
Das praktische Ich (denn dadurch erklären wir alles) erscheint im Entwerfen des Begriffs seiner Wirksamkeit frei in Absicht des Zusam-/menordnens des Mannigfaltigen; darin be-steht die Freiheit der Wahl. Ist aber der Begriff einmal entworfen und wird nach ihm gehan-delt , dann hängt die Folge nicht mehr von ihm [=dem praktischen Ich] ab, sondern es ist in Rück-sicht derselben gebunden. Die Anschauung, die ihrer Natur nach gebunden ist, wird im er-sten Falle, wenn der Begriff entworfen wird, vom Praktischen hin- und hergerissen zwi-schen Sein und Nichtsein, im Schweben zwischen Entgegengesetzten. Im zweiten Falle, wo gehandelt wird, wird das Angeschaute dadurch, dass das Praktische selbst gebunden ist, mit-gebunden; der Grund der Bestimmtheit der Intelligenz hängt ab von der Bestimmtheit des Praktischen.
Im ersten Falle heißt es der Begriff von einer bloß möglichen, im zweiten von einer wirkli-chen Handlung. Jetzt ist die Fragte, was x sei, beantwortet; x ist eine wirkliche Handlung und einer bloß möglichen entgegengesetzt.
Corollaria:
1) Diese Begriffe sind besondere Bestimmungen der Intelligenz in Beziehung auf das in ihr notwendig hinzuzudenkende praktische Vermögen. Wird das praktische Vermögen gesetzt als selbst Begriffe erschaffend, so ist dann die Intelligenz selbst frei, und dann entsteht der Begriff des Möglichen; wird es gesetzt als wirklich handeln, so ist es in Rücksicht der Folge des Mannigfaltigen gebunden, und die Intelligenz mit ihm.
2) Alles Wirkliche und Mögliche ist wirklich und möglich lediglich in Beziehung auf die Handlung des Ich; denn wir haben es von der Anschauung des Handelns abgeleitet. Die Anschauung eines Wirklichen bedingt alle Anschauung, mithin alles Bewusstsein
Bewusstsein des Wirklichen oder Anschauung des Wirklichen heißt Erfahrung, also geht alles Denken von der Erfahrung aus und ist durch sie bedingt. Nur durch Erfahrung wer-den wir für uns selbst etwas, hinterher können wir von der Erfahrung abstrahieren.
Anschauung des Wirklichen ist nur möglich durch Anschauung eines wirklichen Handelns des Ich; also jede Erfahrung geht aus vom Handeln, es ist nur durch sie möglich [sic]. Ist kein Handeln, so ist keine Erfahrung, und ist diese nicht, so ist kein Bewusstsein.
_______________________________________________________________________ J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 59f.
Nota I. - Möglichkeit 'ist' lediglich in der Vorstellung, nämlich sofern der Begriff von einem Zweck gefasst wurde; ist nicht die Latenzform von 'Sein', sondern ein Zweck, der zwar ent-worfen, aber noch nicht handelnd realisiert wurde. (Zur Erinnerung: Nach Kants Kategori-enlehre gehört Möglichkeit neben Wirklichkeit und Notwendigkeit zu den Modalitäten; sie sind a priori.)
16. 8. 16
Nota II. - Das ist nun wirklich alles, was über die Möglichkeit zu sagen ist: Sie ist kein Zu-stand (modus) von Etwas, sondern die Vorstellung von einem unerfüllten Zweck. Sie hat keine ontologische, sondern ausschließlich transzendentale Bedeutung.
Dabei fällt uns sofort Kants Kategorientafel ein. Er schreibt sie mir nichts dir nichts ein-fach auf ohne zu sagen, wo er sie her hat. Fichte sagt: aus der bloßen Erfahrung aufgerafft.
So sieht sie aber nicht aus: 4 x drei = zwölf, das kann doch kein Zufall sein! Und tatsächlich: Solang man auch grübelt, eine Kategorie, die er vergessen hätte, will einem nicht einfallen. Es ist und bleibt verwunderlich.
Nun aber haben wir mit der Möglichkeit eine 'Kategorie', die überschüssig ist! Zu Notwen-digkeit und Zufall, die gemeinhin als in einer Sache-selbst gegründet aufgefasst werden, will die Mölichkeit als eine bloße Vorstellung gar nicht passen: Sie existiert nur im Subjekt. Setzt man aber, um die Drei wieder voll zu machen, das Dasein hinzu, dann... könnte es auch feh-len; dann aber bräuchten wir die Möglicheit wieder.
Man kann sich vorstellen, dass Kant von den zehn Jahren, die er an der Kritik der reinen Vernunft gesessen hat, einen nicht geringen Teil der Kategorientafel opfern musste.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen