Montag, 10. Mai 2021

Im Ernst: Was ist ein Witz?


aus spektrum.de, 10. 5. 2021

Humor                                                                                                           zuJochen Ebmeiers Realien
Der beste Witz der Welt
Wer humorvoll ist, gilt als kreativ und intelligent, kann für Erleichterung sorgen und Kummer lindern. Was es für einen guten Witz braucht? Vor allem die Überraschung.

Kennen Sie den? Zwei Jäger sind im Wald auf der Jagd, plötzlich bricht einer von ihnen zusammen. Er scheint nicht mehr zu atmen. In Panik ruft der andere von seinem Handy den Notruf an und stottert aufgeregt: »Ich glaube, mein Freund ist tot. Was soll ich denn jetzt bloß machen?« Da sagt die Stimme vom Notruf: »Nun beruhigen Sie sich erst einmal, und dann vergewissern Sie sich, dass er tatsächlich tot ist.« Nach einem Moment der Stille ertönt ein Schuss. Wieder zurück am Telefon, fragt der Jäger: »Okay, und was jetzt?«

Witze sind Geschmacksache. Aber dieser hier gefällt vielen Menschen besonders gut. Der Psychologe Richard Wiseman von der University of Hertfordshire hat 40 000 eingereichte Scherze von Lesern aus der ganzen Welt bewerten lassen. Die Situation der beiden Jäger hat die besten Noten bekommen. Seitdem gilt sie als der lustigste Witz der Welt.

Der Jäger-Scherz ist auch deshalb so erfolgreich, weil er eine Komponente enthält, auf die sich offenbar alle Menschen der Welt einigen können: »Die Überraschung«, sagt Tabea Scheel, Psychologin, Humorforscherin und Professorin für Arbeits- und Organisationspsy-chologie am Internationalen Institut für Management und ökonomische Bildung (IIM) an der Europa-Universität in Flensburg. »Man baut eine gewisse Anspannung auf, weil man weiß, dass es ein Witz ist. Man wartet auf das Ungewöhnliche. Und dann kommt etwas tat-sächlich ganz anderes, als man denkt – und die Anspannung entlädt sich in einem Lachen oder zumindest in einem Schmunzeln.« Auf den ersten Blick ist all das einfach eine nette Unterhaltung. Doch bei genauerer Betrachtung sind Lachen und Humor viel mehr, wie Erkenntnisse der Geleotologie zeigen.

 

 

Warum es überhaupt Humor braucht, ist die grundlegende Frage für Lachforscherinnen und Lachforscher. Die einfache Antwort: weil Menschen auf mehreren Ebenen davon profitieren. So hilft Spaß beispielsweise, Distanz zu überwinden. »Humor bringt Nähe in eine Runde, Vertrauen, Lockerheit, ein Zusammengehörigkeitsgefühl«, sagt Tabea Scheel. Wenn eine Konversation ins Stocken gerät, kann Humor sie wieder Fahrt aufnehmen las-sen. Wenn ein Gespräch in eine falsche Richtung zu gehen droht, kann Humor es in richtige Bahnen lenken. Und wenn ein Gespräch gut läuft, dann kann Humor bewirken, dass es noch besser läuft.

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Lachen befreit, lachen entspannt

Das alles gilt übrigens für unterschiedliche Stilformen des Humors. Zum Beispiel kann sich jemand aggressiv auf Kosten anderer in der Gruppe profilieren – was besonders oft unter männlichen Jugendlichen geschieht. Oder jemand macht sich zum Clown – was als sich selbst abwertender Humor gilt. Und dann gibt es noch die Form, die davon unabhängig für Lacher sorgt und deshalb besonders hoch angesehen ist. »Wer humorvoll ist, der gilt poten-ziell auch als kreativ und intelligent«, sagt Scheel. Das macht die Person mitunter beim an-deren Geschlecht interessant.

Aber Humor wirkt nicht nur auf das Gegenüber. Er wirkt auch nach innen: Scherze können Sorgen und Ängste mildern, was harte Zeiten erträglicher macht. Ein Kind, das eine schlech-te Note in der Mathearbeit hatte, oder ein Jugendlicher, der eine Abfuhr vom Schwarm er-halten hat, kommt mit Humor leichter damit zurecht. Tatsächlich gilt das sogar in Extrem-situationen: Soldaten im Krieg können mit Hilfe von Humor eine gewisse innere Stärke bewahren. Das liegt unter anderem daran, dass sich andere Perspektiven auftun können, wenn man sich selbst und die eigenen Probleme mit heiterer Gelassenheit betrachtet.

Was dabei in Körper und Gehirn passiert, ist nicht eindeutig geklärt. Es gibt eine Reihe von Theorien. Eine der populärsten ist die »relief theory«. Demnach verschafft das Lachen eine Art Erleichterung (»relief«), die hilft, eine gewisse psychologische Anspannung aufzulösen.

Deshalb lachen Menschen der Theorie zufolge übrigens auch, wenn sie gekitzelt werden: Man muss eine unerwartete Berührung wie das Kitzeln einordnen – ein möglicher Angriff des anderen? Ein Schlag? Ein Stich? – und prustet dann erleichtert.

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Ein Zeitpunkt zum Lachen ist aber auch der Moment des Auflösens oder Realisierens einer Ungereimtheit. Oft die Pointe des Witzes: »Nach einem Moment der Stille ertönt ein Schuss. Wieder zurück am Telefon, fragt der Jäger: ›Okay, und was jetzt?‹« Die Freude, eine Ungereimtheit entdeckt und verstanden zu haben, ist so auch ein Stück weit Belohnung dafür, dass man immer Ausschau nach Dingen gehalten hat, die nicht passen oder gar bedrohlich sind.
 
