Sonntag, 31. Januar 2021

Über die Kant'sche Philosophie.

Ms. Kant, aus Opus postumum, Akademie-Ausgabe                                           aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik


Der Verfasser der Wissenschaftslehre wurde durch eine geringe Bekanntschaft mit der phi-losophischen Literatur seit der Erscheinung der Kantischen Kritiken sehr bald überzeugt, dass diesem grossen Manne sein Vorhaben, die Denkart des Zeitalters über Philosophie, und mit ihr über alle Wissenschaft, aus dem Grunde umzustimmen, gänzlich mislungen sey; indem kein einziger unter seinen zahlreichen Nachfolgern bemerkt, wovon eigentlich gere-det werde. Der Verfasser glaubte das letztere zu wissen; er beschloss, sein Leben einer von Kant ganz unabhängigen Darstellung jener grossen Entdeckung zu widmen, und wird die-sen Entschluss nicht aufgeben. Ob es ihm besser gelingen werde, sich in seinem Zeitalter verständlich zu machen, wird die Zeit lehren. Auf jeden Fall weiss er, dass nichts wahres und nützliches, was einmal in die Menschheit gekommen, verloren geht; gesetzt auch, erst die späte Nachkommenschaft wisse es zu gebrauchen. ...

/ Ich habe von jeher gesagt, und sage es hier wieder, dass mein System kein anderes sey als das Kantische. Das heisst: es enthält dieselbe Ansicht der Sache, ist aber in seinem Verfah-ren ganz unabhängig von der Kantischen Darstellung. Ich habe dies gesagt, nicht um durch eine grosse Autorität mich zu decken, oder meiner Lehre eine Stütze ausser ihr selbst zu suchen; sondern um die Wahrheit zu sagen, um gerecht zu seyn.

Bewiesen möchte es etwa nach zwanzig Jahren werden können. Kant ist bis jetzt, einen neuerlich gegebenen Wink abgerechnet, den ich tiefer unten bezeichnen werde, ein ver-schlossenes Buch, und was man aus ihm herausgelesen hat, ist gerade dasjenige, was in ihn nicht passt, und was er widerlegen wollte. Meine Schriften wollen Kant nicht erklären, oder aus ihm / erklärt seyn; sie selbst müssen für sich stehen, und Kant bleibt ganz aus dem Spiele. 

Es ist mir – dass ich es gerade heraus sage – nicht um Berichtigung und Ergänzung der philosophischen Begriffe, die etwa im Umlaufe sind, mögen sie Anti-Kantisch oder Kan-tisch heissen, es ist mir um ihre gänzliche Ausrottung und die völlige Umkehrung der Denkart über diese Puncte des Nachdenkens zu thun, so dass in allem Ernste, und nicht bloss so zu sagen, das Object durch das Erkenntnissvermögen, und nicht das Erkenntniss-vermögen durch das Object gesetzt und bestimmt werde. Mein System kann sonach nur aus sich selbst, nicht aus den Sätzen irgend einer Philosophie geprüft werden; es soll nur mit sich selbst übereinstimmen; es kann nur aus sich selbst erklärt, nur aus sich selbst bewiesen oder widerlegt werden; man muss es ganz annehmen, oder ganz verwerfen.
_______________________________________________________________________J. G. Fichte,
Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I, 419ff.  

 

 

Wenn der eine mit den Augen des andern sieht.

 

aus derStandard.at, 31. Jänner 2021                                                                              zu Levana, oder Erziehlehre

Väter und ihre Kinder synchronisieren beim Spiel ihre Gehirnaktivitäten
Psychologen beobachteten, dass Identifikation mit Vaterrolle Einfluss auf Anpassung der Gehirnaktivität bei gemeinsamem Spiel hat.
 
Das Lernen von den Eltern ist ein bedeutender Teil der kindlichen Sozialisation. Wiener Forscherinnen haben nun analysiert, was sich dabei im Gehirn der beiden Parteien abspielt. Dabei zeigte sich bereits im Vorjahr, dass Mütter und ihre Vorschulkinder beim miteinander Spielen gleichsam auf einer gemeinsamen Wellenlänge liegen. Ihre Gehirnaktivitäten werden dabei wechselseitig aufeinander abgestimmt. Dass das auch bei Vätern und ihrem Nach-wuchs so ist, berichtet das Team nun im Fachjournal "Child Development". Besonders aus-geprägt war das Phänomen bei Vätern, die ihre Elternrolle stark fürsorglich und involviert anlegten.
 
