
§ 12. zu Philosophierungen
Es
findet sich aber in der Transscendentalphilosophie der Alten noch ein
Hauptstück vor, welches reine Verstandesbegriffe enthält, die, ob sie
gleich nicht unter die Kategorien ge-zählt werden, dennoch nach ihnen als
Begriffe a priori von Gegenständen gelten sollten, in welchem Falle sie
aber die Zahl der Kategorien vermehren würden, welches nicht sein kann.
Diese trägt der unter den Scholastikern so berufene Satz vor: quodlibet ens est unum, ve-rum, bonum.
Ob nun zwar der Gebrauch dieses Princips sehr kümmerlich ausfiel, so
daß man es auch in neueren Zeiten beinahe nur ehrenhalber in der
Metaphysik aufzustellen pflegt, so verdient doch ein Gedanke, der sich
so lange Zeit erhalten hat, so leer er auch zu sein scheint, immer eine
Untersuchung seines Ursprungs und berechtigt zur Vermuthung, daß er in
irgend einer Verstandesregel seinen Grund habe, der nur, wie es oft
geschieht, falsch gedolmetscht worden.
Diese
vermeintlich transscendentale Prädicate der Dinge sind nichts anders
als logische Erfordernisse und Kriterien aller Erkenntniß der Dinge
überhaupt und legen ihr die Kate-gorien der Quantität, nämlich der
Einheit, Vielheit und Allheit, zum Grunde, nur daß sie diese, welche
eigentlich material, als zur Möglichkeit der Dinge selbst gehörig,
genommen werden müßten, in der That nur in formaler Bedeutung, als zur
logi- schen Forderung in Ansehung jeder Erkenntniß gehörig, brauchten
und doch diese Kriterien des Denkens un-behutsamer Weise zu Eigenschaften
der Dinge an sich selbst machten.
In
jedem Erkenntnisse eines Objects ist nämlich Einheit des Begriffs,
welche man qualita-tive Einheit nennen kann, so fern darunter nur die
Einheit der Zusammenfassung des Man-nigfaltigen der Erkenntnisse gedacht
wird, wie etwa die Einheit des Thema in einem Schau-spiel, einer Rede,
einer Fabel. Zweitens Wahrheit in Ansehung der Folgen. Je mehr wahre
Folgen aus einem gegebenen Begriffe, desto mehr Kennzeichen seiner
objectiven Realität. Dieses könnte man die qualitative Vielheit der
Merkmale, die zu einem Begriffe als einem gemeinschaftlichen Grunde
gehören (nicht in ihm als Größe gedacht werden), nennen. Endlich
drittens Vollkommenheit, die darin besteht, daß umgekehrt diese Vielheit
zusam-men auf die Einheit des Begriffes zurückführt und zu diesem und
keinem anderen völlig zusammenstimmt, welches man die qualitative
Vollständigkeit (Totalität) nennen kann.
Woraus
erhellt, daß diese logische Kriterien der Möglichkeit der Erkenntniß
überhaupt die drei Kategorien der Größe, in denen die Einheit in der
Erzeugung des Quantum durch-gängig gleichartig angenommen wer- den muß,
hier nur in Absicht auf die Verknüpfung auch ungleichartiger
Erkenntnißstücke in einem Bewußt- sein durch die Qualität eines
Er-kenntnisses als Princips verwandeln. So ist das Kriterium der
Möglichkeit eines Begriffs (nicht des Objects derselben) die Definition,
in der die Einheit des Begriffs, die Wahrheit alles dessen, was
zunächst aus ihm abgeleitet werden mag, endlich die Vollständigkeit
des-sen, was aus ihm gezogen worden, zur Herstellung des ganzen
Begriffs das Erforderliche desselben ausmacht; oder so ist auch das
Kriterium einer Hypothese die Verständlichkeit und Kriterien aller
Erkenntniß der Dinge überhaupt und legen ihr die Kategorien der
Quantität, nämlich der Einheit, Vielheit und des angenommenen
Erklärungsgrundes oder dessen Einheit (ohne Hülfshypothese), die
Wahrheit (Übereinstimmung unter sich selbst und
mit der Erfahrung) der daraus abzuleitenden Folgen und endlich die
Vollständigkeit des Erklärungsgrundes zu ihnen, die auf nichts mehr
noch weniger zurückweisen, als in der Hy-pothese angenommen worden,
und das, was a priori synthetisch gedacht war, a posteriori analytisch
wieder liefern und dazu zusammenstimmen.
-
Also wird durch die Begriffe von Einheit, Wahrheit und Vollkommenheit
die transscen-dentale Tafel der Kategorien gar nicht, als wäre sie etwa
mangelhaft, ergänzt, sondern nur, indem das Verhältniß dieser Begriffe
auf Objecte gänzlich bei Seite gesetzt wird, das Verfah-ren mit ihnen
unter allgemeine logische Regeln der Übereinstimmung der Erkenntniß mit
sich selbst gebracht.
