Mittwoch, 3. November 2021

Manet und Astruc in der Kunsthalle Bremen.

aus FAZ.NET, 2. 11. 2021                                        Bildnis des Zacharie Astruc, 1866.                                           zu Geschmackssachen

Republikanischer Japonismus 
Ziemlich beste Freunde der Moderne: Die Kunsthalle Bremen zeigt, wie Édouard Manet nicht zuletzt über Zacharie Astruc zum Impressionismus fand. 

Von Stefan Trinks

Wie der französische Maler Édouard Manet den Im­pressionismus erfand, ist bekannt: ... durch Aktualisierung fleißig kopierter spanischer Barockmeister, durch Übertragung wesentlicher Stilmerkmale japanischer Vorbilder und durch Nutzung von Fotografien. Der Weg dorthin jedoch ist nicht direkt und führt wesentlich stärker über Manets Freund Zacharie Astruc als bisher gedacht. Ge­nau diese produktiven Umwege werden in Bremen anhand außergewöhnlicher Leihgaben an Manets, Monets, Fantin-Latours und Renoirs sowie eigener Bestände fesselnd aufbereitet. Wird doch in der Schau „Manet und Astruc“ mit einem Pfund der Kunsthalle gewuchert, dem frühen Ankauf des ersten Manet-Porträts von Astruc aus dem Jahr 1866, das der weitsichtige Direktor Gustav Pauli bereits 1909 erwarb und das in der Ausstellung ne­ben dem hochformatigen und zwei Jahre später entstandenen Porträt Émile Zolas aus dem Pariser Orsay-Museum hängt.

Damals ein skandalisierter Ankauf, ist der Bremer Astruc heute ein Schlüsselbild für all das, was Manets Impressionismus im Vergleich zu Monet, Sisley und den übrigen Malern von Baudelaires 1863 im Figaro publizierter Forderung nach einer ehrlichen Abbildung der vie moderne, des modernen Lebens, so an­ders macht. Das Porträt ist ein Manifest der Avantgarde, denn alles, was Manet und Astruc und der Zirkel aus Literaten und Künstlern um sie herum liebten und fast täglich diskutierten, stellt das Bild programmatisch aus: das Weiterdenken der alten Meister, ihre Japano- und Hispanophilie sowie die Rhythmisierung der Bilder durch das musikbesessene Manet-Netzwerk. Dass der Maler nie den kompletten Bruch mit der Tradition suchte, zeigt schon die Öffnung des Studios hinter dem in der rechten Bildhälfte mit kritischem Blick sitzenden Astruc: der nur aus Blaugrau-, Grün- und Brauntönen gebildete Nichtraum mit Saiteninstrument und Frau im selben Farbdreiklang ist ein Zitat des Hintergrunds von Tizians „Venus von Urbino“, die Manet wiederholt kopiert hatte.

Ge­wollt artifizielle Marionettenhaftigkeit

Mit dem stilllebenhaften Buchstapel im Vordergrund, in dem sich eine Zitrone entblättert und japanische Holzschnitte und Bücher nach vorne drängen, modernisiert und verlebendigt Manet wiederum eine nature morte des bewunderten Rokokomalers Chardin. Der Freund und Kunstkritiker wird in flächiges Schwarz getaucht, wie es auf den frühen Porträtfotos dieser Zeit mit dunklen Partien passiert. Astrucs Rechte greift mit Napoleon-Geste ins Sakko, die linke wird mit nur vier Linien hingehaucht und im darauf gesetzten Licht aufgelöst.


 Émile Zola, 1868

Hatte man Astruc bislang eher als Schriftsteller auf der Liste, wird er in der Kunsthalle mit mehreren Dutzend Bildern und zwei Skulpturen erstmals auch als bildender Künstler vorgestellt. Nach Betrachtung der Bilder allerdings gibt es keine Notwendigkeit zum Umschreiben von Kunstgeschichte. Als Maler ist Manet Astruc bei weitem überlegen, immer würde man das mehrfach im direkten Vergleich nebeneinandergehängte selbe Mo­tiv des älteren Künstlers jenem des malenden Poeten vorziehen. Eine Überraschung aber bildet die subtil eingebimste Suggestion im Lauf der acht Ausstellungssäle, dass es durchaus Astruc gewesen sein könnte, der den Freund Manet durch das früh begonnene Sammeln ja­panischer Puppen auf die Idee einer ge­wollt artifiziellen Marionettenhaftigkeit seiner Figuren gebracht hat.

Monet, Blumen in einer Kristallvase um 1882.
Z. Astruc, Blumen in einer Vase, um 1884

Selbsterklärte moderne Republikaner

So stehen auf dem mit Abstand schönsten Bild von Astrucs Hand, dem Aquarell „Japanische Puppen, Isabelles Spielzeug“ von 1871, vier dieser kostbaren Puppen als „Spielkameradinnen“ seiner Tochter im Vordergrund vor japanlackschwarzem Hintergrund mit merkwürdig unnatürlich abstehenden Armen und hölzernen Gesten wie der Kasperl im Marionettentheater. Anschaulich sind in Bremen jeweils die auf den Bildern zu sehenden Realien daneben ausgestellt, in diesem Fall die originalen Puppen, die in Japan zu jahreszeitlichen Feiern wie dem Mädchen- oder Knabenfest wie echte Menschen in den Familien aufgestellt werden. Dass Manet diese Puppen gekannt hat, belegt sein vier Jahre nach Astrucs Aquarell entstandenes Por­trät „Tama, der japanische Hund“, auf dem er vor dem vom Freund Theodore Duret von einer Weltreise mitgebrachten japanischen Spaniel wie bei „Isabelles Spielzeug“ ebenfalls im Vordergrund eine solche japanische Puppe drapiert.

