
_______________________________________________________________________J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 204

Anlässlich des zweihundertsten Todestages von Fichte wurde an der Berliner Humboldt-Universität von einer "Aktualität der Wissenschaftslehre" geredet. In den Eingangsbeiträgen ging es darum, wie weit sich gegenwärtige Diskussionen zwischen amerikanischen 'Analyti-kern' und 'Pragmatisten' der Fichte'schen Lehre von der Konstituierung des Ich annäherten. Ganz einig waren sich die beiden Referenten* nicht, aber es wurde auch nicht recht klar, wo genau die verbleibenden Differenzen zu Fichte liegen.
Auf dem Weg, den sie eingeschlagen hatten, konnten sie sich freilich weder einigen noch Klarheit schaffen. Denn in der Wissenschaftslehre "konstituiert" sich das Ich überhaupt nicht. Nämlich nicht so, dass es nach dem Konstitutionsakt "ist" und bleibt (dann würde es Substanz). Das transzendentale Ich ist nicht, sondern wird lediglich gedacht als Subjekt-Ob-jekt der grundlegenden 'Tathandlung'. Real ist allein die Tätigkeit, nur sie gibt Anschauung und Empfindung, ein Ich wird nicht sichtbar noch fühlbar, es wird nicht erfahren, sondern "erscheint" lediglich der von Fichte so genannten 'intellektuellen Anschuung' im Vollzug der Handlung selbst - und dies nicht 'von allein', sondern als Akt freier Willkür - und wird aus-drücklich nur "dem Philosophen" zugemutet.** Das transzendentale Ich ist kein Realgrund, sondern lediglich Erklärungsgrund für ein tatsächliches Handeln.
Doch auch "als Idee" wird sich das Ich nie und nimmer konstituieren. Denn als Idee ist es lediglich das Vernunftwesen, das nie etwas anderes ist als vernünftig, und insofern ein Ideal, das nie erreicht werden wird und an das man sich lediglich "unendlich" annähern kann (ob oder inwiefern man das aber soll, ist wiederum ein Problem).
Und ob sich die Formulierung, wonach ein Ich sich "konstituiert", für die Beschreibung der empirischen, historischen Person eignet, hätten Psychologen und Neurowissenschaftler oh-ne Beteiligung der Phiosophie unter sich auszumachen.
*) zwei Vertreter der 'analytischen' Observanz
19. 2. 2017
Nota II. - Die Wissenschaftslehre berichtet nicht, wie ein individuelles Bewusstsein entsteht. Sie zeigt, wie Vernunft möglich wird und worin daher ihr Sinn besteht. Das Vernünftige an den wirklichen Individuen ist derjenige Anteil, der zu freiem Bestimmen und Selbstbestim-men befähigt ist. Er macht das Wesen der Menschen aus, soweit sie in der und in die Öffentlichkeit wirken. Das ist, was die Philosophie angeht. Als Einzelne haben sie kein Wesen, sondern haben ihr Leben zu führen. Das Gute Leben ist eine private Aufgabe und von einem jeden selbst zu meistern. Er schuldet dafür niemandem Rechenschaft, es ist ihm aber auch keiner was schuldig.
JE
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