Montag, 17. Mai 2021

Wovon handelt Transzendentalphilosophie?

Maurits Cornelis Escher, Selbstbildnis M. C. Escher                                                           aus Philosophierungen, oder Das Vernunftsystem

Es gibt zwei sehr verschiedene Standpunkte des Denkens; den des natürlichen und gemei-nen, da man unmittelbar Objekte denkt, und den des vorzugsweise so zu nennenden künst-lichen, da man, mit Absicht und Bewußtsein, sein Denken selbst denkt. Auf dem ersten steht das gemeine Leben, und die Wissenschaft; auf dem zweiten die Transzendentalphilo-sophie, die ich eben deshalb Wissenschaftslehre genannt habe, Theorie und Wissenschaft alles Wissens, keineswegs aber selber ein reelles und objektives Wissen.

Die philosophischen Systeme vor Kant kannten großenteils ihren Standpunkt nicht recht, und schwankten hin und her zwischen beiden. Das unmittelbar vor Kant herrschende Wolffisch-Baumgartensche stellte sich mit seinem guten Bewußtsein in dem Standpunkte des gemeinen Denkens und hatte nichts geringeres zur Absicht, als die Sphäre desselben zu erweitern und durch die Kraft ihrer Syllogismen neue Objekte des natürlichen Denkens zu erschaffen. [...]

Diesem System ist das unsrige darin gerade entgegengesetzt, daß es die Möglichkeit, ein für das Leben und die Wissenschaft gültiges Objekt durch das bloße Denken hervorzubringen, gänzlich ableugnet und nichts für reell gelten läßt, das sich nicht aufMetaphysik das System reeller, durch das bloße Denken hervorgebrachter Erkenntnisse sein soll, leugnet z. B. Kant, und ich mit ihm, die Möglichkeit der Metaphysik gänzlich. Er rühmt sich, dieselbe mit der Wurzel ausgerottet zu haben, und es wird, da noch kein verständiges und verständliches Wort vorgebracht worden, um dieselbe zu retten, dabei ohne Zweifel auf ewige Zeiten sein Bewenden haben.

Unser System, das die Erweiterungen wieder zurückweist, läßt sich ebensowenig einfallen, das gemeine und allein reelle Denken selbst zu erweitern,  sondern will dasselbe lediglich darstellen und erschöpfend umfassen. Wir denken im philosophischen, das objektive Den-ken. Unser philosophisches Denken bedeutet nichts und hat nicht den mindesten Gehalt; nur das in diesem Denken gedachte Denken bedeutet und hat Gehalt. Unser philosophi-sches Denken ist lediglich ein Instrument, durch welches wir unser Werk zusammensetzen. Ist das Werk fertig, so wird das Instrument als unnütz weggeworfen. 

 
Johann Gottlieb Fichte, Rückerinnerungen, Antworten, Nachfragen,  in: Gesamtausgabe, Bd. II/5, S. 111-115
 
 
 
 
 
 
 
 
 
M. C. Escher 
 
 
Nota. - Erlauben Sie mir zwei Hervorhebungen: Erstens unterscheidet F. nicht zwischen gemeinem Menschenverstand und (reeller) Wissenschaft, sondern rechnet sie ausdrücklich einander zu; darüber, nämlich um eine Reflexionsebene höher, läge die Transzendentalphi-losophie.

Und zweitens lässt auch die Transzendentalphilosophie nichts anderes gelten, als was auf einer Wahrnehmung beruht. Was allein auf gedanklichen Operationen beruht, kommt für sie nicht in Betracht. Allerdings zählt er zu den Wahrnehmungen nicht allein die an äußeren Gegenständen, sondern auch die, die die Intelligenz an sich selber vorfindet - indem sie es nämlich selber tut. 
JE

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