aus nzz.ch, 24. 9. 2021 zu Jochen Ebmeiers Realien
Christie Davis kennt die Italiener, und noch besser kennt sie die Witze, die über die Italiener gemacht werden. Hunderte von Italienerwitzen hat die Soziologin von der University of Reading in England gesammelt, kategorisiert und analysiert, in Grossbritannien, Frankreich und Kanada. Sie hat das getan mit wissenschaftlicher Akribie, und sie kam dabei zum Schluss: Italienerwitze sagen mehr über die Urheber aus als über das Volk, das dabei auf die Schippe genommen wird. Nun aber regen sich bei Christie Davis leise Zweifel: Ist an jenem Witz vielleicht doch etwas dran, der besagt, dass die Hölle immer dort ist, wo die Italiener für die Organisation zuständig sind?
Bertinoro ist ein malerisches Dörfchen in den Hügeln der südlichen Emilia-Romagna, ein kleines Arkadien und Schauplatz der 21. Internationalen Humorkonferenz, die gleichzeitig die 14. Konferenz der International Society for Humor Studies ist. 170 Wissenschafter aus aller Welt versuchen hier gemeinsam der menschlichsten aller Regungen auf die Spur zu kommen: Warum hat der Mensch Humor? Wer hat wie viel davon? Wie lässt er sich nutzen? Auf dem Programm stehen Analysen des Komischen im Werk von Oscar Wilde und Cervantes, Fallstudien zur Ästhetik von schmutzigen Witzen, Seminare über den Humor der alten Römer, über das Lachen von Vater Abraham und zur Heiterkeit unter Japanern.
Das dürfte lustig werden – dachte ich. Aber auch nachdem die Klimaanlage mit einem müden Säuseln ihren Dienst endlich aufgenommen hat, herrscht in der zum Kongresszentrum umgebauten Festung eine lähmende Hitze. Der Plenarsaal ist verdunkelt worden, und vorne auf dem Podium steht nun Willibald Ruch, Professor für Psychologie an der Universität Zürich und Präsident der Humorforscher-Gesellschaft. Ruch – Karl-Marx-Rauschebart, hellblaues Freizeithemd, leicht verschwitzt – wirkt auf den ersten Blick jovial, ein Mann jedenfalls, dem man das eine oder andere Spässchen zutraute. Die geballte Ladung von Statistiken und Säulengrafiken, die er präsentiert, lehren einen jedoch: Humorforschung ist eine ernsthafte Angelegenheit.
Humorforschung wird von Psychologen, Linguisten, Soziologen, Pädagogen, Anthropologen, Neuropsychologen und Vertretern vieler anderer Wissenschaftszweige betrieben. Entsprechend anspruchsvoll, ja verwirrlich ist der Diskurs. Hinzu kommt, dass Humor je nach Kulturkreis unterschiedliche Bedeutungen hat. Die angelsächsische Tradition fasst den Begriff relativ eng und orientiert sich am «tatsächlich Witzigen». Humor ist hier mehr oder weniger ein Sammelbegriff für alles Komische. Für die Kontinentaleuropäer dagegen meint Humor in erster Linie eine positive Lebenseinstellung. Oder wie es der Professor sagt: «Humor ist ein persönlichkeitsbedingter kognitiv-emotionaler Stil der Verarbeitung von Situationen beziehungsweise des Lebens, der Welt im Allgemeinen, welcher charakterisiert ist durch die Fähigkeit, auch negativen Situationen wie Gefahren oder Bedrohungen positive Seiten abzugewinnen, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, ja sogar darüber lächeln zu können, das heisst zumindest ansatzweise mit Erheiterung zu reagieren.» Alles klar?
Als Österreicher gehört Ruch zur kontinentaleuropäischen Fraktion. Er ist ausserdem Psychologe, und als solcher, sagt er später unter vier Augen, hält er nicht viel von den Linguisten, die vor allem in Amerika in der Humorforschung tonangebend sind. Was ihn interessiere, sagt er, sei weniger der Witz als solcher, sondern wie der Mensch auf den Witz reagiere.
Seit bald zwanzig Jahren geht der Professor dieser Frage nach. Über siebzig Arbeiten mit Titeln wie «Die Emotion Erheiterung» oder «Diagnose des Humors – Humor als Diagnostikum» hat er bereits publiziert, und er entwickelte einen Witztest, mit dem er den Zusammenhang zwischen Witzpräferenzen und Persönlichkeit untersuchte. Er konfrontierte Testpersonen mit Witzen dreier Kategorien: mit Nonsens-, Sex- und Inkongruenzlösungs-Witzen, das sind Witze nach dem Strickmuster von Blondinen- und Elefantenwitzen, die die Erwartungen der Zuhörer brechen.
