Montag, 6. September 2021

Wie und warum Schulen notwendig geworden sind.

                        aus  Levana, oder Erziehlehre     

... Das ist der entscheidende Gedanke: Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben setzt heute eine Menge Wissen voraus, das der Mensch nicht einfach so nebenher und ganz von alleine erwirbt. Das ist weniger selbstverständlich, als es klingt. Denn bis vor rund andert-halb Jahrhunderten galt dieser Satz nur für die Angehörigen der herrschenden Klassen. De-ren Kinder brauchten immer eine ganz besondere Schule, die sie später zum Herrschen - und dazu gehört das glaubwürdige Repräsentieren der Herrschaft - befähigte. Und gleich an dieser Stelle fällt auf: Eine Schule musste diese Schule nicht unbedingt sein, denn eine sol-che taugte wohl für werdende Kleriker, nicht aber für künftige Krieger und Regenten. Doch einer besonderen Lehrzeit im Dienst bei einem Fürsten mussten auch die Kinder des Adels sich unterziehen.

Die Kinder der einfachen Leute, und die waren die große Mehrheit, wuchsen in den Haus-halt ihrer Familie hinein, und die war in der agrarischen Gesellschaft die eigentliche Produk-tions- und Wirtschaftsstätte. Zum Bauern wuchs man auf dem eigenen Hof heran. (Die Kin-der der Tagelöhner lernten Vieh hüten.) Das zünftige Handwerk mit seinem ausgefeilten Lehrlings- und Gesellensystem gehörte schon zu dem privilegierteren Teil der städtischen Gesellschaften.
 

Und schließlich die kaufmännischen Patrizier - waren die Gesellschaftsklasse, in der "die Schule" zur Norm geworden ist. Die städtischen Bürgerschulen wurden, nach der Reforma-tion zumal, zum Grundbestand, auf dem unser heutiges Schulwesen aufgebaut ist, auf sie geht das humanistische Gymnasium zurück, das zum Paradigma der Schule wurde. Hier lernte man, was man als Bürger unter Bürgern wissen und können musste, als Berufsmensch, der sich unter seinesgleichen im Marktgeschehen zu orientieren und behaupten wusste. Und als dann das Kapital in die Industrie zu fließen begann, wurden neben den Kaufleuten im-mer mehr Ingenieure gebraucht. Die Realschulen machten den Gymnasien Konkurrenz, und die spezialisierten sich auf die Vorbereitung zum Höheren Staatsdienst.
 

Dagegen war die Volksschule von Anbeginn Restschule. Die bildete nicht zum Bürger, son-dern konditionierte zum Untertan und Tagelöhner. Lesen, schreiben, das Kleine Einmaleins und der Katechismus, mehr wurde nicht benötigt. Das war der Typ des Proletariers, den die Industrialisierung brauchen konnte.
 

Die Geschichte der Schule im 20. Jahrhundert ist schließlich die Geschichte, wie das Schul-system immer mehr zum Schatten und zum Wurmfortsatz der Verwaltungen wurde, der öf-fentlichen mehr noch als der wirtschaftlichen. Mit der Explosion des Öffentlichen Dienstes explodierten die Gymnasien, und mit wachsender Masse sanken die Maßstäbe.
 

Kehren wir zum Ausgangspunkt zurück: Die Aufgabe einer Schule ist es, Wissen zu vermit-teln, das der Mensch nicht einfach so nebenher und ganz von alleine erwirbt. Setzt die Teil-nahme am gesellschaftlichen Leben heute mehr Wissen voraus als früher, so dass eine län-gere Lernzeit erforderlich würde?

Jein. Einerseits ist die Masse von Wissen, das einer heute braucht, unermesslich, doch ande-rerseits ist es so schnell überholt wie nie zuvor, und man tut gut daran, es sich nicht allzu gut zu merken, damit im Gedächtnis gleich Platz geschaffen werden kann, wenn neue Nach-richten eintreffen; und was man grad eben nicht gewärtig hat, darauf kann man jederzeit im Internet zugreifen.

Es ist nicht wirklich so, dass man heute (noch) mehr wissen muss als gestern; memorieren bis der Kopf raucht ist jedenfalls so unangebracht wie nie. Aber man müsste besser wissen. Was damit gemeint ist? Aber das wissen Sie doch längst selber! Gemeint ist, dass man das, was die (flüchtigen) Daten bedeuten, gründlicher verstehen sollte - denn dann fällt man nicht jedesmal in Verwirrung, wenn man die alten Daten gegen neue auswechseln muss. Der Haken sei der, dass man das Verstehen der Schüler nicht mit einem Test erheben kann? Da haben Sie nun auch wieder Recht.

Und wenn man bei PISA I zuerst noch annahm, mit den 'Kompetenzen zur Welterschlie-ßung' sei Verständnis gemeint gewesen, wurde bald klar, dass lediglich die Testmethode des Multiple choice mit dem Brecheisen durchgesetzt werden sollte.

Dieses hinzugefügt habend, kann ich mich den Ausführungen von Prof. Schirlbauer weitge-hend anschließen; doch nicht ohne anzumerken, dass es wohl in der Natur der Schule selber liegt, dass sie mehr zum Memorieren neigt als zum verstehen-Lehren.

8. 7. 15 




Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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