aus spektrum.de, 16.10.2020 zuJochen Ebmeiers Realien
»Es gibt Hochbegabte in allen gesellschaftlich relevanten Bereichen«
Ob Mathecrack oder Spitzensportler, Mann oder Frau: Hochbegabung hat viele Gesichter. Entscheidend sind nicht nur die Fähigkeiten, sondern auch die Persönlichkeit, sagt die Psychologin Franzis Preckel.
von Corinna Hartmann
Bei dem Wort »hochbegabt« denken viele an Mathegenies. Oder an nerdige Physiker wie die Figur des Dr. Sheldon Cooper aus der Fernsehserie »Big Bang Theory«. Doch Hochbega-bung hat viele Gesichter: Auch jemand, der im Sport- oder Musikbereich Spitzenleistungen vollbringt, kann hochbegabt sein. Oder jemand mit außergewöhnlicher Führungskompe-tenz, sagt Franzis Preckel. Die Psychologin leitet den Lehrstuhl für Hochbegabtenforschung und -förderung an der Universität Trier. Im Interview erklärt sie, was eine Hochbegabung von einer hohen Intelligenz unterscheidet, ob Männer und Frauen sich hinsichtlich ihrer Begabungen unterscheiden und wie man Personen, die außergewöhnliche Leistungen zei-gen, am besten fördert.
»Spektrum.de«: Frau Preckel, ist hochbegabt gleichbedeutend mit hochintelligent?
Franzis Preckel: Das ist nur eine mögliche Sichtweise. Aktuell wird Hochbegabung zumeist vielfältiger konzipiert. Intelligenz ist ein wichtiges Merkmal dabei, aber längst nicht das ein-zige. Im Grunde gibt es Hochbegabte in allen gesellschaftlich relevanten Leistungsberei-chen. Neben dem akademischen Bereich mit Mathematik, Naturwissenschaften, Sprachen und Geisteswissenschaften ist das auch in der Kunst, in der Musik, im Sport und so weiter der Fall. Und Führungsfähigkeit und diplomatisches Geschick sind ebenfalls Domänen, in denen Hochbegabung vorkommt.
Wie lässt sich eine Hochbegabung dort feststellen?
Das ist in manchen Bereichen tatsächlich schwierig – nämlich immer
dann, wenn objektive Maßstäbe fehlen, was unter besserem,
leistungsstärkerem Verhalten zu verstehen ist. Etwa im
sozial-emotionalen Bereich. Dort gibt es zwar das Konzept der
emotionalen Intelligenz; ob es sich dabei überhaupt um eine Fähigkeit
handelt oder eher um ein Persönlichkeits-merkmal, ist jedoch umstritten.
Trotzdem ist meist von Hochbegabung die Rede, wenn eine Person sehr gut in einem Intelligenztest abschneidet.
Ja, der Test liefert hier wertvolle Informationen. Doch das ist nur
ein Baustein. Früher ging man oft, heute seltener, davon aus, dass
Hochbegabung ab einem Intelligenzquotienten von 130 beginnt. Die
Mehrheit der Menschen kommt auf einen Wert um die 100, etwa 68 Prozent
der IQs liegen zwischen 85 und 115. Ein IQ von 130 zeigt also an, dass
ein besonderes intellektuelles Potenzial vorhanden ist. Wenn man
Hochbegabung aber weiter fasst, zum Beispiel als Potenzial für die
Entwicklung von besonderen Leistungen, gehört neben der Intelligenz noch
mehr dazu. Zum Beispiel die Leistungsmotivation, Gewissen-haftigkeit
oder der Glaube an die eigenen Fähigkeiten. Eine reine Definition von
Hochbe-gabung auf Basis des IQ wird daher heute von vielen abgelehnt. Ein
einzelnes Intelligenz-testergebnis reicht eben nicht aus, um sich ein
umfassendes Bild von den Fähigkeiten einer Person machen.
Wie stark klaffen Hochbegabungen auseinander?
Ganz abgesehen von den vielen verschiedenen Bereichen, in denen eine Hochbegabung auftreten kann, ist allein Intelligenz sehr facettenreich. Aktuell unterscheidet man neben der allgemeinen Intelligenz noch zahlreiche spezifischere Fähigkeiten, die darunterfallen: etwa numerische Intelligenz, verbale Intelligenz und räumliches Denken. Interessanterweise hat man festgestellt, dass sich die Performance in den verschiedenen Bereichen der Intelligenz umso stärker unterscheidet, je höher die allgemeine Intelligenz einer Person ist. Das heißt, wer hochintelligent ist, besitzt eher eine besondere Stärke – kann also bei einem insgesamt eher hohen Niveau beispielsweise noch mal deutlich besser mit Zahlen umgehen als mit Worten. Wer umgekehrt eine durchschnittliche allgemeine Intelligenz aufweist, schneidet tendenziell in verschiedenen Teilen des Intelligenztests ähnlich gut ab.
Wie kommt das?
Hierfür gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Man kann sich zum Beispiel einen Com-puter vorstellen, bei dem alle Komponenten von einem zentralen Prozessor abhängig sind. Ist dieser langsam, limitiert das die maximale Leistung aller Komponenten, so dass diese alle ähnlich langsam arbeiten. Ist der Prozessor hingegen sehr schnell, kommen die Unterschie-de in der Effizienz der einzelnen Komponenten mehr zum Vorschein. Das ist aber nicht unbedingt eine korrekte und ganz sicher eine stark vereinfachte Beschreibung der Prozesse, die tatsächlich für den Effekt verantwortlich sind.
Unterscheiden sich Jungen und Mädchen hinsichtlich ihrer Talente?
Am besten dokumentiert ist, dass Jungen besser im räumlichen Denken abschneiden und Mädchen besser im sprachlichen Bereich. Der Vorsprung ist allerdings jeweils eher gering. In der Mathematik, in den Naturwissenschaften und bei der allgemeinen Intelligenz sind sie im Schnitt gleichauf. In den Medien werden Geschlechterunterschiede oft überbetont. Eine Studie, die zu dem Schluss kommt, dass Männer und Frauen verschieden sind, ist einfach interessanter. Dabei sind die Unterschiede innerhalb eines Geschlechts deutlich größer als die zwischen den Geschlechtern. Ein spannendes Phänomen gibt es jedoch: Männer bewe-gen sich häufiger an den Rändern der Verteilung. Sie haben öfter sehr hohe, aber auch öfter sehr niedrige Werte, etwa in Mathematik.
Ist das ein Grund, warum männliche Genies, zum Beispiel in Film und Fernsehen, präsenter sind?
Wohl kaum. Männer sind in prominenten Positionen einfach deutlich überrepräsentiert. Zusammen mit Lena Keller von der FU Berlin und Martin Brunner von der Uni Potsdam haben wir uns einmal die Spitzenleistenden in Mathematik in den Pisa-Daten angeschaut. Hier liegt das Geschlechterverhältnis innerhalb der Top fünf Prozent in 82 Ländern bei etwa 1 zu 1,5 zu Gunsten der Jungen. Das heißt, von zehn Jugendlichen, die besonders gut in Mathe abschneiden, sind vier Mädchen und sechs Jungen. Schon in den MINT-Studien-fächern klafft die Lücke zwischen der Anzahl an männlichen und weiblichen Studenten jedoch deutlich weiter auseinander. Tatsächlich findet man in Physik, Chemie, Ingenieur-wesen und Informatik auch recht viele durchschnittlich begabte Männer. Dazu ist gerade auch eine Studie in der Fachzeitschrift »Science« erschienen.
Woran liegt das? Trauen sich Männer mehr zu?
Wichtige Gründe sind sicherlich kulturell kommunizierte Rollenbilder und auch die fakti-sche Verteilung von Positionen zwischen den Geschlechtern. Für die Pisa-Daten fanden wir beispielsweise in Ländern, in denen mehr Frauen Führungspositionen bekleiden oder an der Uni studieren, mehr Mädchen unter den Top fünf Prozent in Mathe. Studien zeigen zudem, dass Männer und Frauen im Schnitt etwas andere berufliche Interessen oder Werte haben. Männer begeistern sich eher für Dinge, Technik, für Abstraktes; Frauen finden tendenziell Lebendiges, also Tiere, Menschen, Pflanzen reizvoller. Wenn Männer in die Wissenschaft gehen, wählen sie häufiger Fächer wie Chemie und Physik, Frauen gehen eher in die Medi-zin, Psychologie oder Biologie.
Welche Rolle spielen genetische Unterschiede für das Ungleichgewicht der Geschlechter an der akademischen Spitze?
