Freitag, 24. September 2021

In den Gefühlen selbst gibt es kein Fortdauerndes. Das einzig Dauernde ist das Handelnde.

wildwomanswimming              zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Wir wollen jetzt einmal den Stoff dieser Anschauung liegen lassen und sie der Form nach bestimmen, und was mit ihr zusammenhängt. 

4. Wie wollen die einzelnen Momente dieser Anschauung X aufzeigen.

Zuförderst: Nach dem Obigen fühlt das Ich sich selbst in der Anschauung. Durch dies Ge-fühl wird erst eine Anschauung meine Anschauung (voriger Paragraph). Dies gilt von aller Anschauung, also auch von der An- schauung X. Ich fühle mich als anschauend, nicht: Ich schaue mich an als anschauend, denn im Anschauen verliert das Ich sich im Objekte. Das Angeschaute in X ist das Ich selbst, es ist zugleich das Fühlende in dieser Anschauung, bei-de sind sonach eins und dasselbe.

Woher diese Identität, wie kommt sie vor im Bewusstsein? Endlich: Wie ist denn die An-schauung X, oder als was wird das Ich angeschaut? Nach dem vorigen Paragraphen können wir weiter nichts sagen als: Das Ich wird angeschaut als anschauend Y. Das Ich fühlt sich als anschauend (voriger Paragraph). Hier verwandelt sich das Selbstgefühl in Selbstanschauung.

Was kann das Objekt der Anschauung X sein? Ich bin in Y in Beziehung auf ein Ding an-schauend, diesem soll ich zusehen; wie ist dies möglich? Nicht unmittelbar (voriger Para-graph); die Anschauung X soll die entgegengesetzten Gefühle A und B vereinigen. Ihr Ob-jekt müsste sonach etwas beiden Gemeinschaftliches sein. Nur, da von Veränderung des Zustandes die Rede ist, so müsste es etwas in der Veränderung Fortdauerndes sein. In den Gefühlen selber gibt es so ein Fortdauerndes nicht, denn A und B sind sich entgegengesezt. Im Gefühl A kommt kein Fühlendes überhaupt vor, ebenso in B nicht, denn jedes Gefühl ist ein Bestimmtes, aber ein Füh- lendes, das nur überhaupt fühlt, ist kein Bestimmtes.

Nach dem Obigen können wir sagen: Das einzige Dauernde ist das Handelnde, und zwar das idealiter Handelnde, dies müsste Objekt der Anschauung Y sein, und zwar qualis talis; denn anders kennen wir es nicht. Aber wie kann es zum Objekt der Anschauung werden?
____________________________________________________________                      J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 91
 

Nota. - Das Bewusstsein hebt an mit dem Gefühl, das Gefühl stammt aus dem Widerstand, den das Objekt dem Handelnden entgegensetzt: bis dahin ganz realistisch oder gar materia-listisch. Doch das Gefühl ist flüchtig. Ob das Objekt bleibt, wenn der Widerstand nachlässt - wie könnte ich davon wissen? Ich müsste mir aus eigner Autorität von ihm ein Bild ge-macht haben, und mit derselben Autorität könnte ich es behalten und meine Aufmerksam-keit gegen es wenden.

- Ist die Darstellung zuerst realistisch-materialistisch und wird erst danach idealistisch? Das zweite wird nachträglich aufgefunden, aber als eine Bedingung. Also als voraus-gesetzt. Ist beides falsch, ist beides richtig? Das kommt darauf an, von welcher Seite her man darauf blickt - vom Objekt her oder vom Handelnden her. 

Blicken ist freilich schon Reflexion: Nur so kommen Objekt und Handelnder überhaupt "zu Stande". An sich, nämlich unabhängig von aller Reflexion, dem Bilden des Bildes, 'gibt es' nur das vorgängige Han-deln; allerdings für niemanden.

JE

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