Gemeinsames Tangramspiel

Analog zu ihrer Studie mit Müttern ließen die Entwicklungspsychologinnen Trinh Nguyen und Stefanie Höhl von der Universität Wien sowie Kollegen aus Deutschland oder Groß-britannien Fünf- bis Sechsjährige und Väter gemeinsam oder ohne gegenseitig Unterstüt-zung das Legespiel Tangram spielen. Bei diesem kann man mit drei- und viereckigen Plätt-chen verschiedene Formen und Figuren legen.

Dabei wurde jeweils die Gehirnaktivität der insgesamt 66 Versuchsteilnehmer mittels funktioneller Nah-Infrarotspektroskopie (fNIRS) gemessen. Vor allem interessierte das Team die aufgrund der Ableitung der Änderungen der Sauerstoffsättigung der äußeren Gehirnschichten abgeschätzte neuronale Aktivität im Schläfenlappen und Frontalhirn. Diese Hirnregionen werden mit der Fähigkeit zum Fassen gemeinsamer Absichten, zur Übernahme von Perspektiven anderer und mit der Fähigkeit zur Selbstregulation in Verbindung gebracht, die sich im Vorschulalter entwickeln.

Synchronisierung

In der vorangegangenen Untersuchung mit Müttern und ihren Kindern passten sich ihre Gehirnaktivitäten in den beiden Regionen an. Das geschah vor allem, wenn die beiden spontan aufeinander eingingen. Wenn beide zwar am selben Tisch saßen, sich aber jeweils alleine mit den Plättchen befassten, zeigte sich keine Synchronisierung. Auch bei der neuen Studie konnten die Wissenschafter zeigen, "dass eine wechselseitige Anpassung der Gehirn-aktivität von Vater und Kind nur dann stattfand, wenn beide miteinander das Puzzle lösten", so Nguyen.

Überdies war jedoch die Anpassung der Gehirnaktivität höher bei jenen Vater-Kind-Paaren, in welchen sich der Mann stärker mit seiner Rolle als fürsorglicher und involvierter Vater identifizierte", sagte die Wissenschafterin. Während also die Anpassung bei Vater-Kind-Paaren mit der Identifikation mit der Vaterrolle zusammenhing, war bei den Mutter-Kind-Paaren entscheidend, ob beide in der Spielsituation aufeinander eingingen. Woher diese Unterschiede rühren könnten, wollen die Psychologen in weiteren Studien ergründen. (red, APA.)

Studie

 
 

Nota. - Ist das banal, dass beide 'was davon haben', wenn jeder mit den Augen des jeweils anderen sieht? Nein, denn es stimmt ja nur, wenn zwischen ihnen ein grundsätzliches (pom-pös gesprochen:) kognitives Gefälle herrscht. Diese Gefälle besteht nicht substanziell darin, dass der Ältere mehr kennt als der jüngere;  sondern darin, dass er - vernünftigerweise - in einer Welt lebt, in der das Prinzip von Ursache und Wirkung gilt, jährend der Jüngere sich "viel mehr vorstellen" kann. Sonst würden Kinder auch beim Spielen mit den Erwachsenen nicht nur nicht mithalten, sondern schon gar nicht gewinnen können. Und dann wäre das Spiel für beide Parteien witz los.

JE

Eine Zwischenbilanz der Hirnforschung.


 aus derStandard.de, 31. Jänner 2021                                                                                              
zuJochen Ebmeiers Realien

Wie Hirnforscher sich an die Schaltkreise im Gehirn herantasten
Wie denken wir? Wie funktioniert Erinnerung? Neuer Technologien ermöglichen es, die Prozesse im Neuronendickicht präzise und bis ins kleinste Detail zu vermessen
 
von Karin Krichmayr

In den neun Monaten, in denen ein Fötus im Bauch der Mutter heranwächst, läuft ein un-glaubliches Programm ab: Jene rund 86 Milliarden Gehirnzellen, aus denen das menschli-che Gehirn besteht, fügen sich nach einem präzise orchestrierten Bauplan, der im Erbgut festgeschrieben ist, zusammen. "Zwischen dem dritten und sechsten Monat entstehen aus den Stammzellen pro Sekunde bis zu 1000 Neuronen", konkretisiert Simon Hippenmeyer, Neurobiologe am Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg.

