Dienstag, 9. November 2021

Zeitweilig tot: die intermittierende Lebensweise von Kleinstkrebsen.

Standard

aus derStandard.at, 9. 11. 2021                                                                                                   zuJochen Ebmeiers Realien

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Unverwüstliches Erbe

Insgesamt gibt es 16 Arten von Urzeitkrebsen in Österreich, die meisten davon in den March- und den Donauauen. Überschwemmungen angrenzender Wiesen und Felder schaffen immer wieder vorübergehend flache Seen, Tümpel und Pfützen, in denen die Krebse leben.

Doch was passiert, wenn diese Gewässer nach ein paar Wochen oder Monaten austrocknen? Immerhin sind Urzeitkrebse strikt ans Wasser gebunden. Tatsächlich sterben die Tiere mit dem Austrocknen unweigerlich, doch sie hinterlassen ein ungemein widerstandsfähiges Erbe: sogenannte Dauereier.

Die Kügelchen sind so winzig, dass hunderte von ihnen in einen Stecknadelkopf passen, wie der Branchiopodenexperte Erich Eder von der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien erklärt, aber extrem zäh. Selbst jahrzehntelange Trockenheit kann ihnen nichts anhaben: Wenn sie wieder von Wasser umgeben sind, schlüpfen daraus kleine Larven, die sich innerhalb weniger Tage zu geschlechtsreifen Krebsen entwickeln.

Keine Stoffwechseltätigkeit

Doch die Dauereier halten noch mehr aus: Selbst nach Eintauchen in kochendes Wasser, flüssigen Stickstoff, der immerhin eine Temperatur von minus 210 Grad Celsius hat, oder stark ätzende Säuren war das Ergebnis immer gleich: Sobald die Eier ins Wasser verbracht wurden, schlüpften daraus unbeschadete kleine Larven.

Dabei handelt es sich bei den Dauereiern eigentlich nicht um Eier, sondern um Dauer-Zysten: In ihrem Inneren befindet sich nämlich kein undifferenzierter Gewebe-Brei, sondern der fertige Larven-Embryo, allerdings in völlig ausgetrocknetem Zustand.

In dieser Phase konnte bei den Embryonen bis jetzt keinerlei Stoffwechseltätigkeit nachgewiesen werden. Nach klassischer Auffassung wären sie demnach tot, aber eben nur auf Zeit, was durchaus auch einen neuen Blick auf die Definition des Lebens angestoßen hat, wie Eder meint: "Die US-Raumfahrtbehörde Nasa etwa verzichtet heute auf die Notwendigkeit eines Stoffwechsels als Kriterium für Leben."

Überleben in der Wüste

Ob tot oder nicht: Die Dauereier garantieren jedenfalls die Verbreitung der Krebse. Die Weibchen einiger Arten tragen sie nämlich in leuchtend bunten Eibeuteln, wodurch sie von hungrigen Vögeln leicht entdeckt und gefressen werden. In deren Gefieder oder Darm können die Zysten über weite Strecken verbreitet werden. Der "umkehrbare Tod", wie Erich Eder es nennt, ermöglicht den Urzeitkrebsen auch die Besiedlung von Lebensräumen, die für Wassertiere auf den ersten Blick denkbar ungeeignet scheinen.

So findet sich in Australien die weltweit höchste Artenvielfalt an Branchiopoden, obwohl 70 Prozent des Kontinents von Wüsten und Halbwüsten eingenommen werden. Zur Regenzeit entstehen dort oft flache, aber großflächige Seen, in denen die Krebse vorübergehend hervorragende Lebensbedingungen finden. ...

 

Nota. - Ob die Definition 'des Lebens' geändert werden muss? Eher stellt sich die Frage, ab wann ein Lebewesen tot ist. Das ist nicht dasselbe. Die Dynamik ist umgekehrt. In der einen Frage wird vom Nichtleben als dem Standard ausgegangen, in der andern vom Leben. Die eine Frage ist logisch, aber die andere realistisch.

JE

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