aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
b. Der Mensch wird
nackt geboren, die Tiere bekleidet. In ihrer Bildung hat die Natur ihr
Werk beendigt und das Siegel der Vollendung darauf gedrückt; sie hat die
feinere Organi-sation durch eine rohere Decke vor dem Einflusse der
gröberen Materie geschützt. Im Menschen wurde das erste und wichtigste
Organ, das des Betastens, das durch die ganze Haut sich verbreitet,
geradezu der Einwirkung derselben bloßgestellt: nicht aus Nachlässig-keit
der Natur, sondern aus Achtung derselben für uns. Jenes Organ war
bestimmt, die Ma-terie unmittelbar zu berühren, um sie auf das Genaueste unseren Zwecken angemessen zu machen:
Aber die Natur stellte es uns frei, in welchen Teil unseres Leibes wir unser Bildungsvermö-gen vorzüglich verlegen,
und welchen wir als bloße Masse betrachten wollen. Wir haben es in die
Fingerspitzen gelegt, aus einem Grunde, der sich bald zeigen wird. Es
ist daselbst, weil wir es gewollt haben. Wir hätten jedem Teile unseres
Leibes dasselbe feine Gefühl ge-ben können, wenn wir es gewollt hätten;
das beweisen diejenigen Menschen, die mit den Zehen nähen und schreiben,
die mit dem Bauche sprechen u. s. f.
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J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 82
Nota I. -
Leute, die "mit dem Bauche sprechen"... Wer hat ihn geheißen, eine
biologische Anthropologie aus dem Begriff der Vernunft abzuleiten? Er
hätte es andersrum anpacken können, doch dazu hätte er den Evolutionsgedanken benötigt, den er noch nicht kannte. Das wäre eine historische
Herleitung der Vernunft geworden, und wenn sie ihm auch ge-lungen wäre,
hätte sie mit der Transzendentalphilosphie nichts zu tun gehabt: Er
hätte kei-nen Punkt gefunden, an dem er anfangen konnte und aus dem er die... Vorstellung hätte entwickeln können.
Allein dass er die Natur
als Protagonistin auftreten lässt, über deren intimsten Pläne er uns
Auskunft gibt, macht diesen ganzen Abschnitt nicht nur
transzendentalphilosophisch, son-dern in jeder Hinsicht wissenschaftlich
wertlos.
Dabei ist der Grundgedanke ja nicht falsch. Wäre der Mensch ganz zu Anfang an seine Umwelt so angepasst
gewesen, wie jede Tiergattung es ist, hätte er keine Vernunft
entwik-keln müssen. Er hätte keine Verwendung für sie gehabt. Es ging um
die Kompensation eines Mangels,
und auch die Ahnung, dass die spezifisch menschliche Plastizität seines
Kör-perbaus aus diesem Mangel herrührt, ist richtig. Sie hat nur in der
Philosophie überhaupt nichts zu suchen. Was immer er vorhat - auf diesem Weg wird er nicht weit kommen.
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.
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