"Es ist das faszinierendste und schönste Organ unseres Körpers", stellt die Neurowissen-schafterin Gaia Novarino, ebenfalls Gruppenleiterin am IST Austria, fest. Nüchtern be-trachtet kann man sagen, dass das erwachsene Gehirn etwa eineinhalb Kilo wiegt und 20 Prozent des Sauerstoffs in unserem Blut verbraucht. Doch was genau sich in diesem sich ständig wandelnden Dickicht aus Neuronen abspielt, die mittels elektrischer Spannungs-stöße über 100 Billionen Synapsen miteinander kommunizieren, zählt nach wie vor zu den größten Rätseln der Menschheit.

Fest steht, dass die DNA "nur" die Grundbausteine vorgibt und ein System implementiert, dass darauf ausgerichtet ist, mit jeder Information seine Schaltkreise neu zu verdrahten. Die Welt, die uns umgibt, unsere Erfahrungen und Sinneseindrücke formen unser Gehirn und seine Verbindungen permanent um – und das auf höchst effiziente Art und Weise. Dieses dynamische und adaptive System taufte der US-Psychologe William James "Plastizität". Der Neurowissenschafter David Eagleman von der Stanford University nennt es in seinem jüngsten Buch "Livewired" (2020) analog zu Hard- und Software "Liveware".

Black Box im Kopf

Zwar hat die Hirnforschung in den letzten Jahren beträchtliche Erfolge erzielt, insbeson-dere was das Verständnis der motorischen und sensorischen Fähigkeiten betrifft. Die Mes-sung der Gehirnaktivität und bildgebende Verfahren ermöglichen es, Gefühlen, Vorstel-lungen und Denkmustern auf die Spur zu kommen. Und doch klafft eine große Lücke zwischen dem, was wir über unser Denkorgan wissen, und dem, was uns zu dem macht, was wir sind. Die sogenannten höheren kognitiven Fähigkeiten, das Bewusstsein, das Ge-dächtnis, das Denken an sich, sind nach wie vor eine Blackbox.

Die Ergebnisse der modernen Neurowissenschaften und eine Vielzahl an neuen Techno-logien machen jedoch heute komplett andere Forschungsansätze möglich, ist der deutsche Hirnforscher Wolf Singer überzeugt. Im Gegensatz zu früheren Vorstellungen wisse man nun, dass das Gehirn "ein extrem distributiv organisiertes System" sei, "das sich ohne einen Dirigenten zurechtfindet, sondern sich selbst organisiert", sagte der emeritierte Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt voriges Jahr bei einem Vortrag in Wien. "Wir haben die lineare Systemtheorie abgelöst, wir sind jetzt mehr in der Welt der Komplexitätstheorie", sagt Singer.

Wie Synapsen lernen

Befindet sich die Hirnforschung also dank neuer Technologien am Beginn einer neuen Epoche, wie Singer postuliert? "Technologie ist der Schlüssel", sagt der Neurowissenschaf-ter Peter Jonas vom IST Austria. 2016 wurde er von Wissenschaftsministerium und Wissen-schaftsfonds (FWF) für die Erforschung der grundlegenden Mechanismen von Synapsen im Hippocampus mit dem Wittgenstein-Preis ausgezeichnet.

Er bezeichnet als eines der "Durchbruchereignisse der letzten Jahre", dass synaptische Strukturen und ihre Prozesse direkt im Gewebe gemessen werden können – räumlich in Nanometerauflösung und zeitlich in Mikrosekunden. Eines der primären Ziele von Jonas: "Wir wollen herausfinden, wie Synapsen sich verhalten, um höhere Gehirnfunktionen zu verursachen, also etwa wie im Hippocampus unvollständige Informationen mithilfe des Netzwerks ergänzt werden – eine der grundlegenden Funktionen der Erinnerung."

Gleichzeitige Messung der synaptischen Übertragung von acht Pyramidenzellen im Hippocampus. Die Zellen wurden unter experimentellen Bedingungen mit einer Markierungssubstanz befüllt, gefärbt und vollständig rekonstruiert.