Kant, Kritik der reinen Vernunft, Akademie-Ausgabe AA III, S. 97ff
In der mittelalterlichen Scholastik sind Transzendentalien (lat.: transcendentalia, von trans-cendere „übersteigen“) die Grundbegriffe, die allem Seienden als Modus zukommen. We-gen ihrer Allgemeinheit übersteigen sie die besonderen Seinsweisen, welche Aristoteles die Kategorien
nannte (Substanz, Quantität, Qualität usw.). Die Transzendentalien
liegen aber nicht jenseits der Kategorien, sondern sind in allen
Kategorien jeweils enthalten.
Ontologisch betrachtet werden die Transzendentalien als das allen
Seienden Gemeinsame aufgefasst, da sie von allem ausgesagt werden
können. In kognitiver Hinsicht sind sie die „ersten“ Begriffe, da sie
nicht auf logisch Vorausgehendes rückführbar sind.
Im Hochmittelalter seit Albertus Magnus sind die Transzendentalien der eigentliche Gegen-stand der Metaphysik. Obgleich man sich über ihre Anzahl uneins war, bestand Konsens darüber, dass neben dem Grundbegriff des Seienden selbst (ens) Einheit (unum), Wahrheit (verum) und Gutheit (bonum) zu den Transzendentalien gehören. Weiterhin wurden noch das Wesen (res), die Andersheit (aliquid) und in neuerer Zeit die Schönheit (pulchrum) zu den Transzendentalien gezählt. Ansätze zur scholastischen Transzendentalienlehre finden sich bereits bei Platon und seiner höchsten Idee des Guten und bei Aristoteles, für den die Begriffe „Seiendes“ und „Eines“ austauschbar sind, da sich
der Begriff des Einen auf all das anwenden lasse, auf was auch das
Prädikat „seiend“ zutrifft.
aus wikipedia
Nota. - Die
Transzendentalphilosophie hat es nie leicht gehabt, weil sie schwer
ist. Weniger schwierig in einem verfahrenstechnischen Sinn, als schwer, weil sie verlangt, von unwillkür-lichen, weil selbstverständlichen Voraussetzungen abzusehen und so zu tun, als würde man ganz von vorn anfangen.
Ein zusätzliches und an sich unnötiges Hemmnis ist allein schon ihr Name. Das Transzen-dente - da weiß jeder ungefähr, was er sich drunter vorzustellen hat und vielleicht gar nicht vorstellen kann. Das Transzendentale klingt so, als wäre es davon abgeleitet und sekundär.
'Transzendent ist, was jenseits der Erfahrung liegt; transzendental
ist, was diesseits der Er-fahrung liegt', lautet die Erläuterung des
Belehrers. Aber davon, was diesseits meiner Erfah-rung lag, musste
ich schon eine gewisse Ahnung haben, wenn ich das verstehen sollte; das
Wort allein macht mich um nichts klüger.
Kant
war sich bewusst, eine ganz neue Denkweise in die Welt gesetzt zu
haben. Die dafür erforderlichen Ausdrücke standen noch in keinem
Wörterbuch, er musste sie schlecht und recht zusammensuchen und war
froh, wenn er in der philosophischern Schulsprache ein paar
Anhaltspunkte fand.
Es
waren aber, wie wir an dieser Stelle deutlich erkennen, nicht einfach
die Vokabeln, um die es ging. Er suchte natürlich auch nach gedanklichen
Vorarbeiten, auf die er sich berufen konnte, denn einer, der alles
selbst erfunden haben will, ist bedenklich. Kant hat nicht nur nach
Wörtern gesucht, sondern nach Vorstellungen, an die er knüpfen konnte.
Die scholastischen Transzendentalien waren das onto logisch
Erste. Doch nicht aufs Sein soll sich die neue Art des Philosophierens
richten, sondern auf unser Wissen vom Seienden. Was allem Wissen
sachübergreifend generisch zu Grunde liegt, was wissens logisch das Erste ist, das nennt Kant transzendental.
Das
Paradox ist ihm - froh wie er war, eine Stelle in der Überlieferung
gefunden zu haben, auf die er zurückgreifen konnte - nicht
aufgefallen: Was kann dem Wissen anders "zu Grun-de" liegen als - ein Akt? Ein Seiendes ja doch nicht, denn nur von ihm kann gewusst wer-den, das Wissen tritt an es heran, genauer: das Wissenwollen. Ein Reich
des Transzenden-talen kann es gar nicht geben. Es gibt die Arbeit des
Wissenwollenden, aber der muss alles selbermachen, gegeben wird ihm
immer nur, was er sich selbst gegeben hat.
JE , 25. 3. 18
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen