aus Mehr Wirklichkeit zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
Ich
denke, es ist möglich, daß die Vernunft ihrem Zwecke entgegengehe und
sich ihm an-nähere. Dies möchte etwa als ein willkürliches Denken, ein
bloßes problematisches Setzen, ein Denken, das weiter auch nichts für
sich hat als die bloße Denkmöglichkeit, Nicht-Un-denkbarkeit, erscheinen.
– Dieses Denken ist in einem gewissen Zusammenhange des Den-kens
notwendig: und dies ergibt erst eine logische Notwendigkeit. – Setzte
ich mir den Zweck wirklich in meinem Handeln, so setzte ich ihn freilich
in irgendeiner zukünftigen Zeit als wirklich: dies geht aus der Logik
hervor.
Aber beide Gemütsbestimmungen scheinen gegenseitig voneinander
abzuhängen – und man hat es häufig so betrachtet -, beide miteinander zu
stehen und zu fallen, und es zeigt sich kein Drittes. Ich soll und kann
den Zweck der Sittlichkeit mir nicht vorsetzen, wenn ich nicht schon
von seiner Ausführbarkeit überzeugt bin, hat man häufig gesagt, und so
das erste vom letzten abhängig gemacht. – Ich kann ihn nicht für
ausführbar halten und werde es nicht, wenn ich ihn mir nicht setze, kann
man sowohl sagen. Warum soll ich ihn mir setzen?
Kurz:
im bloßen logischen Verhältnisse ist beides nur unter Bedingung gewiß –
und sonach keins. Es muß eine unmittelbare Gewißheit eintreten. Diese
ist ein Gefühl, ich soll schlecht-hin diesen Zweck mir setzen: und ihn
schlechthin für ausführbar halten: ihn für ausführbar halten und ihn
setzen. Beides ist Ein Denken, nicht zwei: Keins ist die Folge vom
andern: sondern beides ist Eins: und daß dies wahr und gewiß und
unfehlbar ist, ist Notwendigkeit, die ich nur fühle, nicht erschließe
aus andern Sätzen. /
Da es unmittelbare, nur fühlbare Gewißheit ist, so kann man es keinem
andemonstrieren: aber bei jedem sicher voraussetzen, indem diejenigen,
die es haben und die über den Zu-sammenhang des menschlichen Wissens
nachdenken, erkennen, daß jedes andere Wissen sich nur darauf gründet:
und daß jeder, der etwas weiß, unvermerkt und ihm vielleicht selbst
unbekannt, von jenem Wissen ausgegangen ist. Es läßt sich jedem anmuten,
daß er sich, welches von der Freiheit abhängt, mit sich selbst gehörig
bekannt machen, in sich einkehren solle, wo er denn ohne allen Zweifel
es in sich finden wird.
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J. G. Fichte, Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 149ff.]
Nota I. - Hier stoßen wir auf einen ersten Winkelzug: "Setzte ich mir den Zweck wirklich in meinem Handeln, so setzte ich ihn freilich in irgendeiner zukünftigen Zeit als wirklich: dies geht aus der Logik hervor." Setze ich mir einen Zweck, so handle ich frei: 'Praktisch ist alles, was aus Freiheit möglich ist.' Was hat dies aber mit Logik zu tun? Die Logik ist unfrei und theoretisch. Wer anders hat uns so dringlich belehrt, zwischen beiden Reichen einen Unter-schied zu machen, als Fichte selbst? Man ahnt: Er führt was im Schilde.
Das wirkliche Handeln ist logisch gar nicht zu fassen, es kann nur angeschaut werden, und in der Anschauung zeigt sich: es kann gelingen und es kann scheitern. Doch das macht "lo-gisch" dem Handeln gar nichts aus, es bleibt ganz dasselbe. Wenn ich meine, ich müsste mir diesen Zweck setzen, dann setze ich als möglich, dass ich ihn erreiche, und als möglich, dass ich ihn... nicht erreiche. Für mein Handeln ändert sich dadurch nichts.
Logisch wäre es was anderes, wenn ich wüsste, dass ich den Zweck nicht erreichen werde; es wäre unlogisch, Kraft daran zu verschwenden. Sittlich - und davon ist hier die Rede - könnte ich immer noch meinen: Ich setze micht als den recht-Wollenden, darauf kommt es mir an. Wenn ich meinen rechten Willen realisieren kann, werde ich es begrüßen; und wenn nicht, werde ich es bedauern - um der Andern willen, die es mit den Resultaten zu tun bekommen und nicht mit meinem guten Willen.
*
Bedenke: 'Unendliche Annäherung' gibt es nicht. Wieviel Meilen ich auch zurückgelegt habe - dem Unendlichen bin ich keinen Fingerbreit näher gekommen; der Abstand, der zwischen uns liegt, bleibt immer - unendlich.
JE, 3. 8. 18
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