Es gilt dabei, einerseits die Aktivität in den Nervenzellen zu messen und andererseits zu sehen, wie sie sich dabei verändern. Jonas hat dazu einige Technologien federführend wei-terentwickelt: Die "subzelluläre Patch-Clamp-Technik" ermöglicht, elektrische Signale, die per synaptischen Spalt übertragen werden, direkt an der Ausgangszelle abzufangen und gleichzeitig die Antwort an der Zielzelle zu beobachten. "Derzeit können wir die Vorgänge in einem Ensemble von acht Zellen gleichzeitig messen. Das ist eine schöne Methode, um die Interaktionen in einem solchen Mininetzwerk studieren zu können", schildert Jonas.

Gedächtnis-Blasen

Mit der 2013 entwickelten und von Jonas verfeinerten "Flash and Freeze"-Methode wiede-rum werden Neuronen mit Licht stimuliert und binnen einer Tausendstelsekunde schock-gefroren, um sie unter dem Elektronenmikroskop untersuchen zu können. Denn damit Gehirnfunktionen wie das Erinnern ausgeübt werden können, muss sich etwas in den Strukturen des Neuronengeflechts verändern.

Wie eine solche Veränderung aussieht, konnten Jonas und sein Team kürzlich zeigen: Sie nahmen Bläschen mit Neurotransmittern auf, deren Verlagerung an der Synapse mit dem Kurzzeitgedächtnis gekoppelt ist. "Das legt nahe, dass Informationen in Form solcher Ve-sikelpools abgespeichert werden", sagt Jonas. Ein Schritt, um dem Lernprozessen des Ge-hirns auf die Spur zu kommen.

Neben technischen Fortschritten bei der Elektronenmikroskopie und der Messung von Signalen direkt an der einzelnen Zelle waren in den vergangenen Jahren auch Weiterent-wicklungen in der Genetik bahnbrechend – allen voran Hochgeschwindigkeitsgensequen-zierungen und die Gen-Schere Crispr. Per Optogenetik, zu deren Wegbereitern der öster-reichische Neurophysiologe Gero Miesenböck gehört, kann die Aktivität von Neuronen mit Licht gezielt gesteuert werden. Neuronale Schaltkreise lassen sich so auf einem ganz neuen Level untersuchen.

Aufnahme des Cortex eines Mausembryos. Grün: Stammzellen; rot: Zwischenstadium; weiß: fertige Neuronen. Blau: Zellkerne.

Auf genetisch veränderten Zellen, die mit Farbmarkern versehen werden, basiert auch die von Simon Hippenmeyer entscheidend weiterentwickelte Mosaic-Analysis-with-Double-Markers-Methode (MADM-Methode). Damit können er und sein Team im Mausmodell bunt gefärbte Neuronen auf ihrem Weg von der Stammzelle bis in die Großhirnrinde ver-folgen. So lässt sich visualisieren, wie sich Zellen, in die ein genetischer Defekt eingebaut wurde, der beim Menschen zu schwerwiegenden Gehirnerkrankungen führt, im Vergleich zu gesunden Zellen verhalten.

"Es ist eine spannende Zeit für die Hirnforschung", sagt Hippenmeyer. "Wir können mit heutigen Technologien eine Million Zellen gleichzeitig bei ihrer Entwicklung beobachten. Das war vor fünf Jahren noch nicht möglich." Mit der MADM-Methode soll künftig syst-ematisch untersucht werden, wie sämtliche Gene die Gehirnentwicklung auf Zellebene be-einflussen. Auch wenn sich das menschliche Genom nur geringfügig von dem der Maus unterscheidet – welche Codes das menschliche Gehirn so außergewöhnlich machen, liegt noch im Dunkeln. Dazu brauche es andere Ansätze, sagt Hippenmeyer.

Autismusforschung an Protogehirnen

Einen solchen verfolgt Gaia Novarino, die sich der Erforschung der nach wie vor unbe-kannten Ursachen von Autismus widmet. Sie und ihr Team programmieren Gehirn- und Blutzellen, die von Kindern mit Autismus stammen, zu Stammzellen um. Die daraus ent-wickelten Neuronen werden in Kulturschalen zu Organoiden, also winzigen Protogehirnen gezüchtet. "Wir können dadurch die Neuronen eines Individuums untersuchen, ohne inva-siv zu sein", sagt Novarino im IST-Austria-Science-Talk. "Das ermöglicht uns, Prozesse, die sehr früh in der Entwicklung des Gehirns ablaufen, im Labor zu untersuchen und zu sehen, was im Zusammenhang mit einer Mutation passiert."

Für den theoretischen Neurowissenschafter Tim Vogels, der im vergangenen August von der Oxford University ans IST wechselte, ist das eine "revolutionäre Technik", da mit dieser Methode "der simpelst mögliche Schaltplan erarbeitet werden kann", den man anschließend Schritt für Schritt erweitern könne. Da derartige Experimente auch im Modell simuliert werden können, sei so ein direkter Abgleich zwischen Theorie und Praxis möglich.

Von der Zelle zum Verhalten

Während Neurobiologen sich bis zu den kleinsten Strukturen innerhalb der Gehirnzellen herantasten, um sich dann zu größeren Netzwerken voranzuarbeiten, setzen Psychologen und andere Kognitionsforscher bei dem an, was das Gehirn hervorbringt, also primär beim Verhalten. Auch hier ging man in den vergangenen Jahren dazu über, nicht nur die Aktivität einzelner Gehirnregionen von Versuchspersonen bei der Bewältigung verschiedenster Auf-gaben zu messen, sondern die Konnektivität, also die Verbindungen und Netzwerke im Gehirn, auszuforschen.

Neue Technologien ermöglichen die Visualisierung und Analyse der unzähligen Verbindungen zwischen Gehirnregionen.

Immer besser auflösende Bildgebungsverfahren, Algorithmen und Machine-Learning-Methoden ermöglichen immer genauere Analysen von höheren Gehirnfunktionen, insbe-sondere Lernen und Gedächtnis – und machen Hoffnung, Krankheiten wie Alzheimer und Demenz besser zu verstehen.

Schließlich liegt eines der großen Potenziale für Durchbrüche in der Hirnforschung in den Computerwissenschaften. Die riesigen Datenmengen, die in Experimenten generiert wer-den, können dazu dienen, zumindest kleine Bereiche des Gehirns am Computer nachzubau-en und "in silico" zu analysieren – um so zu einem besseren Verständnis der Denkvorgänge zu gelangen. Umgekehrt profitiert die Künstliche-Intelligenz-Forschung von den Ergebnis-sen der Neurobiologen. Nicht von ungefähr lehnen sich künstliche neuronale Netzwerke an Prozesse im Gehirn an.

Um das unglaublich komplexe Netzwerk in unseren Köpfen zu verstehen, müssen sich auch unterschiedliche Disziplinen weiter vernetzen. Denn auch wenn wir noch weit weg sind von einem Gesamtverständnis des komplexen Wunderwerks Gehirn und es noch große Gräben zu überwinden gibt zwischen der Nervenzelle und dem menschlichen Verhalten – die neuen Technologien, die sich auf allen Ebenen durchsetzen, lassen vermuten, dass eine neue, tief-greifende Epoche der Hirnforschung längst begonnen hat.  


Nota. - Wenn es so ist, dass neue Untersuchungsgeräte substanziell neue Fragestellungen ermöglichen, ist zu erwarten, dass sich die theoretische Perspektive verändert.* Es würde für die Forschung tatsächlich eine neue Ära beginnen. Eine Zwischenbilanz der bisher Er-reichten ist dann wohl erlaubt, auch wenn jeder Fachmann im Detail eine Menge nachzutra-gen und zu berichtigen hätte. Es geht nicht um eine Summe, sondern um ein Modell. Ob das hier Vorgetragene dem Stand der Forschung gerecht ist, kann aber auch nur ein Fach-mann beurteilen, ich also nicht.

*) Allein die obige Graphik mit den Dendriten reicht aus, um auch den Laien gegen die dogmatische Vorstellung von "Gehinregionen" skeptisch zu machen.

JE


Samstag, 30. Januar 2021

Konkurrenz ist reale Entwicklung des Reichtums.

Sta. Maria in Trastevere                                                                    aus Marxiana 

Aber die Concurrenz ist weit entfernt blos diese historische Bedeutung zu haben oder blos dieß Negative zu sein. Die freie Concurrenz ist die Beziehung des Capitals auf sich selbst als ein andres Capital, d. h. das reelle Verhalten des Capitals als Capitals. 

Die innern Gesetze des Capitals – die nur als Tendenzen in den historischen Vorstufen sei-ner Entwicklung erscheinen – werden erst als Gesetze gesezt; die auf das Capital gegründe-te Production sezt sich nur in ihren adaequaten Formen, sofern und so weit sich die freie Concurrenz entwickelt, denn sie ist die freie Entwicklung der auf das Capital gegründeten Productionsweise; die freie Entwicklung seiner Bedingungen und seines als diese Bedingun-gen beständig reproducirenden Processes. 

