Samstag, 16. Januar 2021

Nochmal: Das sulawesische Schwein.

                                                     zu Geschmackssachen 

aus FAZ.NET, 15.01.2021                                                             Sulawesi, Pustelschwein

Steinzeitschwein: Älteste Höhlenmalerei der Welt entdeckt
Hier hat die Kunst aber Schwein gehabt: In einer Höhle auf der indonesischen Insel Sulawesi wurde die bisher älteste Malerei der Menschheit entdeckt - sie ist auf Anhieb perfekt und formvollendet.

Von Stefan Trinks

Picasso, Matisse, Klee und viele andere Moderne sahen in den Höhlenmalereien von Altamira und Lascaux den Ursprung der Kunst. Der vor knapp zwei Jahren verstorbene Kunsthistoriker Irving Lavin vom Institute for Advanced Study in Princeton hat der Höhlenmalerei in seinem Buch „Picassos Stiere oder die Kunstgeschichte von hinten“ die luzideste Analyse gewidmet. Nun ist in „Science Advances“ ein 2017 auf der indonesischen Insel Sulawesi in der Leang-Tedongnge-Höhle entdecktes Bild eines lebensgroßen Wildschweins mittels Uran-Isotopenanalyse auf 45.500 Jahre Alter datiert und zur ältesten Höhlenmalerei der Welt erklärt worden (doi: 10.1126/sciadv.abd4648).

Selbst die Warzen hat der Maler nicht vergessen

Die Malerei in der nur während der Trockenzeit zugänglichen Höhle ist naturräumlich gut geschützt: in einer abgelegenen Schlucht, etwa eine Stunde Fußmarsch zur nächsten Straße entfernt. In der Höhle überrascht die Lebensnähe des mit roten Erdfarbpigmenten gemalten Schweins: Es ist dynamisch in eine leichte Schräge nach rechts oben gebracht, als galoppiere es mit den nach vorn geführten Vorderläufen und dem kleinen spitzen Kopf auf der Flucht vor Jägern eine Anhöhe empor. Der gesamte Körper ist gefüllt mit roten Strichlagen, die am kugelrund mächtigen Bauch und am Rückenkamm verdichtet sind, um dem Tier durch diese Schattenmodellierung Plastizität zu geben. Auch der als verdichteter Strich abstehende kleine Schwanz wurde nicht vergessen. Jedes Detail zeugt von genauester Naturbeobachtung, da unterhalb der Schnauze selbst ein Paar der für Sulawesi-Warzenschweine (Sus celebensis) charakteristischen hornartigen Gesichtswarzen zu erkennen sind. Zusätzlich wurden Unebenheiten der Höhlenwand genutzt, die dreidimensional innerhalb der Fläche genau des Tierkörpers heraustreten, um es etwa an der Flanke noch plastischer erscheinen zu lassen.

Zweifelsohne große Kunst: Auch das aus dem Stoßzahnmaterial des Tieres geschnitzte Mammut aus der schwäbischen Vogelherdhöhle ist fast vierzigtausend Jahre alt.

Links über dem Borstentier ist der Negativabdruck zweier Hände auf die Wand gebracht, indem die Silhouette der Finger ebenfalls mit roten Erdpigmenten umpustet wurde. Somit handelt es sich hierbei neben dem Schwein als älteste bislang bekannte Tierdarstellung auch um das älteste „Selbstbildnis“ der Menschheit, denn deutlich zu erkennen ist, dass Mittelfinger und Ringfinger stark auseinanderstehen, ob bewusst zu einer Art Spock-Geste gespreizt oder von einer gichtartigen Krankheit herrührend ist nicht zu klären. Dieses individuelle Merkmal machte die das Schwein ausführende Hand dieses frühen Künstlers unverwechselbar; er erkannte sich darin und seine Stammesgefährten ihn.

Die Frage, ob bei Höhlenmalerei, die vielleicht dem Zweck eines Jagdzaubers oder der Geisterbesänftigung der erlegten Tiere diente, von Kunst zu sprechen sei, wurde aus Künstlersicht stets bejaht. Für reine Zweckerfüllung hätte eine simple Linienzeichnung gereicht. Oder wie ein Ko-Autor des Berichts zur Höhle schreibt: „Sie konnten jede Malerei schaffen, die sie wollten.“ Angesichts dieses perfekten Urbilds eines Schweins ist die Frage beantwortet.

 

 

Nota. - Die Frage, ob irgendwas Kunst ist, könnte niemanden aufregen, wenn es dadurch nicht als was ganz Besonderes ausgezeichnet würde. Das ist daher der erste Bestimmungs-grund, den wir - wer sonst? - anlegen müssen, um herauszufinden, "was Kunst ist". Da finden wir als erstes, dass sie keinen Zweck hat - außer vielleicht dem, dass sie dem einen oder andern gefällt. Alle andern von der Gesellschaft geachteten Tätigkeiten haben einen solchen Zweck. Das ist das erste Merkmal, das auffällt, wenn man nach objektiven Kriterien sucht. 'Schönheit' oder 'das Ästhetische' sind lediglich sekundäre Gründe - sie bezeichnen nämlich das, was 'gefällt'; ohne Interesse, sagt Kant: ohne dass ein Zweck daran erkannt würde. 

Dass ein 'Raum',  eine 'Dimension', eine Instanz in der Gesellschaft - gerade in der bürger-lichen Gesellschaft, in der sonst alles Zwecken unterworfen ist - entstanden ist, der oder die dem Gesetz der Verwertbarkeit nicht unterliegt, gilt es zu verstehen. Und wenn man die Frage erst einmal formuliert hat, springt gleich ins Auge: Dass 'alles einem Zweck dient', war ja auch nicht schon immer so, es musste sich ja selber erst entwickeln

Es wird angenommen, die prähistorischen Höhlenmalereien hätten rituellen Beschwörungs-riten gedient. Dafür hätten, da hat Stefan Trinks Recht, auch ein paar schematische Linien gereicht. Allein die Absicht, dass es ähnlichsieht, geht über den rein sachlichen Zweck schon hinaus. Doch rein sachlich war dieser Zweck eben noch nicht. Für eine abstrakteren Darstellung ist Reflexion nötig. Der Wunsch nach Ähnlichkeit entspricht wohl der Absicht, das Schwein "so, wie es lebt" zu vergegenwärtigen. Das wäre ein magischer und durchaus noch kein rationeller Zusammenhang. Aber doch auch noch kein ästhetischer Gesichts-punkt!

Das, was wir - wer auch sonst? - heute als Kunst verstehen, steht am Ende eines langen Prozesses der Scheidung von weltlichen Zwecken und bloßem Gefallen, dem allmählichen Aus scheiden alles Nützlichen aus der... Kunst. Genauer gesagt: der Kunst aus dem allge-meinen Prozess gesellschaftlicher Reproduktion. So ist sie seit der Renaissance Kunst eigentlich erst geworden. Sie versteht sich am Ende dieses Prozesses nicht nur als autonom, sondern meint gelegentlich immer wieder, auf Gegenständlichkeit selbst verzichten zu kön-nen. Und nun erscheint im Rückblick die 'Kunst' der Höhlenmalerei moderner als etwa Re-alismus und Naturalismus des neunzehnten Jahrhunderts. "Picasso, Matisse, Klee" haben sich an ihr ein Besipiel genommen. 

So ein Rückblick ist anachronistisch, doch solange man sich dessen bewusst bleibt, ist nichts dagegen zu sagen. Es dient der Verfremdung, und das ist eigentlich, wozu zeitgenössische Kunst eigentlich "gut ist". 

JE

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