Gleichzeitig befragte er die Versuchsteilnehmer zu ihrer persönlichen Einstellung, etwa gegenüber Ausländern, er verlangte Auskunft über ihr Sexualleben und testete ihr ästhetisches Empfinden. Das Resultat: Konservative Menschen, die zu Hause einen röhrenden Hirsch an der Wand hängen haben, lieben Blondinenwitze. Nonsenswitze à la Gernhardt bringen dagegen die Progressiven und Intellektuellen zum Lachen. Ausserdem zeigte die Studie, dass Sigmund Freud irrte, wenn er meinte, dass in Sexwitzen vor allem Keusche und Verklemmte ihren unterdrückten Trieb auslebten. Menschen, die Sexwitze lustig finden, sind vielmehr überdurchschnittlich sexuell aktiv.
Studien, bei denen Testpersonen auf einer Skala einzeichnen, welche Witze ihnen gefallen und welche nicht, gehören zum Standardrepertoire der psychologischen Humorforschung. Aber es gibt noch viele andere Wege, um den Geheimnissen des Humors auf die Spur zu kommen. Sozialpsychologen versuchen zum Beispiel herauszufinden, ob man in einem Theater einen Witz gleich lustig findet wie zu Hause allein vor dem Fernseher. Emotionspsychologen filmen Menschen, die sich einen lustigen Film anschauen, vermessen ihr Gesicht und analysieren, wann genau welcher Lachmuskel zuckt. Und manchmal werden Versuchspersonen gar in einen Computertomographen gesteckt, wo man ihnen lustige und weniger lustige Cartoons zeigt und dann schaut, in welcher Hirnregion Lustiges und weniger Lustiges verarbeitet wird. Anders gehen die Sprachwissenschafter ans Werk. Sie erstellen ästhetische Klassifizierungen von Witzen, analysieren Dialoge und Pointen. Und dann gibt es noch die Methoden der Pädagogen und Soziologen, der Philologen und Philosophen. All das macht die Humorforschung zu einer grossen Spielwiese, auf der alle möglichen Steckenpferde geritten werden.
Tsung-chin Chang von der Dah-Yeh University in Taiwan untersuchte den Stellenwert von Humor am Arbeitsplatz für Taiwanesen, Chinesen und Vietnamesen. Sie fragte Angestellte, wie oft sie in der Gegenwart von Vorgesetzten, Gleichgestellten oder Untergebenen einen Witz erzählten. Die Auswertung förderte auf zwei Stellen nach dem Komma genau zutage, dass Taiwanesen während der Arbeit öfter Witze machen als Chinesen und Vietnamesen und dass sich humorvolle Angestellte in allen drei Ländern eher humorvolle Vorgesetzte wünschen als humorlose.
Willie van Peer von der Universität München wollte herausfinden, ob Frauen sexistische Witze wirklich als diskriminierend empfinden. Also liess er 25 Studentinnen sexistische Witze aus drei Kategorien erzählen: Witze, in denen die Frau als Sexobjekt dargestellt wird, Witze, in denen sie das Dummchen ist, und Witze, die mit einer Abhängigkeit vom Mann operieren. Ausserdem variierte der Forscher das soziale Umfeld: Die Witze wurden einmal in einer von Männern beziehungsweise von Frauen dominierten Gruppe erzählt, ein anderes Mal in einer gemischtgeschlechtlichen. Das Ergebnis: In Männergruppen empfinden Frauen sexistische Witze als besonders diskriminierend, und am negativsten reagieren Frauen auf jene Kategorie Witze, in denen sie als dumm hingestellt werden.
Paavo Kerkkänen von der University of Joensuu in Finnland machte eine Untersuchung zum Thema «Sinn für Humor und Wohlbefinden bei finnischen Polizeioffizieren». Er befragte in einem Intervall von drei Jahren Polizisten, wie humorvoll sie seien, wie es um ihr Wohlbefinden stehe, und nahm ausserdem Messungen von Blutdruck und Cholesterinspiegel vor. Resultat: Humorvolle Polizisten haben eine bessere Gesundheit, sind allerdings auch beleibter.
Don L. F. Nilsen von der Arizona State University, Gründungsmitglied und Sekretär der International Society for Humor Studies, ist sich bewusst, dass sich über die Relevanz der einen oder anderen Studie streiten lässt, aber er ist der Meinung, der Kongress solle die ganze Bandbreite der Humorforschung abdecken. Mit seiner Frau Alleen hat er die «Encyclopedia of 20th Century American Humor» verfasst, in der alles aufgeführt ist, was Amerikaner zum Lachen bringt, vom Film über Cartoons bis hin zu Clowns; er gilt als passionierter Sammler von Humoristischem aller Art.