Nicht die Individuen sind frei gesezt in der freien Concurrenz; sondern das Capital ist frei gesezt. So lange die auf dem Capital ruhnde Production die nothwendige, daher die ange-messenste Form für die Entwicklung der gesellschaftlichen Productivkraft, / wird durch beständige Reflection auf die von der freien Concurrenz niedergerißnen Schranken. [sic]

Die freie Concurrenz ist die reelle Entwicklung des Capitals. Durch sie wird als äusserliche Nothwendigkeit für das einzelne Capital gesezt, was der Natur des Capitals entspricht [,der] auf das Capital gegründeten Producti- onsweise, was dem Begriff des Capitals entspricht. Der wechselseitige Zwang, den in ihr die Capitalien auf einander, auf die Arbeit etc ausü-ben (die Concurrenz der Arbeiter unter sich ist nur eine andre Form der Concurrenz der Capitalien) ist die freie, zugleich reale Entwicklung des Reichthums als Capital. 
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K. Marx, Grundrisse, MEGA II/1.2, S. 533f. [MEW 42, S. 550 ]  



Nota. - Erst mit der Entfaltung der Konkurrenz entwickelt sich der Tauschwert. Vorher gab es kein Wertgesetz: Es ist nur als Vektorensumme der allgemeinen Konkurrenz, und erst als Anhäufung von Werten hat der Reichtum sein Maß gefunden.
JE
, 26. 10. 16

 

 

Begriffe braucht man, wo ein Zweifel ist.

greatmiddleway                                                                             aus  Philosophierungen

Für das, was sich von selbst versteht, brauche ich keinen Begriff. Es ist, und damit gut. Es sei denn, ich wollte gerade das kritisieren: dass es sich von selbst versteht. Begriff ist Maß-stab der Überprüfung. Im täglichen Leben ist er die Ausnahme. Denn ohne die Gewissheit, dass das meiste sich von selbst versteht, brächte ich kaum mal 24 Stunden über die Runden. Würde ich den ganzen Tag nur zweifeln, käme ich nie zum Handeln. Denn nicht jede Hand-lung ist eine Haupt- und Staatsaktion, die ihrer Letztbegründung bedarf. Das meiste ist ganz alltäglich
.

•Juni 4, 2009 


Daraus folgt zwanglos, dass das eigentlich produktive Denken gar keine Begriffe braucht - es rauscht mir gewissermaßen wie ein Strom bewegter Bilder durchs Gemüt. Da wird noch nicht gezweifelt, da ist noch alles positiv. Erst wenn ich es festhalten und auf seine Tauglich-keit - wozu?! - überprüfen will, kann ich Begriffe gebrauchen, und vollends, wenn ich es einem andern mitteile. Der Begriff ist - vor allem andern - ein Instrument der Kritik.
 
22. 6. 15

Luft und Licht - die Notwendigkeit des Mediums.

                                 aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

(Es ist nicht erwiesen, dass die soeben aufgezeigte subtile Materie, vermittelst welcher die bloße Gestalt im Raume wirken soll, von der oben abgeleiteten spezifisch verschieden sei, sondern nur, dass der subtilen Materie diese beiden Prädikate zukommen müssen. Das Letztere wäre erwiesen, wenn sich zeigen ließe, dass die durch die bloße Gestalt zu modi-fizierende Materie gar nicht unmittelbar durch die Bewegung des Organs erschüttert wer-den könne, sondern für dieselbe fest und unwiderstehlich sei. Dieser Beweis liegt nicht eigentlich auf unserem Wege, ich will ihn aber gleich mit führen, um die Materien nicht zu sehr zu zerstreuen. -

Die Gestalt der Person außer mir muss für sie fortdauern, wenn sie sich selbst als die glei-che vorkommen soll, und sie muss es aus eben dem Grunde für mich. Nun setze man, dass wir in gegenseitiger Einwirkung auf ein- ander stünden durch die zu erschütternde subtile Materie (mit einander sprächen), so wird die Materie A sich unaufhörlich verändern, und ist sie das, worin unsere Gestalten abgedruckt werden, so werden auch diese sich unaufhörlich für uns verändern, welches der Voraussetzung, dass, nach unserer beider Vorstellung, diesel-ben Personen in Wechselwirkung stehen müssen, widerspricht. 

