer und könnten besser Entscheidungen fällen, erklärt Hasher. „Das könnte erklären, warum Weisheit und Wissen im Alter weiter wachsen, auch wenn das Gedächtnis nachlässt.“

 

Nota. - Intelligenz ist nicht bloß Konzentration auf das Wichtige. Sie ist auch freies Schweifen der Einbildungskraft. Wie sollte man denn sonst unterscheiden können? Nämlich zwischen dem, was im gegebenen Moment von Bedeutung ist, und dem andern: Das ändert sich je nach der Situation. Intelligent ist sicher nicht, wer sich von andern vorschreiben lässt, worauf er zu achten hat. Freilich braucht man zum Selberdenken Zeit, und die muss man sich nehmen.
JE

Sonntag, 27. Februar 2022

Das untrügliche Kriterium von Vernunft in der Welt.

fotocommunity                 zu Wissenschftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

a. Ohne eine Einwirkung auf ihn kann ich nicht wissen oder ihm nachweisen, dass er nur überhaupt eine Vorstellung von mir, von meiner bloßen Existenz habe. Gesetzt auch, ich erscheine als Objekt der Sinnenwelt und liege in der Sphäre der für ihn möglichen Erfah-rungen, so bleibt doch immer die Frage: ob er auf mich reflektiert habe; und diese kann er lediglich sich selbst beantworten.

b. Ohne Handeln auf ihn nach dem Begriffe von ihm als vernünftigem Wesen kann ich ihm nicht nachweisen, dass er mich notwendig für ein vernünftiges Wesen hätte ansehen müs-sen, so gewiss er selbst Vernunft hat. Denn jede Äußerung der Kraft kann von einer mecha-nisch wirkenden Natur-Macht herkommen. Nur die Mäßigung der Kraft durch Begriffe ist untrügliches und ausschließendes Kriterium der Vernunft und der Freiheit.
_______________________________________________________________________J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 45 

 

Nota. -  "Nur die Mäßigung der Kraft durch Begriffe ist untrügliches und ausschließendes Kriterium der Vernunft und der Freiheit."

 

 

Was ist Schmerz?


aus spektrum.de, 26. 2. 2022                                                                      zuJochen Ebmeiers Realien; zu Philosophierungen 

Wenn's weh tut
Unser Kolumnist klagt seit einiger Zeit hin und wieder über Zahnschmerzen. Doch was genau ist eigentlich Schmerz? Philosophisch betrachtet hat er eine doppelte Natur.


von Matthias Warkus

An einem meiner Zähne ist neulich ein nadelspitzengroßes Stückchen abgesplittert und hat eine empfindliche Stelle zurückgelassen. Meine (sehr gute) Zahnärztin meinte, das würde sich voraussichtlich ohne Behandlung wieder von selbst geben. Seitdem passiert mir hin und wieder etwas, das Sie sicher auch kennen: Wenn ich genügend Pech habe und genau mit der betroffenen Stelle zum Beispiel auf ein Salzkorn beiße, krümme ich mich mit einem erstaunlich heftigen Zahnschmerz zusammen, der aber glücklicherweise nach einiger Zeit wieder aufhört. Durchaus ein Anlass, darüber nachzudenken, was philosophisch interessant an Schmerzen ist.

Ich kann über meinen Zahnschmerz präzise sagen, wo er sich befindet, und sogar ungefähr angeben, welche Ausdehnung er hat. Das ist zwar nicht bei jedem Schmerz so, aber zumindest grob lässt er sich in der Regel lokalisieren. Ich kann darüber hinaus davon sprechen, dass der Schmerz sich ab und zu meldet, so wie ein und dieselbe Glühbirne ab und zu aufleuchtet – es ist immer derselbe Schmerz, den ich empfinde, nur mit Pausen. Mit hinreichendem medizinisch-biologischem Wissen könnte man vermutlich auch ziemlich genau beschreiben, welche Rezeptoren, Neuronen und Hirnareale beteiligt sind, wenn mein Zahn mir wieder Schwierigkeiten bereitet.

 
Natürlich ist mein Schmerz aber kein reales Objekt, das in meinem Zahn steckt. Er ist »nur« eine Empfindung. Wenn ich aufhöre, ihn zu empfinden, ist er nicht nur an einem anderen Ort, sondern ganz weg, und vor allem kann man ihn mir nicht streitig machen: Wenn mir etwas weh tut und ich nicht lüge, kann man mir vielleicht vorwerfen, dass ich mein Leid übertreibe, aber nicht, ich würde mich irren oder mir alles bloß ausdenken. Der Satz »In Wirklichkeit tut dir der Zahn gar nicht weh« wäre absurd. Selbst wenn meine Zahnärztin feststellen könnte, dass die Rezeptoren und Neuronen nicht das tun, was sie normalerweise tun sollten, wenn ich Schmerzen in diesem Zahn habe: Wenn es weh tut, dann tut es eben weh

