Donnerstag, 22. Oktober 2020

Der Popstar als Mimose.

aus nzz.ch, 22. 10. 20                                                                                                                                 zu Geschmackssachen

von Anna Schneider, Berlin

...Man kann Maurós Text durchaus kritisieren. So stellt sich die Frage, weshalb er auf Levits Spieltechnik, die er eingangs als ungenügend abstempelt, nicht näher eingeht. Stattdessen vergleicht er Levit mit einem anderen gefeierten Kollegen und stellt Ersteren als musikalisch unterlegen dar. Dabei gibt es zahlreiche Kritiker, nicht nur in Deutschland, die Levit als Weltklassemusiker würdigen. Der Autor der «SZ» muss sich deren Urteil nicht zu eigen machen, aber er sollte seine Meinung dann fachlich begründen und nicht nur hinrotzen. Die Münchner Zeitung, die mit Joachim Kaiser einst tonangebend in der deutschen Musikkritik war, bleibt hier weit unter ihren Möglichkeiten. Auch die Tatsache, dass Levit seit Jahren ernstzunehmende Drohungen erhält und regelmässig antisemitisch beschimpft wird, inter-essiert Mauró nicht.

Handwerklich mangelhaft: Diesen Vorwurf müssen sich der Autor und seine Zeitung wohl gefallen lassen. Aber antisemitisch? Nein, das ist dieser Text sicher nicht. Der Begriff «Op-feranspruchsideologie» etwa, über den sich Levits Anhänger besonders empören, bezieht sich eindeutig nicht auf ihn im Besonderen, sondern auf ein allgemeines Verhaltensmuster in den sozialen Netzwerken. Auch im restlichen Artikel findet sich keine Zeile Judenhass.

Dass Twitter ein Medium ist, bei dem oft schneller geschossen als gedacht wird: geschenkt. Doch im Falle Levit kommt hinzu, dass er, wie Mauró zutreffend schreibt, mit den «richti-gen Journalisten und Multiplikatoren befreundet» ist. Und die sind laut. Gemeinsam haben sie einen Shitstorm veranstaltet, der über das Medium hinaus Wellen schlug. Wer zu dieser reichweitenstarken Gemeinschaft gehört, kann man in einem von Levits Tweets nachlesen. Dort feiert er eine Auswahl der «wunderbaren Menschen», von der Fridays-For-Future-Ak-tivistin Luisa Neubauer bis zum «FAZ»-Journalisten Patrick Bahners.

Nebst zahlreichen Tweets erreichten auch etliche Leserbriefe die «SZ». Diese hat das Blatt, wie die Reaktionen auf Twitter, auszugsweise veröffentlicht. Von «viel Schelte und wenig Verständnis» ist da die Rede. In einem ersten Versuch, die Kritiker zu besänftigen, veröf-fentlichte die Zeitung noch am selben Tag eine Stellungnahme. Darin betonte sie, dass Kri-tik durchaus verletzen könne, und hob hervor, dass es auch schon lobende Beiträge über Levit gegeben habe.

Die Chefredaktion der «SZ» wirkt getrieben

Doch als der Protest nicht enden wollte, schickte die Zeitung noch eine zweite Stellung-nahme hinterher. «Die Chefredaktion bittet Levit und ihre Leser um Entschuldigung», heisst es nun. Manche empfänden den Text als antisemitisch, etliche sähen Levit nicht nur als Künstler, sondern als Menschen herabgewürdigt (er selbst sieht das dem Vernehmen nach ebenfalls so). Auch viele Redaktoren der «SZ» teilten diese Meinung. Es ist ein eigen-artiges, gewundenes Statement. Dazu würde passen, dass sich einer der Chefredaktoren laut Levit in einer E-Mail zunächst hinter Mauró gestellt habe. Wenn das stimmt, dann wäre die Spitze der «SZ» nicht Treiber, sondern Getriebene dieses Kotaus.

Journalismus lebt von unterschiedlichen Meinungen, auch innerhalb einer Redaktion. Es soll und muss diskutiert werden. Genau diese innere Freiheit untergräbt die Chefredaktion der «SZ» mit ihrer Abbitte. Das Einknicken vor verletzten Gefühlen und – in diesem Fall – substanzlosen Antisemitismusvorwürfen ist, man kann es kaum beschönigen, hasenfüssig. Der Kotau birgt die Gefahr, dass Redaktoren sich künftig selbst zensieren, zumal die weni-gen, die von der Münchner Mehrheitsmeinung abweichen.

Igor Levit twittert gerne polemisch und oft unter der Gürtellinie. Wer das tut, muss mit Gegenwind rechnen. Der Pianist hingegen sieht sich «als Mensch herabgewürdigt», wie die «SZ» schreibt. Das ist schon deshalb interessant, weil Levit selbst schon Andersdenkenden das Menschsein abgesprochen hat. Ob er sich bei diesen entschuldigt hat?


Nota. - Ich sag's nochmal: Würde Igor Levit der Öffentlichkeit mitteilen, dass er ein Popstar sein will, würde Helmut Mauró das wohl zur Kenntnis nehmen und sich auf seine Spieltech-nik nicht weiter einlassen. Das tut Levit aber nicht, doch außerhalb des Konzertsaals - oder nicht nur außerhalb? - benimmt er sich so. Dann kann er sich nicht beschweren, wenn ein Kritiker versucht ist, auch seine Performance am Klavier unter diesem Gesichts- oder Ge-hörpunkt werten. Ob er dann mit seinem Urteil, ästhetisch betrachtet, Recht hat, ist eine Frage für sich, aber die steht hier nicht zur Debatte. Sondern ob Mauró das überhaupt zur Sprache bringen darf. Nein, darf er nicht, denn es ist eo ipso antisemitisch.

Was die Chefredaktion der Süddeutschen betrifft, kann man nur wiederholen: Politische Korrektheit ist von Natur unehrlich und feige. Sie heult mit den Kläffern am Wegrand. Fast bedaure ich, dass ich das Blatt nicht abonniert habe und abbestellen kann.

JE 

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