
Die
ästhetische Philosophie ist ein Hauptteil der Wissenschaft und ist der
ganzen anderen Philosophie, die man die reelle nennen könnte,
entgegengesetzt. ... In materialer Ansicht liegt
sie zwischen theoretischer und praktischer Philosophie in der Mitte. Sie
fällt nicht mit der Ethik zusammen, denn unserer Pflichten sollen wir
uns bewusst werden; allein die ästhetische Ansicht ist natürlich und
instinktmäßig und dependiert nicht von der Freiheit.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehe nova methodo. Hamburg 1982
Nota I. - Das steht doch noch unterm Einfluss von Baumgartens Aesthetica. Zwar
rechnet er das Ästhetische nicht mehr dem "unteren Erkenntnisvermögen",
nämlich der bloßen Sinnlichkeit zu. Aber er fasst es als unsere
Naturbestimmtheit auf und eben nicht als Medi-um von Selbst bestimmung: "dependiert nicht von der Freiheit".
Das ist sachlich nicht der Fall. Freiheit in specie ist bei Fichte nur möglich durch Reflexion. Ästhetische Betrachtung geschieht aber ohne Reflexion. Bestimmter gesagt: durch Absehen von der Reflexion - und das ist eine Reflexion zweiter Potenz, sie ist erst einem möglich, dem das freie Reflektieren habituell geworden ist - und dem es schon gelingt, es gegen es selbst zu wenden:
Wissen kommt nicht zustande ohne Absicht. Erst wenn ich an die Dinge meine Absicht* herantrage, bekunden sie ihre Eigenschaften - nämlich wie sie zu dem, worauf ich es abge-sehen habe, 'Stellung nehmen'; alias was sie bedeuten. Von einem Ding "an sich" gibt es schon darum nichts zu wissen, weil es in dem Moment aufhört, "an sich" zu sein, als es meiner Absicht begegnet. Ohne meine Absicht bedeutet es nichts. Doch ihm ohne Absicht begegnen kann ich nicht.
Richtiger gesagt: kann ich nicht natürlich, sondern nur künstlich. Kann ich erst durch Re-flexion. Nämlich wenn ich absichtlich von den Absichten - allen möglichen Absichten - durch freien Entschluss, nicht natürlich, sondern künstlich, absehe und das Ding betrachte, wie es 'sich zeigen' würde, wenn ich es ohne Absicht betrachten könnte. Wenn ich also von mir absehen würde. So entsteht kein Wissen von Etwas, sondern lediglich Anschauung von Erscheinung.
- Der ästhetische Zustand - gehirnphysiologisch.
- ...nicht ohne die Unbestimmtheit mit zu setzen.
- Wie das Ästhetische in die Welt gekommen ist.
Wenn ich mich absichtlich in den ästhetischen Zustand versetze: "In dem ästhetischen Zu-stand ist der Mensch Null", sagt Schiller. "An sich" sind die Dinge, wie sie ästhetisch er-scheinen. Sie sind das Kunstprodukt der Reflexion, die ihrer selbst entsagt.
Mit
andern Worten, ästhetisches Erleben ist nicht möglich ohne vorheriges
Wissen und nicht ohne Hintergedanken. Es ist ein modernes Phänomen. Und
dass uns die Bilder, die wir in diesem Zustand sehen, hinterher immer so
vorkommen, als ob sie 'etwas zu bedeu-ten' hätten, ist kein Wunder.
*) Auf ein Bewusstsein, das erst durch Reflexion entsteht, kommt es hier noch gar nicht an.
4. 9. 2013
Nota II. - Das knüpft unmittelbar an den gestrigen Eintrag. Der Ursprung der Vernunft ist - woher und wozu auch immer - ein originär poietisches Vermögen, eine prädikative Quali-tät, wie Fichte sagt: produktive Einbildungskraft. Es ist das Vermögen des Bestimmens: das Vermögen, einem an sich Unbestimmten eine qualitas zuzuschreiben.
Daraus
ist das System der Vernunft entstanden, auf dessen Boden wir uns, und
sei es im Streit, alle zusammenfinden. Doch erfasst es nicht die ganze
Welt - denn nicht überall fin-den wir
zusammen, nicht überall können oder gar müssen wir es. Zusamenfinden
müssen - und können - wir, wo wir in der sinnlichen Welt Zwecke setzen,
die, weil sie dort realisiert werden sollen, einander berühren, verbinden oder durchkreuzen können.
Das ist gottlob nicht überall so, und wenn ich an mein ureigenstes anschauendes
Erleben denke, eigentlich gar nicht. Ich habe keinen Grund, mit dem
Bestimmen überhaupt erst anzufangen,* wenn ich nicht Zwecke in der
sinnlichen Welt daraus herzuleiten vorab beab-sichtige. Und sollte ein
bedingter Reflex mich dennoch versuchen, kann ich ihn willentlich
unterdrücken. Denn bevor sie eine liebe lästige Gewohnheit wurde - in der bürgerlichen Geschäftswelt -, war die Reflexion nur aus Freiheit möglich.
Nicht nur muss ich in
der sinnlichen Welt nicht allen Erscheinungen 'mit Interesse' begeg-nen;
ich kann sogar dort, wo ich eins habe, aus Freiheit von ihm absehen. So begegnen mir Dinge, die mir ohne Interesse gefallen - und denen ich ohne Weiteres zustimme; die mir missfallen, die lehne ich ab.
*) Ich schaue das X so an, als ob es schon bestimmt sei.
13. 6. 19
Nota. Das
obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie
der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht
wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
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