Nilsen trägt eine knallrote Krawatte mit aufgedruckten Comicfiguren und findet, dass es an einem Humorkongress durchaus auch lustig zu- und hergehen dürfe. «Unser Interesse an Humor ist zwar ein primär wissenschaftliches», stellt er klar, «was allerdings nicht heissen soll, dass wir nicht ab und zu über einen Witz auch lachen können.» Der richtige Ort dazu sei – zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen – allerdings eher das Rahmenprogramm.
Es wird bestritten vom Literaturnobelpreisträger Dario Fo, dem Grossmeister italienischer Burlesken, dem es mit virtuosen Monologen und grandioser Mimik gelingt, sogar dem analytisch-kritischsten Humorforscher ein Lachen zu entlocken. Das Weitere besorgt das Bankett am Abend sowie der Rotwein, der reichlich fliesst.
In einer derart gelockerten Tafelrunde treffe ich Paul Schulten, Spezialist für Humor in der Antike an der Erasmus-Universität in Rotterdam. Ich packe die Gelegenheit beim Schopf und möchte von ihm wissen, worüber denn die alten Römer gelacht haben. Nun ja, meint der Wissenschafter und hebt die Augenbrauen, sein Forschungsgebiet seien eigentlich eher politische Anspielungen, die man nur verstehe, wenn man mit den politischen Verhältnissen vertraut sei, auch seien die gewöhnlichen Witze aus heutiger Optik überhaupt nicht lustig, weil zu plump. Aber dann erzählt er doch einen Römerwitz: «Ein Kind geht im Meer baden und ertrinkt dabei beinahe. Ganz erschreckt kehrt es zur Mutter zurück und sagt: Das nächste Mal gehe ich erst wieder schwimmen, wenn ich’s kann.» – Über solche Witze, sagt Schulten, könnten heute nur noch die Japaner lachen. Und die hätten eben einen ganz speziellen Humor.
Bevor ich den Witz wieder vergesse, erzähle ich ihn zwei Japanern, Goh Abe von der Tokushima Bunri University, der am Kongress über japanische Lachfestivals referiert, und Asumi Muramatsu aus Yokohama, Spezialistin für Probleme beim Übersetzen koreanischer und chinesischer Witze ins Japanische. Die beiden finden ihn zwar auch nicht lustig, erzählen mir im Gegenzug aber einen japanischen Witz: «Ein rohes Ei im heissen Regen – es verbrennt.»
Die beiden Japaner schütteln sich vor Lachen, und ich weiss zuerst nicht recht, ob über meine ratlose Miene oder über diesen seltsamen Witz. Nicht der Inhalt sei dabei entscheidend, sondern der Reim, behaupten sie – und der sei einfach umwerfend komisch, jedenfalls in Japanisch.
Nach zwei Tagen Humorforschung erscheint mir das Komische unergründlicher denn je, jedenfalls weitaus komplexer als das Tragische, bei dem es meist um so banale Dinge geht wie Liebe, Verrat oder Tod – Dinge, die wiederum Anlass für Komisches sein können.
Die Linguisten Victor Raskin von der Purdue University, Larry Mintz von der University of Maryland und Paul Lewis von der Boston State University, alle drei in den USA, sind die Urgesteine der Internationalen Gesellschaft für Humorforschung. Sie haben nach Witzen gesucht, die ihren Ursprung in einem tragischen Ereignis haben. Ihr Workshop trägt den Titel «Humor und Terrorismus». Es geht um «nine-eleven», ein Thema, das, so Victor Raskin, auch für die Humorforschung ein Top-Ereignis darstellte: Nie zuvor hätten Entstehung und globale Verbreitung von Witzen derart genau studiert werden können.
Kurz nachdem die Flugzeuge in die Twin Towers und ins Pentagon gerast waren, machte sich Raskin, Herausgeber der Fachzeitschrift «Humor», im Internet auf die Suche nach den ersten Witzen zu diesem Vorfall. Dreissig Stunden später wurde er fündig: «Der neue Slogan von American Airlines: Wir fliegen Sie direkt ins Büro.» Als dann einige Zeit später die Terrororganisation Kaida als Urheberin des Attentats in Frage kam, tauchten die ersten Bin-Ladin-Witze auf. Mehrere hundert Witze über den Anschlag hat der Forscher in den Monaten danach gesammelt, und die meisten, so habe er festgestellt, seien ziemlich intelligent.
