
Gesetzt, er handelte so, dass seine Handlung zwar durch die sinnlichen Prädikate der vor-hergehenden bestimmt sei - und das ist schon zufolge des Naturmechanismus der Natur notwendig -, nicht aber durch die geschehene Anerkennung meiner als eines freien Wesens, d. i. er raubt mir durch sein Handeln die mir zukommende Freiheit und behandelt mich in-soweit als Objekt: so bin ich immer genötigt, die Handlung ihm, dem gleichen Sinnenwesen C zuzuschreiben. (Es ist z. B. die gleiche Sprache, der gleiche Gang u.s.f.)
Nun ist der Begriff dieses Sinnenwesens C durch die Anerkennung und vielleicht durch eine Folge von Handlungen, die dadurch bestimmt sind, in meinem Bewusstsein vereinigt mit dem Begriffe der Vernünftigkeit, und was ich einmal vereinigt habe, kann ich nicht trennen. Aber jene Begriffe sind gesetzt als notwendig und wesentlich vereinigt; ich habe Sinnlich-keit und Vernunft in Vereinigung als das Wesen von C gesetzt. Jetzt in der Handlung X muss ich sie notwendig trennen und kann ihm die Vernünftigkeit nur noch zufällig zu-schreiben.
Meine Behandlung seiner als ein vernünftiges Wesen wird nun selbst auch zufällig und be-dingt und findet nur für den Fall statt, dass er selbst mich so behandele. Ich kann demnach mit vollkommener Konsequenz, die hier mein einziges Gesetz ist, ihn für diesen Fall behan-deln als bloßes Sinnenwesen; so lange, bis beides, Sinnlichkeit und Vernünftigkeit in dem Begriffe von seiner Handlung wieder vereinigt ist.
_______________________________________________________________________J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 49
Nota. - Ich muss vorderhand davon ausgehen - und das heißt: danach handeln -, dass C ein vernünftiges Sinnenwesen ist. Handelt er dieser Voraussetzung entgegen, indem er die Sphä-re meiner Freiheit verletzt, so darf ich ihn in diesem Fall als bloßes Sinnenwesen behandeln; bleibt aber übrig, dass ich selbst als Vernunftwesen gesetzt bleibe und meine Grenze nicht überschreiten darf.
Zum Beispiel holt er aus, um mir eine Keule auf den Kopf zu schlagen. Diese Freiheit darf ich ihm verwehren. Doch wenn ich ihn zu Boden gestreckt habe, muss ich ihn am Leben lassen: Die Freiheit, ihn umzubringen, muss ich mir verwehren.
Mit andern Worten, ich muss zwar allezeit so handeln, nämlich positiv: "kategorisch", als ob der andere ein freies und vernünftiges Wesen sei; in meinem Bewusstsein bleibt es indes stets eine problematische Voraussetzung: Es muss sich in seinen Handlungen erweisen. Nämlich im jeweiligen Fall.
Ob der Andere frei und vernünftig ist, kann ich nicht wissen; indes werde ich so handeln müssen, als ob, denn das ist die Bedingung, dass auch er so handeln kann, als ob er frei und vernünftig sei.
19. 2. 19
Nota II. - Dies ist ja der naheliegende und, ach, begründete Einwand des gesunden Men-schenverstands: Dass die Menschen den Sätzen der Vernunft gemäß handeln, trifft nur unter unabsehbaren Bedingungen und also nur zufällig zu. Dass es anders sei, ist keine wirkliche Bedingung eines rechtlichen Zustands. Rechtlich ist ein Zustand, wenn die Ver-nunftsätze als Zwangsgesetze formuliert sind; nämlich einige von ihnen. Welche? Das her-auszufinden und festzulegen ist wiederum Sache des rechtlichen Zustands! Es ist nie ein für allemal gesetzt, sondern ist wie die Vernunft selber ein unendlicher Prozess. Der rechtliche Zustand hat die Voraussetzungen zu schaffen, dass er sich stetig selbst reguliert. Das selber-Regulieren müssen dann immer noch die Menschen besorgen: Die reellen Voraussetzungen des rechtlichen Zustands sind politisch und nicht juristisch.
Und nicht übersehen: Das ist keine Transzendentalphilosophie, sondern positive natur-rechtliche Erwägungen. Sie beruhen allerdings nicht auf freier Geschichtsspekulation, sondern auf den vernünftigen Deduktionen der Wissenschaftslehre.
JE
JE
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