Montag, 28. Februar 2022

Wie sich das Gedächtnis im Alter ändert.

                                                         
aus welt.de, 27. 2. 2022                                                                                                                    zuJochen Ebmeiers Realien;

Warum sich Ältere schlechter an Details erinnern
Wo war noch mal mein Schlüssel, wie hieß der neue Nachbar noch gleich? Mit dem Alter schwindet die Fähigkeit, sich an Namen oder Orte zu erinnern. Jetzt gibt es dafür eine logische Erklärung: das Schubladenprinzip. 

Man kennt das vom Kleiderschrank oder von dieser einen Küchenschublade, die man schon seit Monaten dringend mal ausmisten will: Die Ablagefächer sind bis obenhin vollgestopft. Sobald man darin herumkramt, fällt einem alles Mögliche in die Hände – aber selten das, was man gerade sucht.

Ganz ähnlich kann man sich wohl die Prozesse vorstellen, die beim Abrufen von Erinnerungen in den Gehirnen älterer Menschen ablaufen. Zu diesem Schluss kommt die Kognitionswissenschaftlerin Lynn Hasher vom kanadischen Baycrest’s Rotman Forschungsinstitut in einem Artikel, der nun im Journal „Trends in Cognitive Sciences“ erschien.

Dass alte Leute Probleme damit haben, sich an gewisse Details zu erinnern, liegt demnach nicht etwa daran, dass sie zu wenige Informationen im Gedächtnis behalten – sondern zu viele.

Für ihre Meta-Analyse fassten Hasher und ihr Team die Befunde aus mehr als 20 Jahren Forschung zusammen; sowohl von eigenen Laborstudien als auch von Arbeiten anderer Wissenschaftler. Dabei stellten sie fest, dass sich gesunde 60- bis 85-Jährige im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen deutlich schwerer damit tun, irrelevante Informationen zu unter-drücken. Dieses ständige Aussieben unwichtiger Eindrücke ist im Alltag unentbehrlich; es ermöglicht zum Beispiel, konzentriert Auto zu fahren, obwohl dabei das Radio läuft.

Mit steigendem Alter nimmt diese Filterfunktion laut Hasher jedoch ab. Das Gehirn werde mit Informationen „geflutet“ – was zulasten des Gedächtnisses gehe: Dadurch falle es Senioren schwerer, ein bestimmtes Detail unter all den anderen in ihrem Gedächtnis aufzustöbern. „Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie kennen fünf Menschen namens John und versuchen, sich an den Nachnamen eines bestimmten John zu erinnern“, erklärt Hasher. „Das wird Ihnen schwerer fallen, als wenn Sie nur eine Person kennen, die John heißt.“

Lesen Sie auch

Doch woran genau liegt das nun? Das Team um Hasher hat drei Störfaktoren identifiziert, die dem Gedächtnis von Senioren in die Quere kommen. Das sind erstens kürzlich verwendete Informationen, die nun nicht mehr relevant sind, sich aber trotzdem wieder in den Vordergrund drängeln; zweitens der große Fundus an Vor- und Allgemeinwissen, der beim Erinnern ungewollt angezapft wird; und drittens die unwichtigen Eindrücke aus der aktuellen Umgebung – ein ständiges Hintergrundrauschen, das alle möglichen gedanklichen Assoziationen weckt.

Jüngere Menschen können diese Störfaktoren leicht ausblenden. Bei Senioren, so schlussfolgern die Forscher, nimmt die kognitive Kontrolle altersbedingt jedoch ab. Ihr Gehirn arbeitet ineffizienter, Unwichtiges wird nicht mehr so sauber von Wichtigem getrennt. Das ließ sich in zahlreichen Experimenten nachweisen, sowohl bei Verhaltensstudien als auch in bildgebenden Verfahren.

Bei Verhaltenstests wurden den Probanden etwa Bilder gezeigt, über denen beliebige Begriffe standen. Letztere dienten als Ablenkungsmanöver. Alle Teilnehmer wurden aufgefordert, sich das Bildmotiv zu merken und das Wort zu ignorieren. Bei einem späteren Test wurden die Wörter abgefragt. Während die Senioren die entsprechenden Begriffe abriefen, konnten sich die Jüngeren überhaupt nicht erinnern – ganz so, als hätte es die Ablenkungen nie gegeben.

Der gleiche Effekt zeigte sich in Untersuchungen, bei denen sich die Probanden nur an eine von zwei zuvor gezeigten Bildkategorien erinnern sollten. Wie die Messungen der Hirnaktivität verrieten, verarbeitete das Gedächtnis der älteren Teilnehmer auch die irrelevanten Bilder – obwohl sie diese ignorieren sollten.

Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Das Abrufen vermeintlich unwichtiger Details kann überraschende Vorteile haben. Dank ihnen seien Senioren nämlich kreativer und könnten besser Entscheidungen fällen, erklärt Hasher. „Das könnte erklären, warum Weisheit und Wissen im Alter weiter wachsen, auch wenn das Gedächtnis nachlässt.“

 

Nota. - Intelligenz ist nicht bloß Konzentration auf das Wichtige. Sie ist auch freies Schweifen der Einbildungskraft. Wie sollte man denn sonst unterscheiden können? Nämlich zwischen dem, was im gegebenen Moment von Bedeutung ist, und dem andern: Das ändert sich je nach der Situation. Intelligent ist sicher nicht, wer sich von andern vorschreiben lässt, worauf er zu achten hat. Freilich braucht man zum Selberdenken Zeit, und die muss man sich nehmen.
JE

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen