Freitag, 24. September 2021

"Fast die Hälfte der Lehrer ist ungeeignet."

 

aus Passauer Neue Presse, 3. 9. 2021                                                                                               zu  Levana, oder Erziehlehre

Test: Uniprofessor siebt unfähige Lehrer-Kandidaten aus 
Uniprofessor Seiberts Projekt "PArcours" als Kern einer neuen Reform − Hoher volkswirtschaftlicher Nutzen

von Stefan Remmer

"Den Kultusminister interessiert die Lehrerausbildung nicht." Das ist noch die sanfteste Formulierung von Prof. Dr. Norbert Seibert. Man möchte meinen, der Inhaber des Lehrstuhls für Schulpädagogik an der Universität Passau will aus der Haut fahren. Doch weit gefehlt: Je gravierender sich für ihn die Mängel in der Lehrerausbildung darstellen, um so entschlossener ist er, die Missstände zu beheben. "Minister Ludwig Spaenle trägt den Slogan der Dialogbereitschaft vor sich her. Auch wenn er mit mir nicht reden will. Unsere Argumente werden den längeren Atem haben."

Laut Seibert beginnen im Herbst 700 Lehramtsstudierende.

Rund 40 Prozent − das wisse man dank neuer Studien − seien ungeeignet für den Lehrerberuf. Das wären allein in Passau 280 Studenten. Der Professor stöhnt − und erntet Kopfnicken bei seinen Mitarbeitern Renate Wirth, Dr. Robert Schneider und Dr. Doris Cihlars. "Eine fatale Situation", so Seibert.

250 Millionen Euro für ausgebrannte Lehrer 

Das müsste nicht so sein, denn in Passau gibt es mit dem "PArcours"-Projekt ein eignungsdiagnostisches Verfahren, das deutschlandweit seinesgleichen sucht und das verhindern helfen könnte, junge Menschen als Lehrer auszubilden, die eigentlich gar nicht geeignet wären für den Beruf. Von 100 Grundschullehrern gehen 92 vorzeitig in den Ruhestand, bei den Gymnasiallehrern sind es 82. Ein frühzeitig pensionierter Lehrer kostet den Staat derzeit durchschnittlich 375 000 Euro. "Ungeeignete Lehrer brennen besonders leicht aus. 250 Millionen Euro gibt Bayern jedes Jahr für diese Risikogruppe aus."

 

 

Die Eltern würden schimpfen, die Schüler sowieso und auch viele Lehrer selbst, die die Hauptlast tragen und auch den Ausfall vieler Kollegen zu schultern haben. Denn, so Seibert, krank würden diejenigen, die den falschen Beruf gewählt haben, und diejenigen, die zwar den richtigen ausüben, die aber vor lauter Belastung vor dem Burn-out stünden. Seibert wird deutlich: "Das Lehramtsstudium bereitet die Lehrer sehr schlecht darauf vor, was sie faktisch sind: Pädagogen. Und dann kommt es natürlich im Beruf zur Überforderung."

Es wäre so leicht, hier was zu ändern, meint Seibert: "z. B. Fortbildung verbindlich zu machen oder das Fach Lehrergesundheit einzuführen." Die Studienordnung kranke an Praxismangel. "Wir haben keine faulen Lehrer, im Gegenteil, sie sind meist hoch engagiert. Sie müssen halt einfach etwas tun, was sie so nicht gelernt haben." Seibert fordert mehr Praxisbezug für die Lehramtsstudenten.

Fach Pädagogik muss aufgewertet werden 

"Ein Lehrer ist doch hauptsächlich Pädagoge. Diese Aussage hat in Bayern keinerlei Bedeutung. Wer in Bayern die Note Fünf in Pädagogik bekommt, besteht dennoch." Er könne diese schlechte Note mit den Leistungen in den anderen Prüfungen locker ausgleichen. Von Grund auf müsse in der Lehrerbildung alles anders gemacht, das Staatsexamen zurückgenommen werden zugunsten von Bachelor und Master. "Die bisherigen Verfahren der Qualitätssicherung durch Prüfungsordnungen und Staatsexamina erzielen nicht die erwünschten Effekte." Die Praktika müssten viel höher gewichtet werden. Die Eignung müsste verbindlich vor dem Studium geprüft werden.

Seibert und sein Team sind überzeugt, ein geeignetes Instrument zu haben, hier volkswirtschaftliche Schäden verhindern zu können, letzten Endes auch verhindern zu können, dass Lehrer auf die Schüler losgelassen werden, denen jegliche Eignung und oft auch Motivation fehlt. "Ein guter Lehrer braucht heute ein hohes Maß an Sensibilität und gleichzeitig ein dickes Fell. Er muss hochbegabten Schülern ebenso gerecht werden wie lernschwachen, und seit 1. September haben wir Inklusion, d. h., der Lehrer bekommt es auch mit gehandicapten Kindern im Unterricht zu tun. Da müssen wir doch die Zugangsvoraussetzungen höher schrauben."

Mit ihrem Verfahren haben die Lehrstuhlmitarbeiter in den beiden letzten Jahren vorzeigbare Ergebnisse erzielt. Vom Jahrgang 2009/2010 haben sich von 450 Lehramtsbewerbern 126 testen lassen, 2010/2011 waren es 214 von 500. Ein gutes Abitur heiße nicht, so Seibert, dass man später ein erfolgreicher Lehrer werde. Nach den acht Stunden im "PArcours" der Uni Passau würden die Studienanfänger schon sehr viel besser wissen, wie sie dran sind. Ob sie neben Methoden und Sprachkompetenz auch die benötigte Portion Selbst- und Sozialkompetenz mitbringen. Mit Letzterer können sie Konfliktsituationen besser meistern.

Gespräch über Stärken und Schwächen

Solche und andere Situationen werden nachgestellt. Die Teilnehmer am PArcours haben vier praktische Übungen und zwei schriftliche Aufgaben zu bewältigen. Acht Beobachter sind im Spiel. "Entscheidend aber", so Renate Wirth, die aus der Wirtschaft kommt, "ist, dass die Teilnehmer in einem abschließenden Feedbackgespräch detailliert über ihre Stärken wie Schwächen unterrichtet werden." Sie versteht überhaupt nicht, warum an der Uni nicht möglich ist, was in der Wirtschaft gang und gäbe ist − eine Potenzialanalyse für die Entwicklung ihrer Mitarbeiter oder zur Bewerberauswahl.

In Passau habe man sehr gute Erfahrungen gemacht mit dem Eignungsverfahren, erläutert Renate Wirth. "Für die guten Studenten ist es eine Bestätigung, dass sie den richtigen Weg beschreiten. Sie gehen hochmotiviert ins Studium und wissen bereits, wo ihre Stärken liegen oder wo sie sich noch verbessern können. Die Urkunde, die wir nach dem PArcours ausstellen, ist für viele schon ein Faustpfand, dass sie gute Lehrer werden." Und auch viele derjenigen Teilnehmer, denen man abrate, seien erleichtert. "Manche studieren nur aus Verlegenheit Lehramt, manche, weil die Eltern es wollen. Für viele Unsichere ist unser Nein sogar eine Erlösung. Sie können sich auf etwas anderes konzentrieren."

Das Passauer PArcours-Team weiß die Unileitung hinter sich. Machbar ist das Projekt nur durch viel ehrenamtliches Engagement. Ziel ist, dass alle, die in Passau Lehramt studieren, den Test bestehen müssen. Noch ist er freiwillig. Seibert: "Erst wenn wir die Eignungsfrage ganz an den Anfang stellen, können wir sicherstellen, dass wir richtig ausbilden."

Unter www.uni-passau.de/parcours.html gibt es umfassende Informationen zu "PArcours".

 

Nota. - Eins ist auf jeden Fall richtig: Das Ausgangsproblem der Schulen sind nicht Theorien, Methoden und Strukturen, sondern die Menschen - auf beiden Seiten des Katheders. Auf der Schülerseite müssen sie sich unter denen zurechtfinden, die kommen. Auf der Lehrerseits kann sie wählen; oder richtiger: muss sie wählen und muss sie wählen können

Wählen können: Sie muss die richtigen Maßstäbe haben. Das wären aber dieselben, nach denen sie diejenigen, unter denen sie wählen will, zuvor ausbilden müsste. Also hat der Autor Recht: Es geht zuerst um die Zwecke, die Mittel müssen sich finden; es geht zuerst um Pädagogik und um Didaktik erst in zweiter Linie.

Damit ist das Problem aber erst benannt. Ob das Verfahren von Prof. Seibert irgend etwas zur Lösung beiträgt, wer kann das beurteilen? Stefan Remmer kann nur das wiedergeben, was ihm gesagt wurde. Ob und wie sich PArcours bewährt oder nicht, kann man frühestens in ein paar Jahren sagen - und wenn andere Hochschulen mitgemacht haben. Bis dahin ist zu begrüßen, dass die Fragestellung von den Mitteln auf den Zweck verschoben wird. Allerdings kommt es schon bei der Ausbildung, erst recht aber bei dem Auslesetest wieder auf Verfahren an, und man muss aufpassen, dass sich die Katze nicht in den Schwanz beißt.  

Zu seinem Selbstvertrauen kann man Prof. Seibert nur gratulieren; das wird er noch brau-chen. Mich deucht, bei den erforderlichen Fähigkeiten handelt es sich um charakterliche Dispositionen, die sich weder testen noch gar lehren lassen. 

JE

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen