Montag, 10. Mai 2021

Anders ist systematische Philosophie unmöglich.

                                                aus  Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik 

Also die Resultat der Wissenschaftslehre sind mit denen der Kantischen Philosophie die-selben, nur die Art, sie zu begründen, ist in jeder eine ganz andere. Die Gesetze des mensch-lichen Denkens sind sind bei Kant nicht streng wissenschaftlich abgeleitet, dies soll aber in der Wissenschaftslehre geschehen. In dieser werden abgeleitet die Gesetze des endlichen Vernunftwesens überhaupt, im Kantischen System werden sie bloß aufgestellt, die Gesetze des Menschen, weil es bloß auf Erfahrung beruht, diese werden in der Wissenschaftslehre bewiesen.
Ich beweise jemandem etwas heißt, ich bringe ihn dazu, dass er annehme, dass er irgend-einen Satz schon zugegeben habe, indem er die Wahrheit irgend eines andern vorher zuge-geben hatte. Jeder Beweis setzt also bei dem, dem er bewiesen werden soll, schon etwas Bewiesenes voraus, und zwei, die über nichts einig sind, können einander auch nichts be-weisen.
Da nun die Wissenschaftslehre beweisen will die Gesetze, nach denen das endliche Ver-nunftwesen bei Hervorbringung seiner Erkenntnis verfährt: so muss sie dies an irgend etwas anknüpfen, und da sie unser [Wissen] begründen will, an etwas, das jedermann zugibt. Gibt es so etwas nicht, so ist systematische Philosophie unmöglich.
_______________________________________________________________________ J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, 
I. Einleitung, Hamburg 1982, S. 7


Nota. - Kant ist kein Empirist, aber er geht phänomenologisch vor: Er beobachtet, was ist, und ordnet es nach Begriffen, die er ihrerseits nicht vorfindet, sondern setzt. Da bleibt er allerdings stehen und forscht nicht weiter nach ihrem (gemeinsamen?) Grund. Das aber tut die Wissenschschaftslehre - um von diesem Grunde aus den ganzen Gang des 'menschli-chen' Wissens zu rekonstuieren. Ihr Ausgangspunkt bleibt, wie der Kants, phänomenolo-gisch.

Zu bemerken ist noch dies: Die Gesetze der 'endlichen' Vernunft setzt das 'endliche' Ver-nunftwesen selber - schlicht indem es so und nicht anders handelt. Von anderswo her, etwa von einem 'unendlichen' Vernunftwesen, können sie ihm jedenfalls nicht gekommen sein, sonst wäre es nicht frei, und also kein Vernunftwesen. 

Anders sieht es aus mit dem 'Grund'. Dessen Herkunft steht in den Sternen. Er 'ist' ledig-lich ein Noumenon. Darüber hinaus gibt es nichts zu wissen. Aber da es sich um die Frei-heit der Tathandlung handelt, braucht sie glücklicherweise gar keinen Grund.
JE 26. 7. 15

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