Augsburger Allgemeine zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
Zuvörderst ist in der Philosophie
die Rede von den mit dem Gefühl der Notwendigkeit be-gleiteten
Vorstellungen. Da diese nun nicht wie im Dogmatismus durch eine Leiden,
son-dern aus einem Handeln der Freiheit erklärt werden soll, so würde
dies ein notwendiges Handeln sein müssen; denn sonst würde es zu nichts
helfen.
Anfangs zweifelt man, ob diese
Vorstellungen Produkte einer Selbsttätigkeit sein können, weil man sich
dieser Tätigkeit nicht bewusst ist; wenn die meisten Menschen von
Tätigkeit, von Handeln hören, so verstehen sie darunter ein freies
Handeln; aber es kann auch ein notwendiges Handeln geben. Ist aber ein
notwendiges Handeln noch ein Handeln, und nicht vielmehr ein Leiden zu
nennen? ...
Das notwendige Handeln ist nur
unter der Bedingung eines freien Handelns notwendig, aber nicht
überhaupt notwendig, sonst wäre es mit Leiden einerlei.
Das erste freie, unbedingte Handeln
ist das Setzen des Ich durch sich selbst; aus diesem könnte ein anderes
notwendig folgen; von diesem könnte man sagen, es sei notwendig, aber
freilich nicht absolut, sondern bedingt.
_______________________________________________________________________J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, II. Einleitung, Hamburg 1982, S. 19
Nota. - Allgemeinste und absolute Voraussetzung der Transzendentalphilosophie ist die Freiheit des sich-als-Ich-Setzenden. Sie ist der Grund allen Bestimmens und Selbstbe-stimmens.
Wäre sie aber reine Willkür, wäre nicht einzusehen, wie es möglich wird, wie es verschiede-nen Intelligenzen=Ichen möglich wird, irgendwann zu gemeinsamen Bestimmungen zu ge-langen. Das ist nur vorstellbar, sofern sie beim Bestimmen derselben Regel gefolgt sind. Wo aber bliebe da die Freiheit?
Durch die vorangegangenen Akte des Bestimmens einer Vorstellung als dieser wird der Raum der weiterhin offenen Möglichkeiten nicht 'kleiner', sondern bleibt so unendlich wie zuvor; doch nach der einen und womöglich auch einer andern Seite wird er beschränkt: nicht vor bestimmt, sondern bedingt. Die auf einander folgenden und einander bedingen-den Bedingungen waren allerdings durch meine Akte der Freiheit gesetzt.
Gemeinsame Erfahrungsbegriffe sind bedingt durch das Gefühl eines Widerstands, den die Objekte in Raum und Zeit meiner Tätigkeit entgegensetzen; wobei ich aus diesem Gefühl auf das Dasein eines Objekts überhaupt erst schließe. Ebenso werde ich, wenn ich mit mei-nem Eintritt in die Reihe vernünftiger Wesen die Erfahrung von gemeinsamen Begriffen mache, auf die Identität (Dieselbigkeit) der in den Erfahrungsbegriffen gemeinten Objekte schließen: auf ihre Objektivität.
Weniger einfach ist das bei den reinen Denkbestimmungen (Noumenen). Auf Freiheit müs-sen sie letzten Endes gründen wie die Erfahrungsbegriffe, gewiss. Aber einen Widerstand eines in Raum und Zeit bestimmten Objekts kann das reine Denken nicht fühlen. Wenn wir uns dennoch auch mit abstrakten Begriffen verständigen und Streitfragen durch Gründe ent-scheiden können, muss es ebenfalls ein Objektives geben. Es wird wohl das Verfahren selber sein.
Doch da ich es nicht erfahren kann, muss ich reflektierend darauf schließen - wie gehabt.
JE
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