während der Restaurierung
aus Tagesspiegel.de,zu Geschmackssachen
Seine "Briefleserin" wurde übermalt
Restauratoren legen verborgenes Motiv auf einem Vermeer frei
In Dresden wird Vermeers "Briefleserin" restauriert. Experten meinen,
das Gemälde wurde von fremder Hand übermalt. Nun macht man den
verdeckten Teil sichtbar.
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Heute Vormittag stellten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) bei einer Pressekonferenz den Zwischenstand der langwierigen Restaurierung vor. Durch 1979 angefertigte Röntgenaufnahmen war bereits bekannt, dass sich hinter der zuletzt gelbbraun wirkenden Oberfläche des im Gemälde dargestellten Zimmers die Darstellung eines Gemäldes an der Wand befindet, und zwar eine des Liebesgottes "Cupido" respektive "Amor". Bislang wurde angenommen, dass Vermeer selbst dieses Bild im Bild übermalt und die seit 250 Jahren bekannte Fassung mit der kahlen Wand und dem am rechten Bildrand drapierten Vorhang geschaffen habe. Während der laufenden Restaurierung jedoch kamen die Experten, die bei der Pressekonferenz zugegen waren, zur Auffassung, dass die Übermalung von dritter Hand erfolgte.

Diese Ansicht wird gestützt von der Untersuchung winziger Farbproben, die vom Gemälde genommen und im Labor für Archäometrie der der Dresdner Kunsthochschule analysiert wurden. Die Übermalung kann nunmehr mehrere Jahrzehnte nach Vermeers Urfassung und damit weit nach dem Tod des Malers angenommen werden. Es wurde daher beschlossen, die Übermalung abzunehmen; eine ungemein schwierige Arbeit, der sich der Dresdner Gemälderestaurator Christoph Schölzel unterzieht und die noch mindestens ein weiteres Jahr in Anspruch nehmen wird. Dabei muss die oberste Farbschicht mit einem Skalpell entfernt werden, um die darunter liegende Firnis - also den Abschluss des ursprünglichen Gemäldes -, die von Vermeer selbst aufgetragen worden sein muss, nicht zu beschädigen.
Das Bild wirkt deutlich kühler
Durch die Abnahme späterer Firnisschichten auf dem bisherigen Gemäldezustand hat Vermeers Meisterwerk bereits eine deutlich differenziertere und kühlere Farbigkeit mit deutlichen Blau- und Grüntönen zurückgewonnen, wie sie von anderen Gemälden des Künstlers - von dem nur drei Dutzend eigenhändige Werke überliefert sind - bekannt ist. Zum Vorschein gekommen ist bereits die obere Hälfte des dargestellten Gemäldes. Es entspricht offenkundig der Darstellung eines Cupido, das sich in einem anderen Gemälde Vermeers findet, der "Stehenden Virginalspielerin" von 1672/73, die heute in der National Gallery London bewahrt wird. Im Katalog der an Vollständigkeit kaum je zu übertreffenden Vermeer-Ausstellung von 1995/96 in Washington und Delft ist die Dresdner Briefleserin interessanterweise in einer rekonstruierten Fassung mitsamt dem "Cupido"-Gemälde abgebildet, um die auf die Unterkante von dessen Bilderrahmen abgestimmte perspektivische Konstruktionsweise Vermeers zu erläutern.
Stephan Koja, der Direktor der Gemäldegalerie Alte Meister, zeigte sich bei der Pressekonferenz erfreut, "einen bedeutenden Beitrag zur Vermeer-Forschung leisten zu können". Zunächst wird jetzt das teilrestaurierte Gemälde bis zum 16. Juni im Semperbau der Gemäldegalerie ausgestellt, bevor die Restaurierungsarbeit wiederaufgenommen wird.
Nota. - Kein Zweifel, das Original muss wiederhergestellt werden, sobald das technisch verantwortbar ist. Aus kunstgeschichtlichen, aber auch auch künstlerischen Gründen. Es ist nicht bloß 'stilistisch interessant', sondern das Werk des Delfter Malers Jan van Meer. Man wird aber auch sagen dürfen: Ästhetisch war die Übermalung richtig. Dass es so kein ausgewiesener Liebesbrief mehr ist, nimmt dem Bild nichts von seinem Gehalt. Aber es erleichtert die Komposition, es bringt Luft in das Verhältnis der Hell- und Dunkel-Massen. Es intimisiert das Bild.
Dass der Übermaler aber wärmere Farben gewählt hat, nimmt dem Bild einiges von der für Vermeer so typischen Distanziertheit, die ein Aestheticum erster Ordnung ist. Schade, dass man die übermalte Fassung nicht auch erhalten kann.
Bei dieser Briefleserin hat Vermeer die Hell-Dunkel-Balance selbst beachtet. Und die Landkarte an der Wand sagt nichts über den Inhalt des Briefs.
Hier dagegen sehen wir den übermalten Cupido ganz. Und die Virginalspielerin sieht auf die unnachahmliche Veermeer'sche Art durch den Bildbetrachter hindurch.
JE
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