Samstag, 13. November 2021

Erhaben ist das schlichtweg Unangemessene.

El Capitán. Yosemite valley                   zu Geschmackssachen; aus Philosophierungen 

Die obige Erklärung kann auch so ausgedrückt werden: Erhaben ist das, mit welchem in Vergleichung alles andere klein ist. Hier sieht man leicht: daß nichts in der Natur gegeben werden könne, so groß als es auch von uns beurteilt werde, was nicht in einem andern Ver-hältnisse / betrachtet bis zum Unendlichkleinen abgewürdigt werden könnte; und umge-kehrt, nichts so klein, was sich nicht in Vergleichung mit noch kleinem Maßstäben für un-sere Einbildungskraft bis zu einer Weltgröße erweitern ließe. Die Teleskope haben uns die erstere, die Mikroskope die letztere Bemerkung zu machen reichlichen Stoff an die Hand gegeben.

Nichts also, was Gegenstand der Sinnen sein kann, ist, auf diesen Fuß betrachtet, erhaben zu nennen. Aber eben darum, daß in unserer Einbildungskraft ein Bestreben zum Fort-schritte ins Unendliche, in unserer Vernunft aber ein Anspruch auf absolute Totalität, als auf eine reelle Idee liegt: ist selbst jene Unangemessenheit unseres Vermögens der Größen-schätzung der Dinge der Sinnenwelt für diese Idee die Erweckung des Gefühls eines über-sinnlichen Vermögens in uns; und der Gebrauch, den die Urteilskraft von gewissen Gegen-ständen zum Behuf des letzteren (Gefühls) natürlicher Weise macht, nicht aber der Gegen-stand der Sinne, ist schlechthin groß, gegen ihn aber jeder andere Gebrauch klein. Mithin ist die Geistesstimmung durch eine gewisse die reflektierende Urteilskraft beschäftigende Vor-stellung, nicht aber das Objekt erhaben zu nennen. 

Wir können also zu den vorigen Formeln der Erklärung des Erhabenen noch diese hinzu-tun: Erhaben ist, was auch nur denken zu können ein Vermögen des Gemüts beweiset, das jeden Maßstab der Sinne übertrifft.
_________________________________________________________________________________I. Kant, Kritik der Urteilskraft, § 25, [S. 170f.]

 

 

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