Der Zeitpunkt zum Scherzen will gut gewählt sein

Zu beachten ist noch, dass ein Witz zumeist mit einem gewissen Abstand zum Ereignis eher den gewünschten Effekt erzielt als direkt danach. Schon der Schriftsteller Mark Twain hat dies mit seinem Bonmot »Humor ist Tragik plus Zeit« treffend zusammengefasst. Heißt: Ist eine Situation schlimm, braucht es eine Weile, bis sie mit Humor entschärft werden kann. Räumliche oder kulturelle Distanz können das übrigens auch leisten.

Nun ist das nicht immer gegeben, und Humor wirkt trotzdem. Vor allem, wenn er dringend nötig ist. Das zeigt sich zum Beispiel in der Coronapandemie: Witze zum Thema gab es gleich zu Beginn, andere kommen hinzu, während sich täglich weiter hunderttausende Men-schen mit dem Virus anstecken. Und das sei gut so, sagt Willibald Ruch, Professor für Per-sönlichkeitspsychologie und Diagnostik an der Universität Zürich: »Die Witze schaffen einerseits ein Gefühl der Verbundenheit. Und sie vermitteln: Man kann darüber lachen, das heißt, es ist zu bewältigen.«

Humor könne ein Kraftspender in Coronazeiten sein, sagt auch Rainer Stollmann, Kultur- und Humorforscher an der Universität Bremen. »Ein Komiker fragte kürzlich: ›Warum kaufen die Menschen so viel Klopapier? – Weil sie Schiss haben.‹ Da steckt auf mehreren Ebenen viel Wahrheit drin«, sagt Stollmann.

Er kritisiert allerdings, dass diese gemeinsame Situation der Pandemie von einigen Karika-turisten und Komikern etwas bequem angegangen wird: »Man konzentriert sich in letzter Zeit sehr auf die Politiker und ihre Fehler. Da macht man es sich sehr einfach. Der Humor sollte sich noch mehr der Pandemie und den Folgen für alle widmen.«

Was Menschen zum Lachen bringt

Wie wäre es hiermit: Heute Morgen am Gartentor habe ich den Nachbarn gesehen, wie er mit seiner Katze sprach. Mit seiner Katze! Der hat geredet, als würde sie ihn verstehen, unglaublich! Ich bin sofort ins Haus gegangen und habe es meinem Hund erzählt.

Haben Sie geschmunzelt? Oder gar gelacht? »Ein Lachen als körperlicher Vorgang ist etwas Ähnliches wie der Humor als geistiger Vorgang«, sagt Stollmann. Wie im Lachen der Kör-per, so wird im Humor die Vernunft erschüttert. Ein zwerchfellerschütterndes Lachen ist dann das kostbarste Lachen. Leider kommt es vergleichsweise selten vor: Acht oder neun von zehn  Lachern im Alltag sind ein so genanntes »soziales« Lachen, das nicht ganz unwill-kürlich über uns kommt, sondern eher halb bewusst als Höflichkeits- und Kommunikati-onsmittel eingesetzt wird.

»Humor stellt die Vernunft in Frage und schafft damit beim Denken assoziative Freiheit« 
Rainer Stollmann, Humorforscher

Grundsätzlich scheint aber jede Form von Lachen gesund zu sein. Das zeigt sich schon wenige Minuten nach einem Lacher am Hormonspiegel des Bluts: Das Level des Stress-hormons Kortisol nimmt leicht ab, der Spiegel des Glückshormons Endorphin steigt deutlich erkennbar an und ebenso die Konzentration des Bindungshormons Oxytozin. Dazu kommt das Muskeltraining: Mehr als 100 Muskeln arbeiten beim Lachen mit, vor allem im Gesicht, aber auch im Brustkorb und Bauch. Stoßartig, mit rund 100 Kilometern pro Stunde, pressen wir den Atem aus der Lunge heraus. Professor William Fry, der 1964 das Institut für Humorforschung an der Stanford University in Kalifornien gründete, fand heraus, dass 20 Sekunden Lachen den Körper mindestens genauso fordern wie drei Minu-ten Joggen.

 

Nota. - Das ist löblich, dass die Frage nach dem Humor von vornherein phänomenologisch gestellt wird: Was bringt Leute zum Lachen? Das ist ärgerlich, dass das Lachen von vorn-herein nach seinem lebenspraktischen Nutzen beurteilt wird.

Nicht, dass das falsch wäre. Es ist nur platt und gehörte nicht dieses Blog. Denn bei nähe-rem Nachdenken wird unterm Lachen die wissenslogische Frage deutlich: Was ist Humor? Denn dass die meisten Leute den Jägerwitz komisch finden, sagt nichts über dessen komi-sche Qualität.

Seit früher Jugend kam es mir vor, als sei Humor eine ästhetische Angelegenheit: ja, eine Geschmacks sache. Einer hat's, ein andrer nicht. Es lässt sich durchaus darüber streiten, aber endlos: weil es keinen Maßstab fürs Entscheiden gibt; nämlich keine vernünftigen Gründe. Humor ist nicht vernünftig, sondern stellt die Vernünftigkeit immer neu zur Disposition. Aber nichts hält sie besser in Form.

JE

 

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