Mithin muss die Materie, in der unsere Gestalten abgedruckt sind, bei der beständigen Be-wegung der Materie A unbeweglich und unerschütterlich, daher für unser Organ nicht mo-difikabel, mithin darin eine von A unterschie- dene = B sein. Luft, Licht. (Die Erscheinun-gen im Lichte sind nur mittelbar durch uns zu modifizieren, indem die Gestalt selbst mo-difiziert werden kann.)
_____________________________________________________________________
J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 76

 


Nota. - Immerhin will er den pp. Geist nicht unmittelbar als solchen "wirken" lassen, denn dann wäre die ganze Transzendentalphilosophie hinfällig. Das historische Argument steht ihm nicht zur Verfügung, und so ist das mindeste, was man von ihm erwarten darf, dass er ersatzweise eine andere, spekulative Erklärung versucht. Zur Übertragung von Bestimmun-gen durch symbolische Gestalten bedarf es eines Mediums, nämlich eines materiellen (wenn auch subtilen und modifikablen).

Aber das Mysterium der Symbolisierung ist nicht das des Mediums, sondern der Übergang der Repräsentation des Gemeinten aus einem analogen Modus (Bild) in einen digitalen (Be-deutung). Und der ist bis heute ein Rätsel, das wird er mit Verrenkungen nicht lösen können; aber er wird es versuchen, nehme ich an.
JE, 30. 4. 19




Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Freitag, 29. Januar 2021

Hercules Seghers.

Selbstbildnis, Radierung             zu Geschmackssachen

Sie werden sich wundern, dass ich erst jetzt mit Hercules Seghers komme. Ich wundre mich selbst. Ich habe den Namen gelegentlich gelesen, aber nie ein Bild gesehen, das mir aufge-fallen wäre. Und nun, da er mir beim Stöbern über den Weg gelaufen ist, darf ich sagen: Es wäre mir aufgefallen!

Seghers ist anscheinend ein Geheimtipp, er hat in der deutschen Wikipedia nicht einmal einen ordentlichen Eintrag, grad ein paar Zeilen - auf denen man immerhin erfährt, dass von ihm nur noch 10 Gemälde und 54 Druckplatten erhalten sind. Das reicht nicht, um einen unter den vielen Meistern des Goldenen Zeitalters zu Ruhm zu bringen, oder anders: Hätte er es beizeiten zu Ruhm gebracht, wäre mehr von seinen Sachen erhalten. Eher als Kunstliebhaber werden wohl Literaturfreunde von ihm gehört haben, denn ihn hat die Schriftstellerin Anna S. für ihr Pseudonym erwählt. Ich bin kein Literaturfreund und Kunsthistoriker schon gar nicht, ich habe eine Entschuldigung dafür, dass ich ihn erst jetzt gefunden habe.

Doch das habe ich; und erfahre, dass er von seinem beinahe-Zeitgenossen Samuel van Hoogstraten in dessen kunsthistorischem Pionierwerk Einführung in die Hohe Schule der Malkunst (1678) als ein verarmter, einsamer und unverstandener Romantiker vor der Zeit geschildert wurde. 

Hoogstraten hat mehr Recht behalten, als er gewünscht haben mag. Das liegt nicht zuletzt daran, das Seghers' Blick auch als Maler in Öl auf Leinwand von seiner frühen Liebe für die Kaltnadelradierung geleitet war. Das machte ihn, wie Hoogstraten nicht ahnen konnte und kaum in seiner eignen Absicht lag, zu einem Vorläufer der modernen Kunst des 20. Jahr-hunderts.

Weite Felsenlandschaft, 97x54 cm

 
Gebirgige Landschaft,
97 x 54 cm

Flussstal mit Häusergruppe, 71cm x 87 cm

Flusstal

Landschaft mit einer Stadt am Fluss, 1627-29; 27 x 39 cm


 Flusstal, 1626-30; 27 x 36 cm

Brüssel von NO, um 1625 

Soweit ein paar Ölgemälde. Dass es Landschaften sind, haben Sie bemerkt. Dass es mal holländische und mal auch Phantasielandschaften sind, wird Ihnen dann nicht entgangen sein. Doch darauf wird es ihm gar nicht angekommen sein, sondern darauf, dass es ein Sujet ist, an dem er seine Liebe exerzieren kann: den Kupferstich. Neben dem sehen, schon wegen der kleinen Formate, die Gemälde aus wie handwerkliche Vorstudien: