Dienstag, 20. Oktober 2020

Van Gogh, pointillierend.

Straße in einem Pariser Vorort, 1887                                                                                                                              zu Geschmackssachen

Ich bin nicht der größte Bewunderer van Goghs. Aber ein Mysterium ist er schon. Jahrelang als Kunsthändler tätig, hat er selber nur nebenher und dilettierend gemalt. Eine zünftige Ausbildung hat er schon nach kurzer Zeit abgebrochen und sich für ein Leben als refor-mierter Prediger entschieden. Doch auch da hat es mit der Ausbildung gehapert. Dass er es schließlich doch als Künstler versuchen wollte, kommt da fast wie eine Verlegenheitslösung vor.

Zumal die Sachen, die er noch im heimatlichen Holland gemalt hat, weder eine besondere Begabung noch einen unbändigen Gestaltungsdrang erkennen lassen.

Landschaft mit Kirche und Bauernhäusern, 1885

Küstler werden hieß, nach Paris gehen. Dort dominierte (in der Avantgarde) noch immer der Impressionismus, war aber schon kein Skandal mehr und drohte, modisch zu verfla-chen. Nahe hätte es gelegen, dort anzusetzen und zuzusehen, wie weit es trägt. Oder erst einmal arglos abzumalen, was man vor Augen fand - und zusehen, wie weit es trägt.  Van Gogh hat weder das eine noch das andere (das letztere ganz am Anfang, aber auch nur ganz kurz) versucht, sondern sich verkrampft in die Anstrengung geworfen, auf Teufel komm raus seinen eigenen Stil zu erzwingen.

Das Resultat waren Bilder, auf denen die impressionistischen Strichelchen und Tupfer durch parallele, wie Schraffur nebeneinanderliegende lange gerade Linien ersetzt war - ganz dünn und mit einigem Abstand und durchaus dem impressionistischen Gebot von Leichtigkeit und Durchsichtigkeit verpflichtet. Aber außerordentlich dürftig und uninspiriert - nicht aus eigenem Geschmack geboren, sondern aus schwitzendem Kalkül.

Boulevard de Clichy, 1887

Wo ist das Mysterium?

Es war das Licht der Provence. Plötzlich malt er drauflos wie ein Verrückter und der eigene Stil war - durch die Farbe?! - auf einmal da, es sind noch immer die parallelen Striche, jetzt aber dick und fett und pastos, die Farben so aufgetragen, wie sie aus der Tube kamen und sich fast zufällig auf der Palette verschmiert hatten. Auf einmal ist ein Talent da, das auch einer, dem es nicht gefällt, gut und gern genial nennen kann. Dabei bleibt er, vielleicht tausend Bilder lang.

Bis er in die Île de France zieht und sich das Licht wieder ändert. Der so mühsam und fast zufällig gefundene Personalstil beginnt, sich wieder aufzulösen, und da stirbt er.

Das obige Bild zeige ich Ihnen, um zu illustrieren, wie alles auch hätte anders ausgehen können. Ab 1894 war Georges Seurat mit seinem "wissenschaftlichen Impressionismus" alias Pointillismus an die Öffentlichkeit getreten. Van Gogh hat ihn erst 1887 ausprobiert, und wenn Sie mich fragen: Er ist ihm besser gelungen als den Meistern Seurat und Signac; bei ihm - ausgerechnet ihm - wirkt er nicht erkünstelt, wirkt er nicht forciert, wirkt er ästhe-tisch motiviert. Vielleicht war das für sein Genie der déclic? 

Ich denke, er hätte dabei bleiben sollen - und zusehen, wie weit es trägt.



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