Dem
vernünftigen Bewusstsein - fast ist das eine Tautologie - erscheint die
Welt als ein vir-tuell geschlossenes System von Begriffen, die einander
wechselseitig bestimmen, indem sie ihre jeweiligen Geltungsbereiche gegeneinander eingrenzen: definieren. Dieses System ist entstanden und vervollständigt sich weiter durch den Gebrauch; die Bedeutung der Wörter ist ihre Verwendung im Sprachspiel.
Doch
geschlossen ist es erst virtuell. Reell stößt die Verwendung im
Sprachspiel immer wie-der auf Lücken: Die müssen geschlossen werden durch
das Einpassen in die Leerstellen, die das Sprachspiel bislang frei gelassen hatte; einpassen so, dass bisherige Definitionen
gegebe-nenfalls justiert werden müssen. (Ist ein ganzer Komplex von
Bedeutungen berührt, ge-schieht ein sogenannter 'Paradigmenwechsel'.) Die
- quasi transzendentale - Prämisse bleibt unberührt: Das System ist intakt. Es geht immer nur darum, es auszufüllen.
Denn nur, wenn der Rahmen gewahrt bleibt, ist es überhaupt ein System; nur dann kann erwartet werden, dass aktuell auftretende Lücken von uns gewiss gefüllt werden können, weil sie an sich schon gefüllt sind.
*
Das
gilt freilich nur für die Begriffe. Wenn das System geschlossen ist,
gelten die Begriffe an sich. Oder anders, wenn die Begriffe an sich
gelten sollen, muss ich mir das System als ge-schlossen vorstellen.
Rationell
sollte ich aber gar nicht vom System der Begriffe - oder "der Welt" -
ausgehen. Rationell muss ich mich an das halten, was ich weiß, und was
ich weiß, ist lediglich das, was in meinem Wissen vorkommt.
Tautologisch? Nicht, wenn ich mir klarmache, dass in mei-nem Wissen
nichts anderes vorkommt als meine Vorstellungen. Dass ich mir (etwas)
vor-stelle, ist nun das einzige, das ich nicht bezweifeln kann (weil
anders ich auch das Bezwei-feln bezweifeln - und gleich wieder aufhören
müsste, nachdem ich kaum angefangen habe).
Wenn ich zugeben muss, dass ich vorstelle, muss ich annehmen, dass ich es konnte; ich meine: muss, sonst wäre gleich wieder Schluss. Wenn ich es ohne eine andere Voraussetzung konnte - und das muss ich annehmen, denn ich habe keine weitere Voraussetzung gemacht -, dann muss ich annehmen, dass ich es ohne Voraussetzung können werde; es sei denn, ich stelle mir selber Dinge vor, die zu Voraussetzungen werden, die mich am Fortschreiten hin-dern.
Vorstellen
ist, nach Fichte, Übergehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten. Annehmen
musste ich: ein Vermögen dazu. Das heißt konventionell Ich. Es ist selber nicht bestimmt: Das könnte es erst selber besorgen. Wie? Indem es sich Etwas vorstellt. Ist es bestimmt? Das wird man sehen: Lässt es sich bestimmen? Dann kann ich fortschreiten; wenn nicht, dann wäre - hier wiederum Schluss.
Wenn
das richtig ist, dann kann das Bestimmen kein Ende finden - und das
Bestimmbare schon gar nicht. Denn anders würde die ganze Kette
hinfällig, und ihre Prämisse, ihr erstes Glied: dass Ich Unbestimmtes zu bestimmen vermag. Das System, das ich mir allenfalls vor-stellen kann, ist ein System in processu, ein unabgeschlossenes System.
Und wer immer diese Prämisse bestreiten wollte - dass ich zu bestimmen vermag -, wird doch jene andere Prämisse - jene andere Seite der Prämisse -, dass es Unbestimmtes gibt, nicht bestreiten können. Das System meiner Vorstellung kann gar nicht abgeschlossen wer-den; und mit jedem weiteren Fortschritt des Bestimmens kann - mag? soll? - eine rückwir-kende Umbestimmung der gesamten Kette geschehen.
Summa: Von
Einem lässt sich schlechterdings, bei gutem und bei schlechem Willen,
nicht abstrahieren: dass es in der Welt, wie immer wir sie uns denken, teils Bestimmtes, teils Un-bestimmtes gibt. Ein Denken, das sich darauf keinen Reim zu machen weiß, soll sich nicht Philosophie nennen.
27. 12. 16
Nota.
Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden.
Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht
wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
Dienstag, 9. November 2021
Was darf sich Philosophie nennen?
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