Tama, der japanische Hund, 1875

Manets Begeisterung für diese Puppen würde jedenfalls die über die Jahre be­wusst gesteigerte Steifheit seiner Figuren besser erklären. Dass er auch ansonsten sehr viel von der japanischen Kunst lernt, die in großen Mengen seit der durch die USA erzwungenen Öffnung des Landes 1854 nach Europa strömt und spätestens seit der Pariser Weltausstellung 1867 beliebtes Sammlungsobjekt wird, wird vor allem an drei Bildern offensichtlich. Es sind zum einen die „Katzen“ von 1868, die Manet direkt aus Hiroshiges Buch „Ukiyo Gafu“ von 1836 übernahm, deren Leiber er aber in eine gewagt klapprige Stuhlkonstruktion einspannt, die mit ihren schwarzen Holzstreben plötzlich einem japanischen Schriftzeichen ähneln.

Flach ausgeschnittene Figuren auf lichtgrauem Boden

Ebenso gewitzt ist die Variation des japanischen Vorbilds auf seiner Vogelperspektiv-Zeichnung „Warteschlange vor der Metzgerei“, bei der von den Wartenden vor allem deren Regenschirme zu sehen sind. Für die Komposition sich gegenseitig überschneidender Schirme zitiert Manet Hokusais „Samurai unter Schirmen“ von 1814, nicht ohne diese durch die offenbar eben durch die Wolken stoßende Sonne in grellem Weiß aufblitzen zu lassen und so zu einem surrealen Ornament zu machen. Manet übernimmt mithin nicht nur, sondern aktualisiert jeweils in Richtung Flächigkeit und Einpassung in neue Bildräume und -ideen.

Bewusst ausgestellte Artifizialität mit isolierten Blumenbouquet im Vordergrund und puppenhaft schwebenden Tänzern: Manets Das spanische Ballett, 1862. 

Dass in der Schau Meister Hasegawa Tōtetsus traumschöner und luftig mit Vögeln bemalter Wandschirm des späten siebzehnten Jahrhunderts aus dem Bremer Überseemuseum steht, dessen Pendant auf Manets Zola-Porträt aus dem Orsay auftaucht, oder auch der kolorierte Holzschnitt des „Sumoringers Ônaruto Nadaemon“ aus diesem Bildnis in Bremen hängt, zeigt ebenso wie das von Felix Bracquemond radierte und ausgetuschte Gründungsdiplom der „Jing-Lar-Gesellschaft“ die Japanmanie der Mitglieder Astruc und Manet. Diese hinderte die selbsterklärten modernen Republikaner bei aller Verehrung nicht daran, ihr „Jing-Lar“ nach dem verballhornten und fassweise genossenen Landwein „Reginglard“ zu benennen und auf recht altbackene Klischees wie Origami-Girlanden und einen frisch gegrillten Hund am Spieß zurückzugreifen.

Honoré Daumier, Bourgeois vor Manets Olympia; in Le Charivari, 19 Juin 1865

Was aber eben im wegen des Pinnwandfotos der „Olympia“ etwas berühmteren Orsay-Bildnis Zolas noch stärker hinzukommt, ist die Spanienbegeisterung Manets, repräsentiert durch die dort ebenfalls eingeklemmte Radierung „Los Borrachos (Die Trunkenen)“ von Velázquez in der Adaption Goyas, womit gleich beide Heroen Manets im Bild vorkommen. Die Quodlibet-Pinnwand hinter Zola funktioniert somit wie eine Gleichung: Japan + Spanien = Olympia. Die systematisch von Manet im Prado und im Louvre kopierten Figuren vor leerem Hintergrund wie Velázquez’ „Aesop“ oder „Me­nippos“ werden bei ihm zum fast lebensgroßen „Guitarrero“ (auch in Bremen!) von 1860 oder auch zum „Spanischen Ballett“ von 1862: flach ausgeschnittene Figuren auf lichtgrauem Boden und flachem Hintergrund. Diese spanischen Prototypen von Ma­nets spezieller Moderne sind abermals zwei Programmbilder, denen in Bremen noch der „Torero“ Astrucs beigesellt wird.


Auguste Renoirs Stillleben mit Bouquet, 1871: 
Manets Radierung Versammlung von vierzehn Personen nach dem damals noch Diego Velázquez zugeschriebenen Gemälde im Louvre

Ausgelöst wurde das Spanienfieber in Paris erneut durch einen Dreiklang: das Sehen sensationeller Bilder seit der Öffnung der „Galerie Espagnole“ Napoleons I. für alle Besucher im Jahr 1838, Georges Bizets „Carmen“ und Manets Besuch fast aller Aufführungen spanischer Kompanien. Selten aber wirkte die Trias der Moderne aus Vor-Bildern, Musik und echter vie moderne so frisch wie jetzt in Bremen.

Manet und Astruc. Künstlerfreunde. In der Kunsthalle Bremen; bis zum 27. Februar 2022. Der Katalog kostet 34 Euro.

 

Nota. - Dass Manet dem Freundeskreis um Pissarro, Monet und Renoir zuzuzählen ist, wenn auch nur am Rande, ist wohl nicht strittig. Ihn deswegen aber selber einen Impressio-nisten zu nennen, ist ganz unpassend. Seine an Velázquez orientierten Holzpuppen sind ganz das Gegenteil des flüchtigen Augenblicks, und zum "Eindruck" fehlt das Sonnenlicht: Nicht nur hat er nicht unter freiem Himmel gemalt; er wäre auch der einzige 'Impressionist', der nicht eine Landschaft hinterlassen hat.

JE

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