Humor, das zeigt der Workshop, ist ein beliebtes Mittel, um mit schrecklichen Ereignissen fertig zu werden. Der Feind kann dabei zum Beispiel domestiziert werden, wie Usama bin Ladin, der in Cartoons als Weihnachtsmann auftritt oder als Fred Feuerstein, der bekanntlich wie der Kaida-Führer in einer Höhle lebt. Die Bin-Ladin-Witze gingen um die Welt, wurden dabei leicht verändert und national eingefärbt. So taucht etwa in italienischen Versionen immer wieder Berlusconi auf, obschon der auf der Weltbühne der Politik ja nicht gerade viel zu sagen habe.
David A. O’Mara, ein glatzköpfiger junger Schotte, hat den Vorträgen der Kollegen gelauscht und sich dabei seine Meinung gemacht. Er findet viele der Studien, selbst wenn sie einen durchaus realen Ausgangspunkt haben, «doch sehr theoretisch». Selber eher Praktiker, interessieren ihn vor allem die konkreten Möglichkeiten, Humor und Lachen in der Therapie oder der Krankenpflege anzuwenden.
O’Mara arbeitet in Dundee an einem Pilotprojekt mit gehörlosen Kindern, denen mittels Computer ermöglicht wird, die Welt des verbalen Humors kennenzulernen. «Verbaler Humor ist die Sprache des Spielplatzes», meint er, «und somit für die Persönlichkeitsentwicklung und Sozialisation der Kinder unerlässlich.»
Wer wie O’Mara als Humorforscher in der Therapie tätig ist, weiss um die rundum wohltuende Wirkung von Lachen. In der Veranstaltungsreihe «Intervention Studies of Humor» geht es deshalb vergleichsweise locker zu und her. German Payo Losa aus Salamanca in Spanien macht Experimente mit Humor als Mittel zur Konfliktlösung an Schulen und fordert die Zuhörer als Erstes auf, sich auf verschiedene Arten zu begrüssen: einmal zurückhaltend, einmal mürrisch, ein andermal überschwänglich. Was zu beweisen war: Man kann dasselbe auf verschiedene Weise sagen. In der Schule, so der spanische Pädagoge, gehe es auch darum zu lernen, Konflikte zu lösen – im besten Fall mit Humor und Schlagfertigkeit.
Lachen ist eine kreative Kraft – das predigt auch die Organisation LACH. Die Liga to Activate Creativity and Humour aus Belgien hat das Hopla-Programm entwickelt, das jedem ermöglichen soll, mehr zu lachen und selber witziger zu werden. Gerard Aerts benutzt dazu Techniken des Strassentheaters, und mit seinen Faxen und Sketches gelingt es ihm ebenfalls, dem Kongresspublikum den einen oder andern Lacher zu entlocken.
Humorforscher, sofern die Verallgemeinerung zulässig ist, haben sehr wohl Humor, wenn auch vielleicht einen etwas speziellen. Keinen Spass verstehen sie jedoch, wenn man ihre wissenschaftliche Seriosität in Zweifel zieht. Willibald Ruch bedauert, dass vor allem in Kontinentaleuropa, zumal in Deutschland, Bedeutung und Nutzen der Humorforschung noch nicht richtig erfasst worden seien. Anders in Amerika, wo im Rahmen der Positiven Psychologie der Stellenwert der Humorforschung weitherum anerkannt sei.
Was ihn dort wiederum ärgert, sind «selbsternannte Experten», die aus diesem Trend Kapital schlagen wollen, so etwa der Psychologieprofessor Robert R. Provine von der University of Maryland, der im vorliegenden Folio auf Seite 22 über die Natur des Lachens schreibt und mit dem er das Heu gar nicht auf derselben Bühne hat. Oder der Engländer Richard Wiseman von der University of Hertfordshire mit seinem Lachlabor, dieser Scharlatan, der ja nicht einmal Professor sei.
Mit einer Internetumfrage versuchte Wiseman den lustigsten Witz der Welt zu ermitteln. Während die Wissenschafter in Bertinoro tagen, liegt eine Geschichte mit Sherlock Holmes und Doktor Watson in Führung (den definitiven Gewinner finden Sie auf Seite 36). Dass die Forscher auch diesen Witz nicht besonders lustig finden, verwundert nicht. Denn er macht sich über jene lustig, die alles gerne ein bisschen komplizierter sagen. Der Witz geht so: «Sherlock Holmes und Doktor Watson gehen campieren. Sie stellen ihr Zelt auf und legen sich schlafen. Mitten in der Nacht weckt Holmes Watson. ‹Watson, schau in die Sterne und sag mir, was du daraus ableitest.› Watson: ‹Ich sehe Millionen von Sternen, und wenn nur einige von diesen Planeten haben, ist es wahrscheinlich, dass es Planeten gibt wie die Erde, und wenn es nur wenige Planeten gibt wie die Erde, so dürfte es dort auch Leben geben.› Holmes: ‹Watson, du Idiot, was soll das – jemand hat unser Zelt geklaut.›
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