Eine untergeordnete. Dagegen spricht zum Beispiel folgender Befund: Das Geschlechter-verhältnis im intellektuellen Höchstleistungsbereich verändert sich. In den vergangenen Jahrzehnten gab es viel mehr mathematisch hochbegabte Jungen als Mädchen: Das Verhält-nis lag etwa bei 19 zu 1. Jetzt sind wir bei etwa 1,5 zu 1 angekommen. Das kann nur die Folge eines gesellschaftlichen Wandels sein. Wären Männer auf Grund ihrer Gene im Be-reich mathematischer Spitzenleistungen überrepräsentiert, hätten sich die Zahlen nicht so schnell angeglichen. Evolutionäre Veränderungen dauern viel länger.
Wie stark unterscheiden sich Hochbegabte in ihrer Leistung?
Innerhalb der Gruppe der Hochbegabten existiert eine große Bandbreite. Das wird sehr deutlich, wenn man sich die Verteilung der Intelligenz ansieht. Der IQ der meisten Men-schen liegt im Durchschnittsbereich zwischen 85 und 115 Punkten, das umfasst also eine Bandbreite von 30 Punkten. Sieht man sich aber den Bereich ab einem IQ von 130 an, sind dort Unterschiede von 45 Punkten und mehr möglich. Es gibt Menschen mit einem IQ von mehr als 175. Das trifft vielleicht auf eine Person unter gut drei Millionen zu. Entsprechend gib es auch keine eigens konstruierten Intelligenztests für diesen Spitzenbereich, das würde sich nicht lohnen. Um eine entsprechende Intelligenz festzustellen, legt man den Betreffen-den deshalb meist im Kindes- und Jugendalter Fragen vor, die eigentlich für Ältere gedacht sind – zum Beispiel für Studierende. Und Intelligenz ist ja nur ein Aspekt von Hochbega-bung.
Sollte man eine Hochbegabung also möglichst früh feststellen?
Das ist so eine Sache. Eines der größten Missverständnisse ist, dass man als Hochbegabter geboren wird und dann so bleibt. Frühe Tests können nützlich sein, doch sie sind nur eine Momentaufnahme. Unsere Fähigkeiten sind stets im Wandel und entwickeln sich weiter, wenn wir sie nutzen. Mit jedem zusätzlichen Jahr Schulbildung steigt zum Beispiel die Intelligenz um ein bis fünf Punkte. Man kann also sagen: Bildung macht schlau.
Gilt das auch für andere Bereiche wie Sport und Musik?
Absolut. Eine entscheidende Zutat für Spitzenleistungen in allen Domänen ist etwas, was wir »teachability« nennen: die Fähigkeit, Feedback zu nutzen und aus Fehlern zu lernen. Das braucht man sowohl beim Lösen von Gleichungen als auch beim Stabhochsprung.
Wie fördert man Hochbegabte optimal?
Ein Potenzial, etwa eine hohe Intelligenz, muss sich entwickeln können. Sonst verkümmert es womöglich. Dauerhafte Unterforderung wirkt sich nicht nur negativ auf die Fähigkeiten einer Person aus, sondern ebenso auf deren Motivation und Leistungsbereitschaft. Kinder brauchen beispielsweise Unterstützung dabei, herauszufinden, was zu ihnen passt, was sie mögen und gut können. Förderung besteht daher anfangs darin, Gelegenheiten zu schaffen und die Betreffenden dazu zu ermutigen, vieles auszuprobieren. Hat man seinen Bereich gefunden, ist es wichtig, Lernfortschritte machen zu können. Man braucht gute Lehrer, die an einen glauben und einem viel beibringen können. Mitunter kann es sinnvoll sein, die Betreffenden Klassen überspringen zu lassen oder Jugendlichen schon ein Studium zu ermöglichen. Ich finde aber nicht, dass Hochbegabte hier eine Sonderstellung haben – denn jeder hat ein Anrecht darauf, die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln. Das gilt unabhängig vom Begabungsniveau. Gute Förderung setzt also voraus, dass eine Gesellschaft entspannt mit solchen Unterschieden umgehen kann.
Nota. - Gott, was für ein Kuddelmuddel. Vielleicht hätte die Forscherin klarer geantwortet, wenn man sie anders befragt hätte. Aber spektrum.de hat diesen Text veröffentlicht, und ich will versuchen, was daraus zu machen.
Auf den ersten Blick bleibt nur das Fazit: Was man schon über die Intelligenz nicht sagen konnte, kann man über andere Begabungen auch nicht sagen, ach.
Doch dann fällt mir ein: Das Problem ist ja, dass man etwas messen will, das selber gar nicht quantifiziert in Erscheinung tritt. Unter 'Begabung' stellt man sich eine Fähigkeit vor, die irgendwo 'da' ist, die man aber nicht sehen kann und nur annimmt, um eine bestimmte... Leistung zu erklären.
Die Frage käme aber nicht auf, wenn es sich um gleiche Leistungen handelte; gemessen soll nur werden, was sich unterscheidet - und wozu? Um die Unterschiede zu ergründen und womöglich überwindbar zu machen. Die Leistung selbst ist gar nicht gemeint, sondern etwas, das man als ihre Ursache annimmt.
Gemessen werden kann freilich doch nur die Leistung. Kein Organismus erbringt aber jederzeit Höchstleistungen, das wäre sehr dumm von ihm. Man müsste daher sicherstellen, dass während des Tests der Organismus sein Bestes gibt - und das müsste sich irgendwie erfassen lassen.
Und so weiter: Es wird methodisch schwierig genug, von der Leistung aus an die pp. Begabung heranzukommen. Doch die Probleme türmen sich schon beim Messen der Leistung! Paradigma ist immer "die Intelligenz". Welche spezifische Leistung, die man messen könnte, ist das? Tja, eine spezifische ist es gerade nicht. Erfunden wurde die Intelligenzmessung zum Zweck des schulischen Unterrichts (Sonderschulen), und das war einfach, weil man von den gegebenen Curricula und dem überkommenen Benotungssystem ausging. Aber das war von anderhalb Jahrhunderten. Seither ist die empirische Wissenschaft viel weiter, und der Begriff der Intelligenz wird mit jedem neuen Ergebis eher strittiger als klarer.
Denn wie einfach es auch war, Intelligenz anhand der Lehrpläne zu messen, war ihr Begriff doch nicht in der Schule entstanden, sondern "im wirklichen Leben", lange bevor es reguläre Schulen überhaupt gab. Aber nicht die Griechen, deren Ideal die zweckfreie Betrachtung war - theoría -, haben ihn erfunden, sondern die höchst praktisch gesonnenen Römer. Mit Leistung hatte er wohl zu tun, doch die ließ sich auch durch Schläue und Skrupellosigkeit erbringen. Selbst den Römern ging es schon noch um das Verstehen selbst, und der Philosoph hatte immerhin noch einen besseren Stand als heut bei uns.
Heute werden zur Intelligenz alle Fertigkeiten gezählt, die erforderlich sind, sich im zvilisierten Leben zu behaupten und - oh, das doch: - Erfolg zu haben, und entsprechende Übungen finden sich in allen üblichen Tests.
So geht zum Beispiel die Schnelligkeit der Auffassung in den IQ ein. Beim Besuchen dieser Seite werden sie bemerkt haben, dass ich mit Vorliebe philosophische Themen behandle: Nun muss sich, wer sich aufs Philosophieren einlässt, damit abfinden, dass manche Erkenntnis Jahre braucht, um zu reifen. Schlagfertigkeit in der Disputation ist nützlich für das akademische Tagesgeschäft, doch zu Nachruhm bringt mans nur mit tieferer Einsicht (undauch dann nicht immer).
Doch im täglichen Leben gilt Aufgewecktheit sehr wohl als ein Hauptstück der Intelligenz - während man bei Kindern darin überdies eine Charaktereigenschaft erkennt, die zu schönen Hoffnungen veranlasst. Überhaupt nimmt mans im Alltag weniger genau als die Tester, und wenn ich sage, mein Nachbar zur Rechten sei intelligent und mein Nachbar zur Linken nicht, dann versteht jeder, was ich meine; jeder, der mich kennt, genauer gesagt, aber er muss mein Urteil nicht billigen; und einem, der mich nicht kennt, würde ich eine solche Mitteilung ja nicht machen. - Sie mögen uns erzählen, was sie wollen: Die die Tests entwerfen, schielen mit einem Auge natürlich auf das, was der gesunde Menschenverstand an ihrem Ort zu ihrer Zeit unter Intelligenz so versteht; wer könnte mit ihrem IQ denn sonst was anfangen?
Und sie ziehen sich aus der Affäre mit der Erläuterung, Intelligenz bestehe aus einem ganzen Bündel ganz unterschiedlicher Fähigkeiten, von denen jede wiederum von einem ganzen Bündel verschiedenster genetischer Anlagen bedingt ist, so dass man von einer Begabung gar nicht reden könne.
....wird morgen fortgesetzt...
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie
der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht
wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
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