Spektrum Kompakt:  Was ist real? – Am Übergang von Wissenschaft und PhilosophieDas könnte Sie auch interessieren: Spektrum Kompakt: Was ist real? – Am Übergang von Wissenschaft und Philosophie

Schmerz und Leid spielen auch in der Philosophie eine große Rolle

Schmerzen haben also eine doppelte Natur: Sie haben zugleich Eigenschaften rein subjektiver Geisteszustände und objektiver Gegenstände. Da sich die Philosophie traditionell – und seit dem 20. Jahrhundert mehr als je zuvor – sehr dafür interessiert, was Geisteszustände sind, und dafür, was objektive Gegenstände sind sowieso, wundert es nicht, dass schon viel über Schmerz philosophiert wurde. Hinzu kommt, dass viele ethische Überlegungen sich um Schmerz und Leid beziehungsweise seine Vermeidung drehen.

Es gibt eine ganze Reihe von konkurrierenden philosophischen Theorieansätzen zur Beschreibung von Schmerz. Man kann ihn als etwas begreifen, das eine tatsächliche, drohende oder scheinbare Gewebeschädigung repräsentiert. Man kann ihn als Sinneswahrnehmung wie jede andere sehen. Man kann ihn aber auch als ein komplexes kognitives und affektives Geschehen betrachten, bei dem Wahrnehmungen involviert, aber eben nicht alles sind. All diese unterschiedlichen Ansätze haben dabei verschiedene Prämissen und Folgen, was die Theorie geistiger Phänomene überhaupt betrifft.

Die International Association for the Study of Pain (IASP), die eine medizinisch-interdisziplinäre Fachgesellschaft ist, definiert Schmerz interessanterweise als »eine unangenehme Sinnes- und Gefühlserfahrung, die mit echter oder potenzieller Gewebeschädigung verbunden ist oder dem ähnelt, was damit verbunden ist«. Damit bringt sie alle Aspekte großzügig unter einen Hut. Was man auf jeden Fall festhalten kann und was auch die IASP in einer der anschließenden Erläuterungen zur Definition deutlich macht: Schmerz ist eben nicht einfach identisch mit der Reizung irgendwelcher Nervenfasern, selbst wenn in der Philosophie über Jahrzehnte die schon medizinisch nicht ganz richtige Vorstellung herumgereicht wurde, jeder Schmerz ginge mit Aktivität von C-Fasern einher.

Der Schmerzbegriff ist neben dem Krankheitsbegriff eines der Paradebeispiele für die Verflechtungen von Medizin und Philosophie und eignet sich daher hervorragend als Einstieg in das Nachdenken über Fragen des wissenschaftlichen Blicks auf den Menschen überhaupt. Immerhin etwas, wofür mein Zahnweh dann womöglich gut war.

 

Nota. - "...oder dem ähnelt": das ist großartig formuliert. Da ließe sich die ganze Transzen-dentalphilosophie drin auflösen: Gibt es das, was wir uns unter der Welt vorstellen, wirk-lich? Nun ja - so ähnlich.

Weiter kann ich keine philosophischen Konnotationen am Schmerz erkennen. Ob ich etwas fühle, kann mir keiner streitig machen. Was andres ist, ob ich etwas fühle - aber da darf ich selbst nicht so sicher sein: Denn alles, was ich zu fühlen meine, muss ich zu dem Sinnesreiz hinzu meinen: Es ist nicht mehr unmittelbares Empfinden, sondern schon elementare Re-flexion. Philosophisch wäre daran nur die Frage, wie es kommt, dass wir diesen Unterschied im täglichen Leben nicht machen (und noch im Seminar nur unwillig).
JE

 

Geschmacksurteile fallen im Gehirn.

labauge
aus scinexx                                                                                                                 zu Geschmackssachen 

Gestörte Hirnströme machen wankelmütig
Entscheidungen nach Vorliebe beruhen auf Kommunikation zwischen spezifischen Hirnregionen

Steak oder lieber Geschnetzeltes, und zum Nachtisch Eis oder doch lieber Kuchen? Solche Entscheidungen fallen schwerer, wenn die Kommunikation zwischen bestimmten Hirnregionen gestört ist. Wissenschaftler aus der Schweiz haben diesen Effekt im Experiment gezeigt. Die im Magazin "Nature Communications" vorgestellten Ergebnisse widerlegen außerdem ein altes Vorurteil über die Entscheidungsfähigkeit von Frauen.

Im Restaurant erst stundenlanges Studieren der Speisekarte, dann Unsicherheit beim Bestellen und vielleicht sogar noch eine nachträglich geänderte Bestellung - wir alle kennen solche Situationen: Manchmal fällt es schwer, sich zu entscheiden. Solche Schwierigkeiten kommen im Alltag in allen Lebensbereichen vor, nicht nur beim Essen. Sie betreffen vor allem Fragen, bei denen persönliche Vorlieben eine Rolle spielen. Es ist dagegen einfach, wenn man etwa Steaks liebt oder Eis überhaupt nicht mag.


Woher kommen die Entscheidungsprobleme?


Doch wie kommt es dazu, dass manche Menschen sehr unsicher über ihre Vorlieben sind und sich laufend neu entscheiden, während andere exakt wissen, was sie mögen und wollen? Dieser Frage sind Wissenschaftler um Christian Ruff von der Universität Zürich nachgegangen. Sie wollten herausfinden, ob und wie Wankelmut im Gehirn entsteht.


Bernhard Gutman, N.N.

Die Forscher nutzten die sogenannte transkraniale Wechselstromstimulation. Damit lassen sich ohne Operation mit elektrischen Feldern koordinierte Schwingungen in der Aktivität bestimmter Hirnareale erzeugen. Probanden spüren von dieser Stimulation nichts. Während der Untersuchung ließen die Wissenschaftler die Versuchspersonen Entscheidungen über Nahrungsmittel treffen.


Gestörte Kommunikation macht wankelmütig


Sie unterschieden dabei zwischen zwei Arten von Fragen: Bei präferenzbasierten Entscheidungen wie "Was mag ich lieber - Melone oder Kirschen?" geht es allein um persönliche Vorlieben. Rein sensorische Entscheidungen wie "Was ist größer - Melone oder Kirsche?" lassen sich dagegen anhand von Sinneseindrücken treffen. Hierbei fällt es naturgemäß viel leichter, sich zu entscheiden.


Mit der Hirnstimulation verstärkten oder reduzierten die Forscher den Informationsfluss zwischen dem direkt unter der Stirn gelegenen präfrontalen Kortex und dem etwas über den beiden Ohren gelegenen parietalen Kortex. Es ist bereits bekannt, dass diese Regionen wichtig für das Treffen von Entscheidungen sind. Wie sich jetzt zeigt, spielt auch ihre Kommunikation eine wichtige Rolle: "Wir konnten feststellen, dass die präferenzbasierten Entscheidungen weniger stabil waren, wenn der Informationsfluss zwischen den beiden Hirnarealen gestört wurde", sagt Ruff. "Unsere Probanden wurden also wankelmütiger."


Degas, Strandszene, um 1870

Entscheidungen lassen sich nicht erleichtern

Dies betraf allein die auf Vorlieben beruhenden Entscheidungen: "Für die rein sensorischen Entscheidungen fand sich jedoch kein solcher Effekt", so Ruff weiter. "Die Kommunikation zwischen den beiden Hirnteilen ist folglich nur relevant, wenn wir entscheiden müssen, ob wir etwas mögen, nicht wenn wir uns anhand objektiver Fakten entscheiden."


Die Ergebnisse sprechen außerdem gegen das verbreitete Vorurteil, besonders Frauen könnten sich nie entscheiden: In den Experimenten traten keine geschlechtsspezifischen Unterschiede auf.


Während die gestörte Kommunikation zwischen den Hirnregionen wankelmütiger macht, tritt der umgekehrte Fall nicht ein: Regten die Wissenschaftler den Informationsfluss an, so fiel es den Probanden deshalb nicht leichter, sich zu entscheiden. Allerdings waren alle Studienteilnehmer junge und gesunde Personen mit recht ausgeprägter Entscheidungsfindung.

Für Patienten, die als Folge von Hirnerkrankungen an hoher Impulsivität und Entscheidungsproblemen leiden, könnte sich die Methode hingegen durchaus als mögliche Therapie erweisen, so die Ansicht der Forscher. (Nature Communications, 2015; doi: 10.1038/ncomms9090)

(Universität Zürich, 21.08.2015 - AKR)

Baumeister, Lutins au printemps


Nota I. - Die Rede ist von "persönlichen Vorlieben", aber in den Tests ging es um Ge-schmacksfragen. Ist das dasselbe? Ist das Urteil über ein Kunstwerk von derselben Qualität wie die Wahl zwischen Steak und Wiener Schnitzel? 

Beides sind Urteile "ohne Grund". Aber hier geht es ja nicht um die Wahl selbst, sondern um die Sicherheit und Bestimmtheit, mit der sie getroffen wird - und dabei kommt es auf die Kommunikation der beiden Hirnareale an. Wankelmut ist aber nicht dasselbe wie schlechter Geschmack. 

Was lehren die Tests also über unser ästhetisches Vermögen? Vermutlich nur, dass auch ästhetische Urteile im Kopf fallen und nicht im Bauch. Aber das war im Ernst wohl nie umstritten.


PS. Bei dem Bild von Gutman bin ich wankelmütig: Ist es kitschig oder bloß fauve?
24. 8. 15


 

Nota II. - Ach, das will ich doch noch nachtragen: Die Sicherheit eines Urteils hängt na-türlich auch ab von dem Modus, in dem es verfasst ist. Klar und deutlich alias bestimmt ist nur der Begriff. Als Teilhaber eines Kommunikationsnetzes ist er nicht nur logisch durch die andern Begriffe, sondern auch faktisch durch den Austausch der verkehrenden Perso-nen verbürgt. Rein logisch betrachtet, ist ein in Begriffe gefasstes Urteil ewig, oder genauer gesagt, es liegt jenseits von Raum und Zeit. 'Sicherer' geht nicht - mit der Einschränkung, dass ein Urteil nur gilt, wenn es von mindestens Einem geteilt wird - in Raum und Zeit. 

Allerdings lassen sich Geschmacks-, nämlich ästhetische Urteile schlechterdings nicht in Begriffe fassen, weil sie nicht aus (begriffener) Erkenntnis stammen, sondern aus unmittel-barem Erleben. Und das lässt sich allenfalls mit Wörtern (nominis)  markieren, die aber nicht durch ein Bedeutungsnetz definiert sind, sondern von jedermann nach eigenem Gut-dünken verwendet und verstanden werden können, nämlich müssen. Denn was sie bezeich-nen, sind Qualitäten und keine Relationen. Doch nur Relationen können diskursiv darge-stellt werden. Qualitäten kann man nur anschauen.

Ich bin fast versucht zu sagen, obiger Bericht war für die Katz. Aber auch das ist lehrreich.
JE

Samstag, 26. Februar 2022

Der reale Vereinigungspunkt ist ein Akt.

                          aus Wissenschftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

So gewiss ich ihn nun anerkenne, d. i. behandle, so gewiss ist er durch seine erst proble-matische Anerkennung gebunden oder verbunden, durch theoretische Konsequenz genö-tigt, mich kategorisch anzuerkennen, und zwar gemeingültig, d. h. mich zu behandeln wie ein freies Wesen. 

Es geschieht hier eine Vereinigung Entgegengesetzter in Eins. Unter der gegenwärtigen Vorausssetzung liegt der Vereinigungspunkt in mir, in meinem Bewusstsein: und die Verei-nigung ist bedingt dadurch, dass ich des Bewusstsein fähig bin. - Er, an seinem Teil, erfüllt die Bedingung, unter der ich ihn anerkenne, und schreibt mir sie von meiner Seite vor. Ich tue von der meinigen die Bedingung hinzu - anerkenne ihn wirklich, und verbinde dadurch ihn, zufolge der durch ihn selbst aufgestellten Bedingung, mich kategorisch anzuerkennen: verbinde mich, zufolge der Anerkennung seiner, ihn gleichfalls so zu behandeln. 
_______________________________________________________________________J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 47 


Nota. - Meine Anerkennung seiner war, wie seine Anerkennung meiner, erst problematisch: nämlich unter der Bedingung der Anerkennung durch den jeweils Anderen. Im Handeln wurde die Bedingung als gegeben gesetzt. Was im Begriff - im Bewusstsein - wie zwei ge-genseitige Anerkennungen erscheint, erweist sich im Akt als eine.
JE, 15. 2. 19





Nota.
Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Das Gefühl.

W. Busch                                                  aus Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem
 
Gefühl - sensus, das Sensorium sagt jemand, "die Sinneszellen" – zeigt an, was ist. Genauer gesagt: dass da Etwas ist. Was 'etwas' ist, können die Sinneszellen schon nicht mehr melden, sondern höchstens, wie es sich anfühlt. Dieses oder Jenes oder etwas Anderes, das kann erst... die Reflexion festsetzen. Das Gefühl kennt immer nur hier und jetzt. Die Reflexion, nehmen wir an – warum hieße sie sonst so? –, kann sich erinnern. Kann vergleichen. Wenn sie findet: nicht dieses – dann immerhin Etwas anderes. Daran kann sie weiterarbeiten. Denn anders als das Gefühl kann sie nach freiem Gutdünken fortfahren, solange sie will.
29. 9. 15 


Bei Kant kommt die Sinnlichkeit unter dem Titel Anschauung vor. Gefühl ist bei ihm kein eigenständiger Begriff. Fichte jedoch unterscheidet beide. Anschauung ist bei ihm die Ur-form der Reflexion: Sie nimmt das Gefühl als dieses und als ein solches wahr. Sie ist schon nicht mehr sinnlich, sondern ideal.
21. 10. 18